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33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Regensburg, 22.09. - 25.09.2016

Was beeinflusst den Schulerfolg bei Jugendlichen mit AVWS?

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Susanne Wagner - Berufsbildungswerk Leipzig gGmbH, Leipzig, Deutschland
  • author Lissy Rinneberg-Schmidt - Berufsbildungswerk Leipzig gGmbH, Leipzig, Deutschland
  • author Grit Franke - Berufsbildungswerk Leipzig gGmbH, Leipzig, Deutschland
  • author Michael Fuchs - Sektion Phoniatrie und Audiologie, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • author Sylvia Meuret - Sektion Phoniatrie und Audiologie, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Regensburg, 22.-25.09.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocV9

doi: 10.3205/16dgpp14, urn:nbn:de:0183-16dgpp143

Veröffentlicht: 8. September 2016

© 2016 Wagner et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Am Berufsbildungswerk Leipzig (BBW) absolvieren Jugendliche mit Hör- bzw. Sprachbehinderungen ihre Berufsausbildung mit förderpädagogischer Unterstützung, darunter auch viele Jugendliche mit AVWS-Diagnosen aus der Kindheit. Im Rahmen einer Untersuchung zu AVWS bei Jugendlichen [1] fiel bei einigen Jugendlichen auf, dass sie trotz sehr guter kognitiver Voraussetzungen (nonverbaler IQ>100) keinen Schulabschluss geschafft hatten, darunter ein Jugendlicher mit einem nonverbalen IQ>120. Eine Sub-Untersuchung wurde durchgeführt, um Erklärungsansätze für den schulischen Misserfolg zu finden. Haupt-Hypothese: Möglicherweise beeinträchtigten AVWS-bedingt geringere sprachliche Fähigkeiten den Schulerfolg der AVWS-Jugendlichen.

Material und Methoden: 33 Jugendliche, die auch aktuell Teilleistungsstörungen im Bereich AVWS aufweisen (entsprechend Wagner et al. [1]), wurden in die Studie eingeschlossen. Für sie wurden aus den Akten der nonverbale IQ und der höchste Schulabschluss ermittelt. Außerdem wurden die Ergebnisse des Satzverständnistests aus Wagner et al. [1] hinzugezogen, um eine grobe Einschätzung der sprachlichen (grammatikalischen) Fähigkeiten der Jugendlichen zu haben. Mittels statistischer Analysen (ANOVA) wurde überprüft, inwiefern sich der Schulerfolg der Jugendlichen mit AVWS (3-stufig: kein Abschluss, Hauptschulabschluss, Realschulabschuss) möglicherweise auf unterschiedliche nonverbale IQs oder sprachliche Fähigkeiten zurückführen lassen kann.

Ergebnisse: Die 3 Schulabschluss-Gruppen zeigten keine Unterschiede in Bezug auf den nonverbalen IQ (F(2;30)=0.185, p>.832). Im Gegensatz dazu unterschieden sie sich deutlich in Bezug auf die Fähigkeit, Sätze richtig zu verstehen (F(2;30)=3.585, p>.0402). Die Jugendlichen mit Realschulabschlüssen verfügten über die signifikant besseren sprachlichen Fähigkeiten (bei IQ-Werten von 75–114). Allerdings führten gute sprachliche Fähigkeiten nicht automatisch zu besseren Schulabschlüssen: Der eingangs erwähnte Jugendliche (IQ>120) zeigte sprachlich keinerlei Einschränkungen.

Diskussion: Für Jugendliche mit AVWS sind die Einflussfaktoren auf den Schulerfolg noch weitgehend unklar. Der IQ scheint nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Wichtiger sind offenbar sprachliche Fähigkeiten und bisher noch unbekannte Faktoren.

Fazit: Im Sinne der Kinder und Jugendlichen mit AVWS müssen die limitierenden Faktoren für den Schulerfolg möglichst schnell gefunden und entsprechende Förder- und Unterstützungsmaßnahmen entwickelt werden.


