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33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Regensburg, 22.09. - 25.09.2016

Cochlea-Implantation bei kongenital einseitig hochgradig hörgeschädigten Kindern

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Christiane Völter - HNO Klinik, Bochum, Deutschland
  • Katrin Neumann - HNO Klinik, Bochum, Deutschland
  • Stefan Dazert - HNO Klinik, Bochum, Deutschland
  • Jan Peter Thomas - HNO Klinik, Bochum, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Regensburg, 22.-25.09.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocV36

doi: 10.3205/16dgpp57, urn:nbn:de:0183-16dgpp576

Veröffentlicht: 8. September 2016

© 2016 Völter et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Während die CI-Versorgung von Erwachsenen mit einseitiger Ertaubung (SSD) mittlerweile etabliert ist, wird die Versorgung von hereditär einseitig hochgradig hörgeschädigten Kindern noch immer kontrovers diskutiert. In der Literatur liegen hierzu bislang nur Einzelfallberichte oder Studien mit geringer Fallzahl vor.

Material und Methoden: Die Auswirkung des CIs auf das Sprachverstehen im Störlärm wurde mit dem OLKiSa (adaptativ bei 65 dB SS, NssdSnh, S0ºN0º, SssdNnh), das Lokalisationsvermögen im Freifeld (+90º, 0º, –90º) erhoben. Daneben kamen ein Fragebogen zur Beurteilung der Akzeptanz des CIs und der SSQ-Fragebogen für Eltern (modifiziert nach Galvin) zur subjektiven Beurteilung der p.o. Hörqualität, des Richtungshörens und des Sprachverstehens im Störlärm zum Einsatz.

Ergebnisse: Eingeschlossen wurden in die Studie 21 Kinder, die im Alter von 0,1 und 11,3 Jahren zwischen 06/2012 und 01/2016 in der HNO-Uniklinik Bochum aufgrund einer hereditären SSD mit einem CI versorgt wurden. Ausgewertet konnten 20 Kinder, hiervon 12 Kinder (<5 J.), die im Rahmen des NGHörscreening und 8 Kinder (>5 J.), die wegen Schul- oder Verhaltensproblemen auffällig geworden waren.

Das binaurale Hören ließ sich gemessen am OLKiSa in allen drei Situationen (Squelch-, binauraler Summations- und Head Shadow Effekt) statistisch signifikant verbessern, am deutlichsten bei SssdNnh. Große Unterschiede fanden sich in der Fähigkeit der Schallokalisation ohne und mit CI. Am deutlichsten war der Einfluss des CIs bei Gabe des Stimulus von der tauben Seite.

Fremdanamnestisch wurde eine positive Auswirkung in allen drei Hörbereichen beschrieben. 17 von 20 Eltern würden sich ohne Bedenken erneut für eine Implantation entscheiden. 3 der 20 Kinder fühlten sich jedoch durch das CI stigmatisiert, 1 Kind wurde im Verlauf zu einem kompletten Non-User, 3 zu partiellen Usern. Alle anderen Kinder trugen ihr CI ganztags ohne Probleme.

Diskussion: Auch wenn die objektiven audiologischen Daten und die subjektive Bewertung einen positiven Effekt des CIs zeigen, sollte dennoch die Indikation im Hinblick auf eine mögliche Stigmatisierung im höherem Lebensalter und die Gefahr einer kompletten Verweigerung des Implantates im Einzelfall immer kritisch betrachtet werden bis Langzeitergebnisse mit größeren Fallzahlen vorliegen.


Text

Hintergrund

Die Cochlea-Implantation ist bei erwachsenen Patienten mit einseitiger erworbener Taubheit (SSD) selbst bei langfristig Ertaubten ein mittlerweile etabliertes Therapieverfahren [1], [2]. Auch bei Kindern mit einer postlingual erworbenen SSD gibt es bereits erste Veröffentlichungen, die den audiologischen Nutzen durch eine einseitige CI-Versorgung nachweisen [3]. Hingegen existieren bei Kindern mit kongenitaler Taubheit bislang lediglich nur wenige Fallberichte, in denen der Effekt einer Cochlea-Implantation beschrieben wird [3], [4].

