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4. Dreiländertagung D-A-CH
35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 23.09.2018, Innsbruck, Österreich

Schalllokalisation bei einem Kind mit funktionellem Restgehör im Tieftonbereich und bilateraler Versorgung mit Cochlea Implantaten

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie. Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie. 4. Dreiländertagung D-A-CH, 35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Innsbruck, Österreich, 20.-23.09.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. DocV3

doi: 10.3205/18dgpp03, urn:nbn:de:0183-18dgpp039

Veröffentlicht: 14. September 2018

© 2018 Seebacher et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Fähigkeit, Schallquellen im Raum zu lokalisieren, ist bei normalhörenden Kindern bereits ab dem vierten Lebensjahr ausgeprägt. Im Vergleich dazu entwickelt sich das räumliche Hören bei Kindern mit Hörstörungen, die mit Hörprothesen versorgt sind, unterschiedlich. Diese Kinder erkennen relevante Unterschiede zwischen den Signalen an beiden Ohren zur Ortung einer Schallquelle nur ungenau. Im Vergleich zu Normalhörenden können interaurale Zeitdifferenzen im Tieftonbereich meist gar nicht aufgelöst und interaurale Pegeldifferenzen im Hochtonbereich nur mit verminderter Genauigkeit ausgewertet werden.

In dieser Studie wird über ein Kind mit bilateraler elektrisch-akustischer Stimulation berichtet. Das bedeutet, das Kind hört im Tieftonbereich mit seinem natürlichen Hörvermögen, während im Hochtonbereich die akustische Information über elektrische Stimulation des Hörnerven durch ein Cochlea Implantat (CI) vermittelt wird. Somit sollte dieses Kind sowohl interaurale Zeitunterschiede über sein natürliches Hören als auch interaurale Pegelunterschiede über CI nutzen können.

Material und Methoden: Fallbericht eines 10 jährigen Kindes mit beidseits funktionellem Restgehör bis 1 kHz, welches bilateral mit CI versorgt wurde. Die Richtungshörtests wurden für vier Bedingungen durchgeführt: unversorgt, CI links, CI rechts, sowie CI beidseits.

Ergebnisse: Der mittlere quadratische Winkelfehler der Lokalisation betrug ca. 16° bei Präsentation breitbandiger und tieffrequenter Stimuli unabhängig davon, ob die Audioprozessoren der Hörimplantate getragen wurden oder nicht. Bei hochfrequenten Stimuli lag der Winkelfehler bei 41°.

Diskussion: Das Kind zeigte ein sehr gutes Richtungshörvermögen bei tieffrequenten Stimuli und kann offenbar interaurale Zeitunterschiede zur Lokalisation von Schallquellen nutzen. Bei hochfrequenten Stimuli, für die interaurale Pegeldifferenzen zur Ortung einer Schallquelle relevant sind, zeigte das Kind eine schlechtere Leistung. Aufgrund des funktionellen Restgehörs im Tieftonbereich und der Fähigkeit, interaurale Zeitunterschiede zu erkennen, bestand bei der Entwicklung der Richtungshörens offensichtlich kein Bedarf zur Nutzung von interauralen Pegeldifferenzen. Unabhängig davon konnte das Sprachverstehen durch das mit CI wiederhergestellte Gehör im Hochtonbereich deutlich verbessert werden.

Fazit: Funktionelles Gehör bei tiefen Frequenzen ermöglichte ein sehr gutes Richtungshören bei diesem Kind mit bilateraler CI Versorgung.


Text

Hintergrund

Die Fähigkeit, Schallquellen im Raum zu lokalisieren, ist bei normalhörenden Kindern bereits ab dem vierten Lebensjahr ausgeprägt. Im Vergleich dazu entwickelt sich das räumliche Hören bei Kindern mit Hörstörungen unterschiedlich. Diese Kinder erkennen relevante Unterschiede zwischen den Signalen an beiden Ohren zur Ortung einer Schallquelle nur ungenau. Insbesondere können interaurale Zeitdifferenzen im Tieftonbereich meist gar nicht aufgelöst und interaurale Pegeldifferenzen im Hochtonbereich nur mit verminderter Genauigkeit ausgewertet werden.

