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33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Regensburg, 22.09. - 25.09.2016

Stimmrehabilitation bei T1-Larynxcarzinomen: Die simultane Larynx-OP und die „prophylaktische“ Stimmlippenunterfütterung

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Jose Carmelo Perez Alvarez - Phoniatrie und Pädaudiologie der Universitätsklinik, Regensburg, Deutschland
  • Jürgen Strutz - HNO Klinik der Universität, Regensburg, Deutschland
  • Peter Kummer - Phoniatrie und Pädaudiologie der Universitätsklinik, Regensburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Regensburg, 22.-25.09.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocV18

doi: 10.3205/16dgpp38, urn:nbn:de:0183-16dgpp383

Veröffentlicht: 8. September 2016

© 2016 Perez Alvarez et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Minimale Veränderung der Stimmlippen verursachen große klinische Beschwerden im Sinne einer ausgeprägten Dysphonie. Daher sind die Stimmlippencarzinome sehr häufig im frühen Stadium diagnostiziert (T1). Die Chirurgische Abtragung des Tumors ist die Therapie der Wahl. Auch wenn die Tumorresektion sparsam verläuft, entstehen durch die partielle bis komplette Chordektomie erhebliche Mutilationen der Stimmlippen was eine sehr schlechte Stimmgebung verursacht. Hierfür ist nicht nur der inkomplette phonatorische Stimmlippenschluss verantwortlich sondern auch die gestörte Randkanteverschieblichkeit und Stimmlippenamplitude.

Die Substanzdefekte zu beseitigen im Sinne einer Unterfütterung-Glottoplastik ist nach OP häufig eine sehr schwierige Aufgabe, da die Atrophien und Narben die Aufnahme von Material in die Stimmlippen verhindern.

Material und Methoden: Mittels einer simultanen Fettaugmentation der operierten Stimmlippen kann man diese Probleme beseitigen.

Ergebnisse: Wir berichten über unsere Erfahrung mit den Fettaugmentationen bei mehr als 20 T1-Stimmlippencarzinomen, unsere Methode und die funktionellen und organischen Ergebnisse.


Text

Einleitung

Kleine Tumoren der Stimmlippen (sog T1-Larynxcarzinome) werden relativ schnell von den Patienten durch die Veränderung des Stimmklangs bemerkt. In vielen Fällen stellen sich die Patienten nur aufgrund diskreter Stimmstörungen – vor allem bei Patienten mit stimmintensiven Berufen – in der HNO-ärztlichen Praxis vor. Handelt es sich um ein Stimmlippenkarzinom, soll aus onkologischer Sicht die Abtragung des Tumors mit entsprechendem Sicherheitsabstand erfolgen (partielle oder subtotale Chordektomie). Daraus resultiert ein Substanzverlust der Stimmlippen.

Der Grundton, oder die Stimmfrequenz verhält sich umgekehrt proportional zur Länge und Masse der Stimmlippen, das heißt, je länger oder je dicker eine Stimmlippe ist, desto tiefer wird die Stimme klingen [1].

Nach dieser Formel wird der Verlust der Stimmlippenmasse zu einer deutlichen Erhöhung der mittleren Sprechstimmlage führen. Außerdem ist ein inkompletter Glottisschluss entstanden und die Stimme hört sich nicht nur hoch, sondern auch stark behaucht an.

Fazit: Der Patient kommt zu uns mit einer Heiserkeit Grad 1, wird operiert und wird in den meisten Fällen mit einer Heiserkeit Grad 3 oder aphon entlassen!

Wie kann man den daraus resultierenden Masseverlust der Stimmlippen beheben?

In den Neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden daher viele T1-Larynxcarzinome mit einer Bestrahlung therapiert, in der Hoffnung, keinen Masseverlust zu verursachen und damit eine gute Stimmqualität zu bewahren [2].

Es gibt reichliche Studien die belegen, dass es jedoch keinen großen Unterschied der Stimmqualität gab, zwischen Patienten die bestrahlt wurden und Patienten die eine Chordektomie erhielten [2], [3]. Beide Populationen wurden heiser, da die Strahlentherapie eine erhebliche Atrophie der Stimmlippen (und nicht nur der betroffenen Stimmlippe) mit sich brachte.

Eine retrospektive Beobachtung verschiedener Behandlungsmodalitäten (Radiotherapie versus Chordektomie) hat gezeigt, dass bei ca. 7% der Patienten, die die Radiotherapie als einzelne Behandlung bekamen, eine Laryngektomie in späterer Zeit wegen eines Tumorrezidivs notwendig wurde [4]. Bei Patienten mit einer Laser-Chordektomie beträgt das Risiko nur 1%.

Um den Masseverlust gering zu halten, wurden auch sparsame Operationen durchgeführt, das sog. Stripping der Stimmlippen. Dies führte jedoch zu einer hohen Tumor-Rezidivrate und so wurde bei 12% der Patienten eine Laryngektomie in späterer Zeit notwendig [4].

Man kann jedoch die fehlende Masse der schwingenden Stimmlippen wiederherstellen und so wurden in den neunziger Jahren diese Substanzdefekte nach Chordektomie mit biokompatiblen Materialien im Sinne eine Augmentation oder Unterfütterung der Stimmlippen angestrebt [5], [6], [7].

Aus onkologischer Sicht wurde, um ein Rezidiv auszuschließen, erst nach 1 Jahr nach der Tumor-OP die Unterfütterung durchgeführt. Problem: die atrophen und vernarbten Stimmlippenreste nimmt kein Material oder sehr unregelmäßig auf und die Heiserkeit des Patienten verändert sich kaum.