Material und Methoden

Ausgewertet wurden die Ergebnisse der Patienten, die seit 06/2012 aufgrund einer kongenitalen Taubheit in unserer Klinik mit einem CI versorgt wurden und bis zum Untersuchungszeit eine Hörerfahrung mit dem CI von mindestens 12 Monaten aufwiesen. Von audiologischer Seite wurde das Sprachverstehen im Störgeräusch mit dem Oldenburger Kindersatztest (OlKiSa) (adaptiv, 65 dB) in den Anordnungen SssdNnh, S0N0 und NssdSnh sowie des Lateralisationsvermögen mittels Darbietung von jeweils 10 OlKiSa-Sätzen aus 3 Lautsprechern (+90º, 0º, –90º) im Freifeld gemessen. Zum Ausschluss einer zwischenzeitlichen Verschlechterung des Hörvermögens des Gegenohres erfolgte eine Tonaudiometrie der Gegenseite. Die subjektive Evaluation von Sprachverstehens, Richtungshörvermögen und Hörqualität erfolgte anhand des Speech, Spatial and Quality (SSQ)- Fragebogens für Eltern modifiziert nach Galvin. Des Weiteren wurden Parameter wie Akzeptanz, Nutzen und Zufriedenheit evaluiert.

Ergebnisse

Eingeschlossen wurden in die Studie 22 Kinder im Alter von 0,1 bis 11,3 Jahren, die seit 06/2012 in der HNO-Uniklinik Bochum aufgrund einer kongenitalen SSD mit einem CI versorgt wurden. Präoperativ erfolgte bei allen Patienten der MR-radiologische Ausschluss einer Aplasie/Hypoplasie des N. vestibulocochlearis. 11 Kindern wurden aufgrund der im Rahmen des Neugeborenenhörscreenings erfolgten Diagnosestellung in unserer Klinik vorgestellt, bei der anderen Hälfte der Patienten erfolgte die Vorstellung aufgrund von Schulschwierigkeiten oder Sprachentwicklungsverzögerungen. Vollständige audiologische Daten lagen von insgesamt 14 Patienten vor, von denen 13 älter als 3 ½ Jahre zum Zeitpunkt der Implantation waren.

Bei der Messung des binauralen Hörens mit dem OlKiSa zeigte sich ein statistisch signifikanter Nutzen in allen drei Messanordungen mit einer Verbesserung der signal-to-noise ratio (SNR) in SssdNnh von 2,11 ± 2,5 dB (p=0.006), in S0N0 von 0,98 ± 0,62 dB (p=0.00012) sowie in NssdSnh von 0,95 ± 1,39 dB (p=0.042). Bei der Testung des Lateralisationsvermögens fand sich eine statistisch signifikante Verbesserung in der Messung mit CI verglichen mit der unversorgten Situation bei Präsentation des Stimulus von der hörgeschädigten als auch von der normal hörenden Seite (p<0.001), hingegen keine Verbesserung bei Angebot des Stimulus von vorne (p=0.36). Die Evaluation des Lokalisationsfehlers zeigte eine signifikante Präferenz der Schalllokalisation zugunsten der hörenden Seite. Bei der Beurteilung der subjektiven Wahrnehmung der Eltern wurde eine signifikante Verbesserung aller drei Untertests des SSQ-Fragebogens nachgewiesen. Insgesamt würden sich 16 von 19 Eltern ohne Bedenken erneut für eine Implantation entscheiden. Aktuell tragen insgesamt 80% der Kinder ihren Sprachprozessor mehr als 10–12 h täglich. 20% sind nur partielle oder Non-User. Eine relevante Stigmatisierung durch das Tragen des Sprachprozessors wurde von 3 Kindern, allesamt älter als 10 Jahre zum Zeitpunkt der Untersuchung, wahrgenommen, wovon 2 dieser Kinder zu den Non- bzw. nur partiellen Usern gehören.

