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Gibt es einen klinischen Nutzen von Jitter und Shimmer bei Stimmpatienten?
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Veröffentlicht: | 8. September 2016 |
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Zusammenfassung
Hintergrund: Gemäß Empfehlungen der Europäischen Laryngologischen Vereinigung (ELS Protokoll) werden die instrumentellen akustischen Parameter Jitter und Shimmer bei „bequemer“ Sprechlautstärke für eine umfassende Stimmdiagnostik gemessen. Unter diesen Bedingungen haben jedoch die individuelle Sprechlautstärke, der Vokal und das Geschlecht einen signifikanten Einfluss auf beide Parameter. Bei Stimmgesunden sinken Jitter und Shimmer, wenn diese lauter sprechen. Unklar ist bisher, ob ähnliche Effekte auch für pathologische Stimmen gelten. In dieser Studie wurde der Einfluss der Sprechlautstärke bei subjektiv „leiser“, „bequemer“ und „lauter“ Stimmgebung auf Jitter und Shimmer bei Erwachsenen ohne und mit Stimmerkrankung untersucht.
Material und Methoden: In einer Fall-Kontroll-Studie wurden 59 Stimmpatientinnen zwischen 18–61 Jahren (Mittel:27, SD:12.4) anhand der Kriterien Alter und Beruf mit 59 stimmgesunden Frauen gepaart. Die Diagnosen umfassten Stimmlippenknötchen (n=39, 66%), Polypen (n=5, 9%) und funktionelle Stimmstörungen (n=15, 25%). Alle phonierten 3-mal den verlängerten Vokal /a/ bei subjektiv „leiser“, „bequemer“ und „lauter“ Sprechlautstärke. Mittels PRAAT wurden die Sprechlautstärke (dB SPL), Grundfrequenz F0 (Hz), Jitter (%) und Shimmer (%) analysiert. Der Einfluss der Sprechlautstärke (leise/bequem/laut), Erkrankung (gesund/pathologisch) und Diagnose (Knötchen/Polyp/Funktionell) wurde mittels Varianzanalyse (ANOVA) untersucht.
Ergebnisse: Eine höhere Sprechlautstärke war bei gesunden und pathologischen Stimmen mit hoch signifikant niedrigerem Jitter und Shimmer assoziiert (p<0.001). Es gab für Jitter und Shimmer keine signifikanten Unterschiede zwischen gesunden und pathologischen Stimmen oder Diagnosen.
Diskussion: Die individuelle Sprechlautstärke ist auch bei Stimmpatienten ein signifikanter Einflussfaktor bei Messungen von Jitter und Shimmer. Natürliche oder pathologiebedingte Unterschiede in der Sprechlautstärke können somit klinische Messergebnisse erheblich beeinflussen. Systematische Unterschiede zwischen Gesunden und Stimmerkrankten oder einzelnen Diagnosen waren in einer kontrollierten Gruppe von altersgleichen Frauen mit ähnlicher Stimmbelastung für Jitter oder Shimmer nicht nachweisbar.
Fazit: Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse stellen die Validität von Jitter und Shimmer sowie abgeleiteter Parameter (beispielweise DSI) zur Erkennung von Pathologien im Rahmen der Stimmdiagnostik erheblich in Frage.
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Hintergrund
Gemäß Protokoll der Europäischen Laryngologischen Vereinigung (ELS Protokoll) werden für eine umfassende Stimmdiagnostik untern anderem die instrumentellen akustischen Parameter Jitter und Shimmer gemessen. Diese Parameter geben die Abweichung der Tonhöhe (Jitter) und Lautstärke (Shimmer) von einer akustischen Welle zur nächsten an. Für die Untersuchung werden Patienten normalerweise gebeten, einen verlängerten Vokal bei subjektiv „bequemer“ Sprechlautstärke und Tonhöhe zu sprechen [1]. Unter diesen Bedingungen haben jedoch die individuelle Sprechlautstärke und mittlere Sprechstimmlage, der Vokal und das Geschlecht einen signifikanten Einfluss auf beide Parameter. Im Quervergleich wirken sich Unterschiede in der individuellen Sprechlautstärke deutlich stärker als alle anderen Faktoren auf Jitter und Shimmer aus. Bei stimmgesunden Kindern und Erwachsenen sinken Jitter und Shimmer wesentlich, wenn diese lauter sprechen [2], [3]. Unklar ist bisher, ob ähnliche Effekte auch bei pathologischen Stimmen auftreten. In dieser Studie wurde der Einfluss der Sprechlautstärke bei subjektiv „leiser“, „bequemer“ und „lauter“ Stimmgebung auf Jitter und Shimmer bei erwachsenen Frauen ohne und mit Stimmerkrankung untersucht.