In dieser Studie wird über ein Kind mit bilateraler elektrisch-akustischer Stimulation berichtet. Das bedeutet, das Kind hört im Tieftonbereich mit seinem natürlichen Hörvermögen, während im Hochtonbereich die akustische Information über elektrische Stimulation des Hörnervs durch ein Cochlea Implantat (CI) vermittelt wird. Das Hörvermögen im Tieftonbereich war bei diesem Kind beidseits nahezu normal, sodass keine akustische Verstärkung notwendig war. In der Literatur wird dies als „elektro natürliches Hören“ bezeichnet [1]. Somit sollte dieses Kind sowohl interaurale Zeitunterschiede über sein natürliches Hören als auch interaurale Pegelunterschiede über CI nutzen können.

Material und Methoden

Fallbericht über ein zehnjähriges Kind mit beidseits funktionellem nahezu normalem Restgehör bis 1 kHz gefolgt von einem Hochtonabfall, wobei die Hörschwellen beidseits ab 1.5–2 kHz bei ca. 100 dB HL lagen, wie in Abbildung 1 [Abb. 1] dargestellt. Das Kind wurde mit 6,1 Jahren links und mit 8,3 Jahren rechts mit CI versorgt. Die Richtungshörtests wurden in einer Camera Silenta für vier Bedingungen durchgeführt: unversorgt, CI links, CI rechts, sowie CI beidseits. Die Stimuli wurden über eine halbkreisförmige Anordnung von 7 Lautsprechern (-90° bis +90°, Winkelabstand 30°) dem Kind dargeboten. Die Lautsprecher waren von 1–7 nummeriert, so dass das Kind die wahrgenommene Richtung als Zahl angeben konnte. Die Stimuli waren Breitbandrauschen (CCITT), Hochpassrauschen und Tiefpassrauschen. In einem Testdurchgang wurde ein Stimulus, z.B. Breitbandrauschen, insgesamt 84 Mal zufällig verteilt über die Lautsprecher dargeboten. Die Pegel wurden randomisiert, d.h. die effektiven Pegel der Stimuli wurden im Bereich 65 ± 5 dB SPL variiert.

Ergebnisse

Der mittlere quadratische Winkelfehler der Lokalisation betrug ca. 15–17° bei Präsentation breitbandiger und tieffrequenter Stimuli unabhängig davon, ob die Audioprozessoren der Hörimplantate getragen wurden oder nicht. Damit erreicht dieses Kind nahezu jene Werte, welche bei dieser Anlage bei einem normalhörenden Kind gleichen Alters zu erwarten wären. Im Gegensatz dazu erreichte das Kind bei hochfrequenten Stimuli einen mittleren Winkelfehler bei 41°. Beispielhaft sind in Abbildung 2 [Abb. 2] die Ergebnisse für Lokalisation von Schallquellen bei bilateraler CI Nutzung für die Stimuli „Breitbandrauschen“ und „Hochpassrauschen“ gezeigt.

Diskussion

Das Kind zeigte ein sehr gutes Richtungshörvermögen bei tieffrequenten Stimuli. Daraus lässt sich schließen, dass aufgrund des guten Restgehörs im Tieftonbereich interaurale Zeitunterschiede zur Lokalisation von Schallquellen erkannt werden können. Bei der Lokalisation hochfrequenter Stimuli zeigte das Kind ein Lateralisationsmuster (Bild 2 in Abbildung 2 [Abb. 2]). Das Kind konnte zwar richtig einschätzen, ob ein Stimulus von links oder rechts präsentiert wurde, die Winkelauflösung war aber sehr ungenau. Aufgrund des fehlenden Hochtongehörs bis zum 6. Lebensjahr konnte sich die Fähigkeit, interaurale Pegeldifferenzen für die Lokalisation von Schallquellen zu nutzen, offenbar nicht ausreichend entwickeln. Die bilaterale CI Nutzungsdauer betrug zum Zeitpunkt der Testung ca. ein Jahr, sodass das Kind erst relativ kurze Zeit Zugang zu interauralen Pegeldifferenzen hatte. Unabhängig davon konnte das Sprachverstehen durch das mit CI wiederhergestellte Gehör im Hochtonbereich deutlich verbessert werden.

Fazit/ Schlussfolgerung

Funktionelles Gehör bei tiefen Frequenzen ermöglichte ein sehr gutes Richtungshören bei diesem Kind mit bilateraler CI Versorgung.


Literatur

1.
Skarzynski H, Lorens A, Dziendziel B, Skarzynski PH. Expanding pediatric cochlear implant candidacy: A case study of electro-natural stimulation (ENS) in partial deafness treatment. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2015 Nov;79(11):1896-900. DOI: 10.1016/j.ijporl.2015.08.040 Externer Link