Text

Hintergrund

Am Berufsbildungswerk Leipzig (BBW) absolvieren Jugendliche mit Hör- bzw. Sprachbehinderungen ihre Berufsausbildung mit förderpädagogischer Unterstützung. Mehr als 10% der Jugendlichen am BBW Leipzig haben AVWS-Diagnosen aus der Kindheit. Im Rahmen einer Untersuchung zu AVWS bei Jugendlichen [1] fiel auf, dass einige Jugendliche mit persistierenden Teilleistungsstörungen im Bereich AVW trotz sehr guter kognitiver Voraussetzungen (nonverbaler IQ>100) keinen Schulabschluss geschafft hatten, darunter ein Jugendlicher mit einem nonverbalen IQ>120. Eine Sub-Untersuchung wurde durchgeführt, um Erklärungsansätze für den schulischen Misserfolg der Jugendlichen mit Teilleistungsstörungen im Bereich der AVW zu finden. Haupt-Ansatzpunkt war die Vermutung, dass die AVWS in der Kindheit zu dauerhaften Einschränkungen im sprachlichen Bereich geführt haben könnten (Satzverstehen, Grammatik), und dass sich die sprachlichen Einschränkungen negativ auf den Schulerfolg der Jugendlichen auswirken könnten.

Material und Methoden

33 Jugendliche, die auch aktuell noch Teilleistungsstörungen im Bereich AVW aufweisen (vgl. [1]) wurden in die Studie eingeschlossen. Für sie wurden aus den Akten der nonverbale IQ [2] und der höchste Schulabschluss ermittelt. Außerdem wurden die Ergebnisse des Satzverständnistests (aus der Testbatterie LTB-J [3]) aus Wagner et al. [1] hinzugezogen, um eine grobe Einschätzung der sprachlichen (grammatikalischen) Fähigkeiten der Jugendlichen zu haben. Mittels statistischer Analysen (ANOVA) wurde überprüft, inwiefern der Schulerfolg der Jugendlichen mit Teilleistungsstörungen der AVW möglicherweise durch unterschiedliche nonverbale IQs oder ihre sprachlichen Fähigkeiten beeinflusst sein könnte. Für die Statistik wurde der Schulerfolg 3-stufig geführt: kein Abschluss, Hauptschulabschluss, Realschulabschluss. Für den nonverbalen IQ und den Satzverständnistest wurden die Standardwerte verwendet.

Ergebnisse

Die Jugendlichen in den 3 Gruppen (kein Schulabschluss, Hauptschulabschluss, Realschulabschluss) unterschieden sich nicht in Bezug auf den nonverbalen IQ (F(2;30)=0.185, p>.832). Im Gegensatz dazu unterschieden sich die 3 Gruppen deutlich in Bezug auf die Fähigkeit, Sätze richtig zu verstehen (F(2;30)=3.585, p>.0402). Die Jugendlichen mit Realschulabschlüssen verfügten über die signifikant besseren sprachlichen Fähigkeiten (bei IQ-Werten von 75–114).

Diskussion

Die Ergebnisse der Statistik bestätigen auf den ersten Blick die eingangs formulierte Vermutung, dass der Schulerfolg der Jugendlichen mit Teilleistungsstörungen der AVW durch deren Sprachkompetenz beeinflusst wird. Allerdings zeigte sich auch, dass Intelligenz und gute sprachliche Fähigkeiten keineswegs ausreichen, um schulisch erfolgreich zu sein. So fanden sich in allen 3 Schulabschluss-Gruppen Jugendliche mit Teilleistungsstörungen der AVW, die gute kognitive Voraussetzungen hatten und über normale sprachsystematische Fähigkeiten verfügten. Auch der eingangs erwähnte Jugendliche (IQ>120) zeigte keine Einschränkungen im sprachsystematischen Bereich. Es bleibt somit unklar, warum einige der untersuchten Jugendlichen im schulischen Bereich derart limitiert sind, dass trotz guter Intelligenz und guter sprachlicher Fähigkeiten kein Schulabschluss erreichbar war.

Fazit

Für Jugendliche mit AVWS sind die Einflussfaktoren auf den Schulerfolg noch weitgehend unklar. Der IQ scheint nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Wichtiger sind offenbar sprachliche Fähigkeiten und bisher noch unbekannte Faktoren.

Im Sinne der Kinder und Jugendlichen mit AVWS müssen die limitierenden Faktoren für den Schulerfolg möglichst schnell gefunden und entsprechende Förder- und Unterstützungsmaßnahmen entwickelt werden.


Literatur

1.
Wagner S, Rinneberg-Schmidt L, Franke G, Fuchs M, Peter B, Meuret S. AVWS-Diagnostik bei Jugendlichen. In: 32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Oldenburg, 24.-27.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. Doc08. DOI: 10.3205/15dgpp55 Externer Link
2.
Tellegen PJ, Laros JA, Petermann F. SON-R 6-40, Non-verbaler Intelligenztest. Göttingen u.a.: Hogrefe; 2012.
3.
Berufsbildungswerk Leipzig, Hrsg. Leipziger Testbatterie zur Messung des formal-sprachlichen Entwicklungsstandes bei Jugendlichen (LTB-J). Leipzig; 2008.