Material und Methoden
In einer Fall-Kontroll-Studie wurden 59 Stimmpatientinnen zwischen 18–61 Jahren (Mittelwert: 27 Jahre, SD: 12.4) anhand der Kriterien Alter und Beruf mit 59 stimmgesunden Frauen gepaart. Die Diagnosen umfassten Stimmlippenknötchen (n=39, 66%), Polypen (n=5, 9%) und funktionelle Stimmstörungen (n=15, 25%). Alle sprachen 3 Mal den verlängerten Vokal /a/ bei subjektiv „leiser“, „bequemer“ und „lauter“ Sprechlautstärke. Mit der Software PRAAT [4] wurden die instrumentellen akustischen Parameter Sprechlautstärke (dB SPL), Grundfrequenz F0 (Hz), Jitter (%) und Shimmer (%) analysiert. Der Einfluss der Faktoren Sprechlautstärke (leise/bequem/laut), Erkrankung (gesund/pathologisch) und Diagnose (Knötchen/Polyp/Funktionell) wurde mittels Varianzanalyse (ANOVA) untersucht.
Ergebnisse
Eine höhere Sprechlautstärke war bei gesunden und pathologischen Stimmen mit hoch signifikant niedrigerem Jitter und Shimmer assoziiert (p<0.001). Es gab für Jitter und Shimmer keine signifikanten Unterschiede zwischen gesunden und pathologischen Stimmen oder Diagnosen. Sowohl Jitter als auch Shimmer wiesen eine erhebliche Streubreite auf (Abbildung 1 [Abb. 1]).
Diskussion
Die individuelle Sprechlautstärke ist auch bei Stimmpatienten ein signifikanter Einflussfaktor für Jitter und Shimmer Messungen. Natürliche individuelle oder durch die Stimmerkrankung bedingte Unterschiede in der Sprechlautstärke können somit klinische Messergebnisse erheblich beeinflussen. Auch zielen Stimmübungstherapien teilweise darauf ab, dass Patienten lauter sprechen. Verbesserte Jitter und Shimmer Werte können somit eine Folge der trainierten lauteren Stimmgebung sein, ohne dass das Vibrationsverhalten der Stimmlippen hierfür effektiv verbessert sein muss. Systematische Unterschiede zwischen Gesunden und Stimmerkrankten oder einzelnen Diagnosen waren in einer Gruppe von altersgleichen Frauen mit beruflich ähnlicher Stimmbelastung für Jitter oder Shimmer nicht nachweisbar. Auch abgeleitete Parameter (beispielweise DSI) können von der individuellen Sprechlautstärke erheblich beeinflusst werden. Studien an Stimmpatienten sollten untersuchen, ob dieses Phänomen auch bei anderen Irregularitätsparametern wie z.B. Harmonics-to-Noise Ratio nachweisbar ist.
Fazit/Schlussfolgerung
Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse stellen die Validität von Jitter und Shimmer zur Erkennung von Pathologien im Rahmen der bisherigen Stimmdiagnostik erheblich in Frage. Weiterführend sollte untersucht werden, wie die Effekte von Unterschieden in der Sprechlautstärke in klinischen Untersuchungen effizient und sinnvoll kontrolliert werden können, ohne dass diagnostisch gesehen wertvolle Informationen verloren gehen.
Literatur
- 1.
- Dejonckere PH, Bradley P, Clemente P, Cornut G, Crevier-Buchman L, Friedrich G, Van De Heyning P, Remacle M, Woisard V. A basic protocol for functional assessment of voice pathology, especially for investigating the efficacy of (phonosurgical) treatments and evaluating new assessment techniques. Guideline elaborated by the Committee on Phoniatrics of the European Laryngological Society (ELS). Eur Arch Otorhinolaryngol. 2001 Feb;258(2):77-82. DOI: 10.1007/s004050000299
- 2.
- Brockmann M, Drinnan MJ, Storck C, Carding PN. Reliable jitter and shimmer measurements in voice clinics: the relevance of vowel, gender, vocal intensity, and fundamental frequency effects in a typical clinical task. J Voice. 2011 Jan;25(1):44-53. DOI: 10.1016/j.jvoice.2009.07.002
- 3.
- Brockmann-Bauser M, Beyer D, Bohlender JE. Clinical relevance of speaking voice intensity effects on acoustic jitter and shimmer in children between 5;0 and 9;11 years. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2014 Dec;78(12):2121-6. DOI: 10.1016/j.ijporl.2014.09.020
- 4.
- Boersma P, Weenink D. PRAAT. 5.4.14. [retrieved August 04, 2015] Amsterdam: University of Amsterdam; 2015. Available from: http://www.praat.org/