Erst Anfang dieses Jahrhundert wurde die simultane Rekonstruktion der Stimmlippen durchgeführt, das heißt unmittelbar nach der Chordektomie [8].

Über diese Art von Stimmrehabilitation nach Operationen von T1-Larynxcarzinomen sind bis dato wenige Arbeiten vertreten.

In der HNO-Klinik Regensburg wird seit etwa 16 Jahren diese Methode mit sehr guten Ergebnissen verwendet. Hier möchten wir über unserer Erfahrung berichten.

Material und Methode

Bei der Suche eines biokompatiblen Materials ist extrem wichtig, dass dies eine gute Viskoelastizität besitzt und damit sehr gut schwingen kann. Hier hat sich das Fettgewebe als geeignet gezeigt [9]. Aber die Vorteile vom Fettgewebe haben andere Dimensionen erreicht.

John Gordon aus Großbritanien und Shinya Yamanaka aus Japan wurden im Jahr 2012 mit dem Nobelpreis für Medizin belohnt.

Sie haben beide unabhängig voneinander gezeigt, dass jede Zelle eines Organismus prinzipiell neu programmierbar ist [10], [11].

Ihre Erkenntnisse wurden bereits Anfang dieser Dekade von verschiedenen wissenschaftlichen Gruppen an die Charakteristika des Fettgewebes appliziert. So weiß man heute, das Fettgewebe eine Quelle für multipotente Zellen ist [12].

Die sog. PLA (Processed Lipoaspirate cells) haben sich in vitro in verschiedenen Zelllinien differenzieren können, nämlich Adipozyten, Chondrozyten oder Myozyten [12], [13], [14].

Wir haben in den letzten 16 Jahren die Rekonstruktion der frischoperierten Stimmlippe mittels Lipoaspirat-Injektionstechnik bei der Rehabilitation von T1-Stimmlippencarzinomen verwendet.

Die Operation findet in Intubationsnarkose statt. Um Zeit zu gewinnen wird parallel am Bauch des Patienten und am Kehlkopf gearbeitet. Während ein Operateur den Tumor mit Laser-Technik am Kehlkopf exzidiert, gewinnt der zweite Operateur Fettgewebe aus der Periumbilikalregion.

Das Fettgewebe wird zerkleinert und in die Druckspritze eingegeben (Abbildung 1 [Abb. 1]).

Wenn die Tumorabtragung beendet ist und die Histologische Begutachtung des Schnell-Schnittes grünes Licht zeigt, wird unter endoskopischer Schicht das gewonnene Fettgewebe in die Muskulatur der Stimmlippenreste eingegeben.

Die OP-Dauer beträgt insgesamt nicht länger als 1 Stunde.

Sprechverbot über 5 Stunden, Stimmruhe über 2 Tage und Antitussiva verhindern ein postoperatives Austreten des Materials.

Der Patient bleibt maximal 3 Tage stationär und nach ca. 4 Wochen ist er in der Regel mit guter Stimmqualität wieder arbeitsfähig.

Ergebnisse

Makroskopisch ist eine gut gefüllte Stimmlippe zu sehen, was einen kompletten Glottisschluss bei der Phonation ermöglicht (Abbildung 2 [Abb. 2]).

Stroboskopisch sind Randkantenverschiebungen zu beobachten sowie Synchronizität im Schwingungsverhalten.

Funktionell:

  • keine Erhöhung der mittleren Sprechstimmlage,
  • geringgradige oder Ausbleiben der Heiserkeit,
  • gute Elastizität der Stimmlippe (Glissando möglich),
  • gute Belastbarkeit der Stimme,
  • kaum Einschränkungen der Tonhaltedauer.

Fazit für die Praxis

Die Rehabilitation der Stimmfunktion bei Z.n. partieller oder subtotaler Chordektomie eines T1-Glottiskarzinoms kann von einer Fettaugmentation der Stimmlippen deutlich profitieren.

Unseres Erachtens sollte der Zeitpunkt der Unterfütterung simultan zur primären „in sano“ Resektion gewählt werden, um Retraktionen und Narbenbildung zu vermeiden.


Literatur

1.
Titze IR. Principles of voice production. Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall; 1994.
2.
Grégoire V, Hamoir M, Rosier JF, Counoy H, Eeckhoudt L, Neymark N, Scalliet P. Cost-minimization analysis of treatment options for T1N0 glottic squamous cell carcinoma: comparison between external radiotherapy, laser microsurgery and partial laryngectomy. Radiother Oncol. 1999 Oct;53(1):1-13. DOI: 10.1016/S0167-8140(99)00129-2 Externer Link
3.
Morton RP. Laryngeal cancer: quality-of-life and cost-effectiveness. Head Neck. 1997 Jul;19(4):243-50. DOI: 10.1002/(SICI)1097-0347(199707)19:4<243::AID-HED1>3.0.CO;2-0 Externer Link
4.
Damm M, Sittel C, Streppel M, Eckel HE. Transoral CO2 laser for surgical management of glottic carcinoma in situ. Laryngoscope. 2000 Jul;110(7):1215-21. DOI: 10.1097/00005537-200007000-00028 Externer Link
5.
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6.
Zeitels SM, Jarboe J, Franco RA. Phonosurgical reconstruction of early glottic cancer. Laryngoscope. 2001 Oct;111(10):1862-5. DOI: 10.1097/00005537-200110000-00036 Externer Link
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13.
Zuk PA, Zhu M, Ashjian P, De Ugarte DA, Huang JI, Mizuno H, Alfonso ZC, Fraser JK, Benhaim P, Hedrick MH. Human adipose tissue is a source of multipotent stem cells. Mol Biol Cell. 2002 Dec;13(12):4279-95. DOI: 10.1091/mbc.E02-02-0105 Externer Link
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