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34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Bern, 14.09. - 17.09.2017

Do-it-yourself-Fragebogen-App am Beispiel des Fragebogens zur Erfassung des Stimmlichen Selbstkonzepts

Poster

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), Dreiländertagung D-A-CH. Bern, Schweiz, 14.-17.09.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP16

doi: 10.3205/17dgpp53, urn:nbn:de:0183-17dgpp530

Veröffentlicht: 30. August 2017

© 2017 Lehnert.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Validierte Fragebögen ergänzen die Anamnese. Gegenüber der klassischen Anwendung mit Stift und Papier kann die Befragung mit mobilen Computern Vorteile haben: Erfassung, Auswertung und Dokumentation sind weniger zeit- und fehleranfällig. Durch das elektronische Interface kann unklares Antwortverhalten vermieden werden (keine Kreuzchen zwischen den Kästchen etc.). Ein Mobiltelefon kann beliebig viele Fragebögen bevorraten und passt doch in die Kitteltasche.

Papierformen der Fragebögen sind häufig leicht erhältlich. Schwieriger ist die Suche nach geeignete Apps, die ausreichend leicht zu benutzen sind, zugleich aber genügend Flexibilität Individualisierung bieten, um auch ungewöhnliche Aufgaben umzusetzen.

Material und Methoden: AppInventor ist eine Programmiersprache und online-Entwicklungsumgebung für Android Apps, die vom MIT entwickelt und kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. AppInventor wurde als Unterrichts-Sprache entwickelt, mit der man das Programmieren besonders leicht lernen können soll. Es scheint sich für die vorliegende Fragestellung in besonders zu eignen, da weder aufwändigen Installationen erforderlich sind (alles auf einer Webseite) noch Befehle gelernt werden müssen: Die einzelnen Kommandos werden, wie Puzzleteile, mit der Maus zu einem Programm angeordnet. Tippfehler sind ausgeschlossen und Syntaxfehler leicht daran zu erkennen, dass die Puzzleteile nicht zueinander passen.

Ein technikaffiner Arzt hat eine Umsetzung des Fragebogens zur Erfassung des Stimmlichen Selbstkonzepts (FESS) sowie weitere Stimmuntersuchungs-Funktionen ohne Hilfestellung durch einen Informatiker umgesetzt.

Ergebnisse: Das Erstellen einer Untersuchungs-App, einschließlich des FESS, ist mithilfe der online verfügbaren Anleitungen rasch gelungen. Das Versprechen einer Programmierung ohne Syntaxfehler wurde erfüllt. Die App kann schon jetzt praktisch verwendet werden und steht jedem zur Verfügung. Die App kann leicht an eigene Anforderungen angepasst oder bedarfsgerecht erweitert werden.

Diskussion: Auch ohne umfangreiche Programmierkenntnisse und ohne Installation einer Entwicklungsumgebung sind individuelle Android-Apps mit AppInventor erstellbar. Vorkenntnisse in einer objektorientierten Programmiersprache sind eine große Hilfe. Das System ist derzeit auf Android begrenzt. Ein kommerzieller Anbieter hat angekündigt, ein Parallelsystem für iOS zu entwickeln.

Fazit: AppInventor kann für eigene Projekte empfohlen werden. Die App sollte bis zu Kongress über den Playstore erhältlich sein.


Text

Einleitung

Fragebögen ergänzen die persönliche Befragung von Patienten. Sie bieten ein hohes Maß an Reproduzierbarkeit, an Objektivität und Vollständigkeit bei Fragen, die man im freien Gespräch vergessen könnte. Fragebögen sind neben der klinisch-praktischen Anwendung wichtige Erhebungsinstrumente bei systematischen Befragungen dort, wo wissenschaftliche Auswertbarkeit von Antworten im Vordergrund steht.

Die klassische Erhebungsform mit Stift und Papier hat neben offensichtlichen Vorteilen eine Reihe von Nachteilen. Eigene Erfahrung zeigt, dass beim VHI-Bogen von der DGPP-Homepage schnell mal die Antwort auf die Zusatzfrage „Wie schätzen Sie Ihre Stimme heute ein“ zum VHI dazugezählt wird. Das Antwortformat mit einzelnen Kästchen verlockt in der Papierversion manche Probanden zu Kreuzchen zwischen zwei Kästchen, wofür es dann in der Auswertung kein einheitliches Vorgehen gibt. Sind in einem Fragebogen die Items verschiedener Skalen miteinander vermischt, ist umständliches Hantieren mit Schablonen oder Auswertebögen erforderlich. Bei mehreren Bögen recht viel Arbeitsaufwand an, wenn man die Werte letztlich digital braucht und letztlich können bedingte Fragen (Wenn Sie X angekreuzt haben, geht es auf Seite 3 weiter) nur schlecht ausgeblendet werden.

