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34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Bern, 14.09. - 17.09.2017

Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS) bei Erstklässlern: Welche Tests trennen auffällige von unauffälligen Kindern?

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), Dreiländertagung D-A-CH. Bern, Schweiz, 14.-17.09.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP5

doi: 10.3205/17dgpp18, urn:nbn:de:0183-17dgpp188

Veröffentlicht: 30. August 2017

© 2017 Werner et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Im kontrollierten Gruppenvergleich konnte für Zweit-, Dritt- und Viertklässler bereits gezeigt werden, dass eine Trennung der Gruppen AVWS und Non-AVWS durch 3 bzw. 4 Untersuchungsinstrumente möglich war mit einer Zuordnungsrichtigkeit von 93,6% bzw. 97,5% [1], [2]. Die aktuelle Erhebung erfolgte mit der Fragestellung, ob und mit welchen Tests der bekannten eklektischen Testbatterie [1], [2] auch für Erstklässler eine Trennung der Gruppen gelingt.

Material und Methoden: Leistungen von 78 Kindern (n=41 mit AVWS; n=37 Non-AVWS) im 1. Grundschuljahr wurden in 8 spezifisch auditiven Tests miteinander verglichen [Uttenweiler-Test zum Dichotischen Wortverstehen; Subtests Lautdifferenzierung und Kinästhetik (Heidelberger Lautdifferenzierungstest- HLAD); Göttinger Sprachaudiometrie II im Störgeräusch; Hannoverscher Binauraler Summationstest; Zahlenfolgen-Gedächtnis und Laute Verbinden (Psycholinguistischer Entwicklungstest); Mottier-Test]. Die Subtests des Psychoakustischen Testsystems wurden nicht berücksichtigt, da selbst Non-AVWS-Kinder diese Tests nur in 86–89% der Fälle bewältigten. Zudem wurde die Phonemanalyse (HLAD) ausgeschlossen wegen der sich im Lauf des 1. Schuljahres generell noch als relativ instabil darstellenden Fähigkeit der Phonem-Graphem-Zuordnung.

Ergebnisse: Kinder mit AVWS im 1. Regelgrundschuljahr wurden von unauffälligen Kindern (Non-AVWS) der gleichen Schuljahrgangsstufe in 94,8% aller Fälle (kreuzvalidiert: in 92,2%) statistisch signifikant durch folgende Testvariablen getrennt: (1) PET-Zahlenfolgen-Gedächtnis; (2) HLAD-Lautdifferenzierung; (3) Mottier-Test; (4) Sprachaudiometrie im Störgeräusch.

Diskussion: Bei Vergleich der Daten mit den empirisch belegten für Kinder der 2., 3. und 4. Grundschulklassenstufe [1], [2] bildeten zwei Tests eine Schnittmenge: das Sprachverstehen im Störgeräusch und der Mottier-Test. Daher sollte in der AVWS-Diagnostik bei Erstklässlern insbesondere auf die Testergebnisse in diesen Instrumenten geachtet werden.

Fazit: Die Qualität der diagnostischen A-Priori-Gruppierung konnte für das 1. Regelgrundschuljahr bestätigt werden.


Text

Einleitung

In der klinischen und in der Forschungsliteratur gibt es wenig Übereinstimmung hinsichtlich der diagnostischen Kriterien, die Kinder mit AVWS von solchen ohne AVWS zuverlässig zu trennen vermögen. Nickisch & Kiese-Himmel [1] zeigten im kontrollierten Gruppenvergleich an 8- bis 10-jährigen Dritt- und Viertklässlern, dass eine Trennung in 94% der Fälle (nach Kreuzvalidierung in 91%) durch 3 Untersuchungsinstrumente möglich war: (1) Mottier-Test; (2) Göttinger Sprachaudiometrie II im Störgeräusch; (3) HLAD-Subtest „Phonemdifferenzierung“. Bei Zweitklässlern, im Mittel 7-jährig, erlaubten 4 Instrumente statistisch signifikant eine sehr gute dichotome Gruppierung in 97,5% aller Fälle: (1) Göttinger Sprachaudiometrie II im Störgeräusch; (2) Uttenweiler-Test zum Dichotischen Wortverstehen; (3) PET-Zahlenfolgen-Gedächtnis; (4) Mottier-Test [2]. Die Zuordnungsrichtigkeit war mit 93,6% auch nach Kreuzvalidierung noch relativ hoch. Mit der aktuellen Erhebung sollte festgestellt werden, ob die Trennung beider Gruppen auch von noch jüngeren Kindern, d.h. in der 1. Schulklassenstufe, möglich ist.

