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34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Bern, 14.09. - 17.09.2017

Testosteron-induzierte Stimm- und Kehlkopfveränderungen bei Frau-zu-Mann-Transsexualismus

Habilitationsvortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Dirk Deuster - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), Dreiländertagung D-A-CH. Bern, Schweiz, 14.-17.09.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV32

doi: 10.3205/17dgpp47, urn:nbn:de:0183-17dgpp475

Veröffentlicht: 30. August 2017

© 2017 Deuster.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Die Hormontherapie mit Testosteron führt bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen (FTM) zu einer Stimmvertiefung. Ziele der Arbeit waren prospektive Untersuchungen des dynamischen und melodischen Stimmumfangs, von Pertubationsparametern, des Dysphonia Severity Index (DSI), der Vokalformanten F1 bis F4, der subjektiven Stimmeinschätzung mittels Voice Handicap Index (VHI) und laryngealer Veränderungen unter Testosterongabe.

Material und Methoden: Bei 9 FTM-Probanden wurden im ersten Jahr (MW 55,2 Wochen) an im Mittel 7,2 Zeitpunkten die mittlere Sprechstimmlage (SFF), das Stimmfeld mit oberer (F0-high) und unterer (F0-low) Grenzfrequenz, Jitter, Shimmer, Glottal-to-Noise-Excitation Ratio (GNE) und der DSI bestimmt sowie der VHI durchgeführt. Anhand eines gehaltenen Vokals /a/ wurden mit Praat die Formanten F1 bis F4 vom Beginn und Ende des Untersuchungszeitraums verglichen. Zur Untersuchung laryngealer Veränderungen wurden 72 Bilder unterschiedlicher Untersuchungszeitpunkte von FTM-Probanden, 20 Bilder biologischer Männer und 26 Bilder biologischer Frauen von acht PhoniaterInnen einem Geschlecht zugeordnet. Danach mussten die Experten von 2 Bildern von FTM, erstellt zu unterschiedlichen Zeitpunkten, dasjenige benennen, das zeitlich als erstes aufgenommen wurde.

Ergebnisse: SFF (p<0,001), F0-low (p<0,001), F0-high (p=0,02) veränderten sich signifikant im Zeitverlauf. Stimmumfang, Pertubationsparameter und DSI zeigten keine signifikanten Veränderungen. Im VHI bestand ab Woche 20–25 ein signifikant niedrigerer Summenscore (–19,96, p=0,027), er korrelierte signifikant mit der SFF (r=0,963, p<0,001). Der Vergleich der Formanten F1 bis F4 ließ keine signifikanten Unterschiede erkennen. Die Geschlechtszuordnung der Bilder war in 68,4% der Ratings korrekt (Männer 81,5%, Frauen 58,5%, FTM 68,18% als Frau) ohne signifikanten Zusammenhang mit der Dauer der Testosteronbehandlung oder der SFF. Die Zuordnung der korrekten Reihenfolge zwischen 2 Bildern der FTM gelang in 65,15% der Ratings ohne signifikanten Einfluss der Zeit- oder SFF-Differenz zwischen den Bildern.

Diskussion: Unter Testosteron sanken die oberen und unteren Grenzfrequenzen parallel zur SFF ohne Einschränkungen des Stimmumfangs und ohne Änderungen der Pertubationsparameter ab. Laryngoskopisch erkennbare Kehlkopfveränderungen zeigten sich nicht.

Fazit: Im Unterschied zur Wirkung auf den juvenilen Larynx bewirkt Testosteron am adulten Larynx eine Stimmvertiefung ohne laryngoskopisch sichtbares Größenwachstum. Eine geeignete Zielstruktur, die die Ergebnisse der Untersuchungen erklären kann, ist der M. thyroarytaenoideus.


Text

Einleitung

Die Behandlung mit Testosteronderivaten ist eine der empfohlenen Behandlungsmethoden bei Frau-zu-Mann-transsexuellen Personen (FTM). Nach Beginn der Testosteronzufuhr tritt bei FTM nach wenigen Wochen eine Stimmvertiefung ein [1], [2]. Ziel der Untersuchungen waren prospektive Untersuchungen des dynamischen und melodischen Stimmumfangs, von Pertubationsparametern, des Dysphonia Severity Index, der Vokalformanten F1 bis F4, der Stimmzufriedenheit mittels Voice Handicap Index (VHI) und laryngealer Veränderungen im Verlauf des ersten Jahres unter Testosterongabe.

Methode

Bei 9 FTM-Probanden im ersten Jahr (MW 55,2 Wochen) an im Mittel 7,2 Zeitpunkten folgende Parameter bestimmt: mittlere Sprechstimmlage (SFF), dynamischer und melodische Umfang mit den oberen (F0-high) und unteren (F0-low) Grenzfrequenzen, die Pertubationsparameter Jitter, Shimmer, Glottal-to-Noise-Excitation Ratio (GNE), der Dysphonia Severity Index (DSI). Veränderungen des Ansatzrohres wurden mittels Formantanalyse F1 bis F4 eines gehaltenen Vokals /a/ am Beginn und am Ende des Untersuchungszeitraums anhand von Breitband-Sonagrammen untersucht. Zusätzlich wurde der VHI eingesetzt. Es wurden 9 Zeiträume zwischen der ersten und letzten Untersuchung definiert (T1–T9) und die Untersuchungsergebnisse gemittelt.