Das alles kann, gemeinsam mit dem Preisverfall von Tablet-Computern und der nahezu universellen Präsens von Smartphones, eine primär digitale Erhebung von Fragebögen und ähnlichem über ein digitales Eingabegerät interessant machen. Hinderlich ist die lange Lernkurve, die es braucht, bis man ein solches Gerät in üblicher Weise programmieren kann.

Material und Methoden

Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) verspricht mit seinem Projekt „AppInventor2“ unter der URL http://ai2.appinventor.mit.edu die App-Programmierung für Android-Rechner extrem leicht zu machen: Ohne Installation von Software auf dem eigenen PC, vollständig in eine Webseite eingebettet und mit nur einem kleinen Übertragungsprogramm auf dem eigenen Handy/Tablet-Computer, wird dabei die Benutzeroberfläche der App per drag&drop aus verschiedenen Standardelementen zusammengestellt. Die Programmierlogik wird ebenfalls per drap&drop aus Puzzleteilen zusammengestellt.

Wo beim Erlernen einer Programmiersprache wie Java oder JavaScript, die auf Android dominieren, das Erlernen der Syntaxregeln schwierig und das Auftreten von Syntaxfehlern entmutigend ist, gibt es in AppInventor2 nur eine zentrale Syntaxregel: Wenn die Puzzleteile nicht zusammen passen, dann ist etwas syntaktisch falsch. Einfache Farbkodierungen helfen bei der Sortierung von Programmbausteinen:

Bausteine für die Programmablaufkontrolle sind braun, Bausteine für die Verarbeitung von Texten sind rot, Bausteine für Zahlen und Berechnungen sind blau, alles, was mit Listen zu tun hat, ist blau (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Damit ist die Programmierung von eigenen Apps in AppInventor2 leicht zu lernen.

Zur Prüfung der Tauglichkeit von AppInventor2 für die ernsthafte Anwendung hat ein Arzt ohne Anleitungsbuch, nur mit kostenfreien Internetquellen, allerdings mit Vorerfahrung in verschiedenen Programmiersprachen, eine Android App entwickelt, mit der sich verschiedene Fragebögen erheben lassen, die Stimme aufnehmen lässt, während der Untersuchte vom aufnehmenden Gerät gleichzeitig den Nordwind-und-Sonne-Text liest und ELS-gerecht drei Tonhaltedauer-Versuche messen lassen, ohne die Zwischenwerte zu löschen. Die App speichert alle erhobenen Skalen mit Probandenname und Uhrzeit so, dass alle Ergebnisse leicht per Email oder SMS von dem jeweiligen Gerät verschickt werden können.

Ergebnis

Die Einarbeitungszeit in AppInventor2 war angenehm kurz, die Verfügbarkeit guter Anleitungen im Web war hervorragend. Die Programmierung sowohl von Fragebögen, als auch einer Stimmaufnahmemöglichkeit, als auch maßgeschneiderter Stoppuhren demonstriert die Vielseitigkeit des Systems. Während der Erprobung entstand so eine App, die tatsächlich in der Praxis einsetzbar wäre, die zugleich aber auch leicht eigenen Wünschen anzupassen sein sollte.

Nachteilig ist, dass zwar Programmcode, nicht aber Bedienelemente von einem Screen zum anderen kopiert werden kann. Kopieren von Bedienelementen oder Code oder von einer App zur anderen ist nicht vorgesehen, was prohibitiv für gemeinsames Entwickeln im Team ist. Überhaupt werden für die Zusammenarbeit mit anderen keine Hilfen bereitgestellt. Dies zusammen mit der fehlenden Möglichkeit, Code zu kommentieren oder stabil anzuordnen setzt dem Verfahren Grenzen beim Erstellen mittelgroßer oder gar großer Anwendungen. Ein weiterer, wesentlicher Nachteil ist die Beschränkung auf Android Geräte. Das MIT Spinoff-Unternehmen Thunkable hat zwar das Entwickeln einer Apple-Version angekündigt, über deren Erscheinungsdatum und das erreichbare Maß an Kompatibilität werden aber noch keine Aussagen gemacht.

Fazit

Wer für Studien oder auch die Patientenbetreuung die eigenen Abläufe digitalisieren möchte, kann mit der hier beschriebenen Plattform leicht selbst Android Apps erstellen. Die hier erstellte App ist für jeden frei erhältlich, wer Fragebögen erfassen will, kann sich auch am Code dieser App orientieren. AppInventor2 hält das Versprechen der leichten Erlernbarkeit und Einfachheit in der Bedienung, für Anwendungen von mehr als geringer Komplexität, für Teamarbeit und für iPhone und iPad ist das System nicht geeignet.


Literatur

1.
Nusseck M, Richter B, Echternach M, Spahn C. Entwicklung eines Fragebogens zur Erfassung des stimmlichen Selbstkonzepts. HNO. 2015 Feb;63(2):125-31. DOI: 10.1007/s00106-014-2945-y Externer Link