Studienkollektiv

  • Klinische Gruppe „AVWS“: n=40 Kinder; mittleres Alter 6,76 Jahre (SD 0,55); Altersspanne 6–8 Jahre.
  • Kontrollgruppe „Non-AVWS“: n=37 unauffällig entwickelte Kinder; mittleres Alter 6,9 Jahre (SD 0,52); Altersspanne 6–8 Jahre; monolingual deutschsprachig, nicht aktuell bzw. anamnestisch sprachentwicklungsgestört, keine Hinweise auf Lese-Rechtschreibschwäche.

Alle Untersuchungen erfolgten für beide Gruppen jeweils im 2. Halbjahr der 1. Schulklassenstufe.

Diagnostische Untersuchungsinstrumente

Uttenweiler-Test zum Dichotischen Wortverstehen; Subtests Lautdifferenzierung, Lautidentifikation/Kinästhetik, Phonemanalyse/Phonem-Graphem-Korrespondenz (Heidelberger Lautdifferenzierungstest HLAD); Göttinger Sprachaudiometrie II im Störgeräusch; Hannoverscher Binauraler Summationstest; Zahlenfolgen-Gedächtnis und Laute Verbinden (Psycholinguistischer Entwicklungstest PET); Mottier-Test; Psychoakustisches Testsystem PaTsy (Tonhöhen- und Pegel-Differenzierungsschwelle; mono- und binaurale Ordnungsschwelle; gap-detection).

Statistische Auswertung: Schrittweise Diskriminanzanalyse. Bei jedem Rechenschritt wurde die Variable aufgenommen, die das gesamte Wilks Lambda minimierte; maximale Signifikanz F-Wert für die Aufnahme 0.10, für den Ausschluss 0.15 (Irrtumswahrscheinlichkeit p=0.05) der beiden untersuchten Gruppen. Die Auswertung erfolgte mit dem Programm IBM SPSS Statistics 24. Außer den PaTSy-Tests und der HLAD-Phonemanalyse wurden alle o.g. Untersuchungsinstrumente herangezogen. Die Phonemanalyse wurde ausgeschlossen, da sich diese im Lauf des 1. Schuljahres noch als relativ instabil darstellt, was die Phonem-Graphem-Zuordnung betrifft – je nach Unterrichtscurriculum und Unterrichtstempo. Die Subtests aus dem psychoakustischen Testsystem PaTsy wurden aus der Erhebung ausgeschlossen, da nur 86–89% der Non-AVWS-Kinder bzw. 75–85% der AVWS-Kinder alle Subtests bewältigten.

Ergebnisse

Kinder mit AVWS im 1. Regelgrundschuljahr wurden von unauffälligen Kindern (Non-AVWS) der gleichen Schuljahrgangsstufe in 94,8% aller Fälle (kreuzvalidiert: in 92,2%) statistisch signifikant durch folgende Testvariablen getrennt: (1) PET-Zahlenfolgen-Gedächtnis; (2) HLAD-Lautdifferenzierung; (3) Mottier-Test; (4) Sprachaudiometrie im Störgeräusch (Tabelle 1 [Tab. 1] und Tabelle 2 [Tab. 2]). Falsch zugeordnet wurden 4 Kinder (5,2%) bzw. kreuzvalidiert 6 Kinder (7,8%).

Diskussion

In der Diagnostik von AVWS bei Grundschulkindern im 1. Schuljahr wurden mittels Kontrollgruppenvergleich datengestützt Untersuchungsinstrumente empirisch evaluiert und die Qualität der diagnostischen A-Priori-Gruppierung bestätigt. Bei Vergleich der vier Testvariablen mit Diskriminanzfunktion für Erstklässler mit den empirisch belegten für Zweitklässler [2] sowie denen für Dritt- und Viertklässler [1] bildeten zwei Testmaße eine Schnittmenge: das Sprachverstehen im Störgeräusch und der Mottier-Test. Kognitive Parameter wie z.B. die Sprachwahrnehmung, welche Phonemdifferenzierung und phonologisches Arbeitsgedächtnis impliziert, stellen bei AVWS eine zentrale Befundproblematik dar. Daher sollte in der AVWS-Diagnostik bei Grundschülern im 1. Schuljahr insbesondere auf die Testergebnisse in diesen Instrumenten geachtet werden.


Literatur

1.
Nickisch A, Kiese-Himmel C. Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsleistungen 8- bis 10-Jähriger: Welche Tests trennen auffällige von unauffälligen Kindern? Laryngorhinootologie. 2009 Jul;88(7):469-76. DOI: 10.1055/s-0028-1119403 Externer Link
2.
Nickisch A, Gohde K, Kiese-Himmel C. AVWS bei Regelschülern im 2. Schuljahr: Welche Tests trennen auffällige von unauffälligen Kindern? Laryngorhinootologie. 2013 Sep;92(9):594-9. DOI: 10.1055/s-0031-1299758 Externer Link