Zur Untersuchung Testosteron-induzierter laryngealer Veränderungen wurden mittels eines Online-Fragebogens 72 Bilder unterschiedlicher Untersuchungszeitpunkte von 11 FTM-Probanden und 20 Bilder biologischer Männer und 26 Bilder biologischer Frauen ausgewählt, die von je vier weiblichen und männlichen Phoniatern einem Mann oder einer Frau zugeordnet werden sollten. In einem weiteren Schritt wurden von den FTM-Probanden je 2 Bilder von 3 unterschiedlichen Untersuchungszeitpunkten ausgewählt und jeweils kombiniert: vor Beginn der Testosteronbehandlung, am Ende des Untersuchungszeitraums und während des Untersuchungszeitraums zu einem Zeitpunkt, an dem die Stimme mindestens um die Hälfte abgesunken war. Aufgabe der Experten war, das Bild zu benennen, das zeitlich als erstes aufgenommen wurde

Ergebnisse

F0-low (p<0,001) und F0-high (p=0,02) veränderten sich signifikant im Zeitverlauf. Im Vergleich mit der Messung vor Beginn der Testosteronbehandlung zeigte sich ein signifikanter Unterschied erstmals nach 8–13 Wochen (T3) mit einer Veränderung von –5,8 Halbtönen (SD 1,75) für F0-low und 6,3 Halbtönen (SD 3,23) für F0-high. Die SFF sank im Zeitverlauf ebenfalls signifikant (p<0,001) ab und vertiefte sich bis zum Untersuchungsende um 8,9 Halbtöne (SD 1,5). Der dynamische und der melodische Stimmumfang zeigten im Zeitverlauf keine signifikanten Veränderungen, ebenso die Pertubationsparameter Jitter, Shimmer und GNE. Der VHI änderte sich signifikant mit einer ab Woche 20–25 (T5) signifikant höheren Stimmzufriedenheit (–19,96 im Summenscore, p=0,027) und hochsignifikanter Korrelation mit der SFF (r=0,963, p<0,001). Die spektrographische Analyse der Formanten F1 bis F4 ließ keine signifikanten Unterschiede zwischen dem Beginn und dem Ende des Untersuchungszeitraums erkennen.

Die Geschlechtszuordnung der Bilder war in 68,42% der Ratings korrekt, am häufigsten in der Gruppe der biologischen Männer mit 81,5% und am geringsten in der der biologischen Frauen mit 58,47%. In diesen Gruppen bestand ein signifikanter Zusammenhang zwischen einer richtigen Geschlechtszuordnung und der unteren Stimmgrenze (r=–0,347, p=0,018) und der Körpergröße (r=0,336, p=0,023). Die Bilder der FTM-Probanden wurden in 68,18% der Ratings einer Frau zugeordnet. Bei den FTM-Probanden zeigten sich keine signifikanten Zusammenhänge zwischen der Geschlechtszuordnung und dem Zeitpunkt der Untersuchung nach Beginn der Testosteronbehandlung oder der erreichten SFF. Die Intrarater-Reliabilität zeigte bei 5 Experten ein signifikantes (r=0,577 bis r=0,853, p≤0,024), bei 3 Experten kein signifikantes Ergebnis (r=–0,105 bis r=0,452). Die Interrater-Reliabilität betrug 0,1867. Die Zuordnung der korrekten Reihenfolge zwischen 2 Bildern der FTM-Probanden gelang in 65,15% der Ratings. Weder die Zeitdifferenz in Wochen noch die SFF-Differenz in Halbtönen zeigte eine ausreichend hohe und signifikante Korrelation mit der Anzahl der korrekten Zuordnungen der Reihenfolge durch die Experten.

Diskussion und Fazit

Es wurde erstmalig gezeigt, dass sich die oberen und unteren Grenzfrequenzen parallel zur SFF verändern, ohne dass Einschränkungen des dynamischen oder melodischen Stimmumfangs oder Änderungen der Pertubationsparameter auftreten. Fehlende signifikante Unterschiede bei der Formantanalyse lassen zudem auf eine gleichbleibende Konfiguration des Ansatzrohres ohne Testosteron-induzierte Veränderungen schließen.

Laryngostroboskopische Bildaufnahmen konnten auch von Experten nicht zuverlässig Männern oder Frauen zugeordnet werden, somit war diese Methode nicht geeignet ist, mögliche laryngoskopische Veränderungen bei FTM-Probanden zu detektieren. Zudem zeigte die Intrarater-Reliabilität nur bei 3 der 5 Experten ein signifikantes und die Interrater-Reliabilität nur ein niedriges Ergebnis. Dass die Zuordnung der korrekten Reihenfolge zwischen 2 Bildern der FTM-Probanden weder mit der Zeit- noch der SFF-Differenz korrelierten, muss dahingehend interpretiert werden, dass durch die Testosteronbehandlung keine konstanten Kehlkopfveränderungen auftreten, die laryngoskopisch erkennbar wären. Eine geeignete Struktur, die laryngoskopisch nicht ausreichend beurteilbar ist, deren Veränderung aber sowohl die Ergebnisse der Untersuchung der objektiven Stimmparameter als auch die des Expertenratings erklären würden, ist der Musculus thyroarytaenoideus. Die Ergebnisse dieser Arbeit weisen in Verbindung mit den Kenntnissen um die Testosteronsensitivität von Muskelgewebe eindeutig in diese Richtung.


Literatur

1.
Deuster D, Matulat P, Knief A, Zitzmann M, Rosslau K, Szukaj M, am Zehnhoff-Dinnesen A, Schmidt CM. Voice deepening under testosterone treatment in female-to-male gender dysphoric individuals. Eur Arch Otorhinolaryngol. 2016 Apr;273(4):959-65. DOI: 10.1007/s00405-015-3846-8 Externer Link
2.
Nygren U, Nordenskjöld A, Arver S, Södersten M. Effects on Voice Fundamental Frequency and Satisfaction with Voice in Trans Men during Testosterone Treatment-A Longitudinal Study. J Voice. 2016 Nov;30(6):766.e23-766.e34. DOI: 10.1016/j.jvoice.2015.10.016 Externer Link