Diskussion

Bislang konnte bei beidseits hochgradig Hörgeschädigten gezeigt werden, dass der Nutzen einer Cochlea-Implantation umso höher ist, je früher die Implantation erfolgt, um hiermit die Ausreifung der zentralen Hörbahnen optimal zu nutzen. Hingegen ist noch nicht eindeutig geklärt, inwieweit ein einseitig normales Hörvermögen die sensible Phase der Hörbahnreifung ausdehnt und somit auch zu einem späteren Zeitpunkt durch eine Cochlea-Implantation ein echtes bilaterales Hörvermögen erzielt werden kann. Kral et al. [5] und Gordon et al. [6] konnten im Tierexperiment bzw. mittels EEG-Messungen beim Menschen nachweisen, dass die Versorgung eines kongenital einseitig tauben Individuums mit einem CI nach 1,5 Jahren einseitiger Taubheit zu einem asymmetrischen Reifungsprozess der zentralen auditorischen Hörbahnen führt. Andererseits ließ sich auch zeigen, dass das zu einem späteren Zeitpunkt das mit einem CI versorgte Ohr befähigt bleibt, den auditorischen Kortex zu stimulieren [5]. Unsere Daten legen bei Kindern mit einer kongenitalen SSD eine längere sensible Phase als 1,5 Jahre für den Nutzen durch ein CI nahe. Patienten mit einem Implantationszeitalter von mehr als 3 ½ Jahren zeigen einen, wenn auch moderaten, jedoch signifikanten binauralen Nutzen durch die Hinzunahme des CI mit Nachweis eines kombinierten Head Shadow Effekts und in geringerem Ausmaße auch eines Squelch und Binauralen Summationseffekts. Verglichen mit erwachsenen Patienten mit erworbener SSD ist dieser audiologische Nutzen jedoch geringer [1]. Entgegen bisheriger Einzelfallberichte [3], [4] konnte bei den von uns untersuchten Patienten zudem eine Verbesserung des Lateralisationsvermögens bei Angebot des Stimulus von beiden Seiten nachgewiesen werden. Bei der Fremdbeurteilung durch die Eltern zeigt sich insgesamt eine hohe subjektive Zufriedenheit und Verbesserung der Hörfähigkeiten. Allerdings findet sich bei Kindern nach dem Wechsel auf eine weiterführende Schule auch eine deutliche Wahrnehmung einer Stigmatisierung mit Reduktion der Akzeptanz des Tragens des Sprachprozessors.

Fazit

Bei Kindern, die aufgrund einer kongenitalen SSD ab dem 3. LJ mit einem CI versorgt werden, zeigt sich audiologisch ein Nutzen und eine positive subjektive Einschätzung durch Eltern und Kinder. Dennoch sollte die Indikation im Hinblick auf eine mögliche Stigmatisierung und die Gefahr einer Verweigerung des Implantates in der weiteren Entwicklung individuell immer kritisch betrachtet werden. Langzeitergebnisse von Kindern, die vor dem 3. Lebensjahr implantiert wurden, stehen bislang noch aus.


Literatur

1.
Arndt S, Aschendorff A, Laszig R, Beck R, Schild C, Kroeger S, Ihorst G, Wesarg T. Comparison of pseudobinaural hearing to real binaural hearing rehabilitation after cochlear implantation in patients with unilateral deafness and tinnitus. Otol Neurotol. 2011 Jan;32(1):39-47. DOI: 10.1097/MAO.0b013e3181fcf271 Externer Link
2.
Távora-Vieira D, Boisvert I, McMahon CM, Maric V, Rajan GP. Successful outcomes of cochlear implantation in long-term unilateral deafness: brain plasticity? Neuroreport. 2013 Sep;24(13):724-9. DOI: 10.1097/WNR.0b013e3283642a93 Externer Link
3.
Arndt S, Prosse S, Laszig R, Wesarg T, Aschendorff A, Hassepass F. Cochlear implantation in children with single-sided deafness: does aetiology and duration of deafness matter? Audiol Neurootol. 2015;20 Suppl 1:21-30. DOI: 10.1159/000380744 Externer Link
4.
Távora-Vieira-Vieira D, Rajan GP. Cochlear implantation in children with congenital and noncongenital unilateral deafness: a case series. Otol Neurotol. 2015 Feb;36(2):235-9. DOI: 10.1097/MAO.0000000000000677 Externer Link
5.
Kral A, Hubka P, Heid S, Tillein J. Single-sided deafness leads to unilateral aural preference within an early sensitive period. Brain. 2013 Jan;136(Pt 1):180-93. DOI: 10.1093/brain/aws305 Externer Link
6.
Gordon KA, Wong DD, Papsin BC. Bilateral input protects the cortex from unilaterally-driven reorganization in children who are deaf. Brain. 2013 May;136(Pt 5):1609-25. DOI: 10.1093/brain/awt052 Externer Link