gms | German Medical Science

33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Regensburg, 22.09. - 25.09.2016

Ist ein universelles Neugeborenenhörscreening auch bei Frühgeborenen der 22.–26. Schwangerschaftswoche G-BA-konform durchführbar?

Poster

  • author presenting/speaker Anja Stumpf - Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Uniklinik Köln, Köln, Deutschland
  • author Silke Fabian - Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Hörscreeningzentrale Nordrhein, Köln, Deutschland
  • author Katrin Mehler - Klinik und Poliklinik für Kinder und Jugendmedizin, Uniklinik Köln, Köln, Deutschland
  • author Ruth Volland - Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Epidemiologie, Universität zu Köln, Köln, Deutschland
  • corresponding author Ruth Lang-Roth - Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Phoniatrie und Pädaudiologie, Uniklinik Köln, Köln, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Regensburg, 22.-25.09.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocP4

doi: 10.3205/16dgpp11, urn:nbn:de:0183-16dgpp117

Veröffentlicht: 8. September 2016

© 2016 Stumpf et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Zum 1.1.2009 führte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) das universelle Neugeborenen- Hörscreening (UNHS) verbindlich ein. Kranke Neugeborene mit einem Risiko für eine frühkindliche Hörstörung (HRST) benötigen eine beidohrige AABR bis zum bis zum 3. Lebensmonat, dem errechneten Geburtstermin, bzw. bis zur Entlassung. Insgesamt sind die Einrichtungen aufgefordert, mindestens 95% der Neugeborenen zu erfassen, mit einer maximalen Rate von Auffälligen von 4%. Während die Prävalenz einer frühkindlichen Hörstörung gesamt bei ca. 2 pro 1.000 Neugeborenen liegt, ist sie in bei Risikokindern ca. 10-mal höher. Bei Kindern der 22.–26. Schwangerschaftswoche treffen meist mehrere Risikofaktoren zu, so dass eine deutlich erhöhte Rate von Hörstörungen zu erwarten ist.

Sind die Bestimmungen des G-BA auf frühgeborene Kinder der 22.–26. SSW anwendbar. Kann das Hörscreening mit AABR bis zum errechneten Geburtstermin beziehungsweise bis zur Entlassung durchgeführt werden?

Material und Methoden: Untersucht wurde das Kollektiv der frühgeborenen Kinder der 22. bis 26. SSW, die von 2008 bis 2013 in der Universitätsklinik geboren und versorgt wurden.

Ergebnisse: 213 Patienten konnten in die Untersuchung eingeschlossen. Vor Durchführung des UNHS verstarben 12% und bei weiteren 11% konnten die Daten nicht vollständig erhoben werden, z.B. aufgrund der Verlegung in ein heimatnahes Krankenhaus. Im verbleibenden Kollektiv erhielten insgesamt 97% ein AABR-Screening. Das Screening lag bei 39% vor dem errechneten Geburtstermin und bei 98% vor dem korrigierten 3.Lebensmonat. Eine Konfirmationsdiagnostik wurde bei wiederholt auffälligem Screening bei 13% durchgeführt. Eine Hörstörung wiesen 8,6% der Patienten auf.

Diskussion: Insgesamt 98% dieser Risikokinder erhielten das vorgesehene Hörscreening bis zum korrigierten 3. Lebensmonat. Die angestrebte Rate von maximal 4% auffälliger Kinder im Primärscreening bezieht sich auf das Gesamtkollektiv und wird in der Risikogruppe mit 13% Screening auffälliger Kinder deutlich überschritten. Vor dem Hintergrund der erhöhten Prävalenz frühkindlicher Hörstörungen in diesem Kollektiv, verbunden mit erschwerten Untersuchungsbedingungen ist dieses Ergebnis als positiv zu bewerten.

Fazit: Das UNHS ist auch bei früh geborenen Kindern der 22. bis 26. Schwangerschaftswoche praktikabel und sinnvoll, um die frühkindlichen Hörstörungen zeitnah zu diagnostizieren.


Text

Einleitung

Zum 1.1.2009 führte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) das universelle Neugeborenen- Hörscreening (UNHS) verbindlich ein (https://www.g-ba.de/downloads/39-261-681/2008-06-19-Kinder-H%C3%B6rscreening_BAnz.pdf). Kranke Neugeborene mit einem Risiko für eine frühkindliche Hörstörung (HRST) benötigen als Hörscreening-Verfahren eine beidohrige automatisierte Hirnstammaudiometrie bei 35 dB (AABR) bis zum 3. Lebensmonat, dem errechneten Geburtstermin, bzw. bis zur Entlassung. Insgesamt sind die Einrichtungen aufgefordert, mindestens 95% der Neugeborenen zu erfassen, mit einer maximalen Rate an Auffälligen von 4%. Während die Prävalenz einer frühkindlichen Hörstörung gesamt bei ca. 2 pro 1.000 Neugeborenen liegt, liegt sie bei Risikokindern ca. 10-mal höher. Auf das Kollektiv der Kinder, die in der 22.–26. Schwangerschaftswoche (SSW) geboren werden, treffen meist mehrere Risikofaktoren zu, so dass eine deutlich erhöhte Rate von Hörstörungen zu erwarten ist.

Fragestellung

Sind die Bestimmungen des G-BA auf frühgeborene Kinder der 22.–26. SSW anwendbar? Kann das Hörscreening mit AABR bis zum errechneten Geburtstermin beziehungsweise bis zur Entlassung durchgeführt werden?

Material und Methode

Retrospektiv wurden die Daten der Kinder, die vom 1.1.2008 bis 31.12.2013 zwischen der 22. bis 26. SSW geboren, und in der Universitätskinderklinik versorgt wurden, analysiert.

Ergebnisse

213 Patienten wurden in die Untersuchung eingeschlossen. Vor Durchführung des Hörscreenings verstarben 12%. Bei weiteren 12% konnten die Daten nicht vollständig erhoben werden, z.B. aufgrund der Verlegung in ein heimatnahes Krankenhaus oder fehlender Vorstellung zur Folgediagnostik der Kinder durch die Eltern.

Im verbleibenden Kollektiv von 161 Kindern erhielten insgesamt 97% das notwendige beidohrige BERA-Screening bei 35 dB (AABR). Das Screening wurde bei 85% unauffällig beendet, 10% waren kontrollbedürftig und bei 5% war die Untersuchung abgebrochen worden.

Der Screening-Zeitpunkt lag bei 36% der Kinder vor dem errechneten Geburtstermin, 66% wurden vor Entlassung untersucht. Bei 96% lag das Screening mit einem Mittelwert von 66 Tagen vor dem korrigierten 3.Lebensmonat. Insgesamt 97% wurden mit einem durchschnittlichen Screening-Datum von 150 Tagen vor dem korrigierten sechsten Lebensmonat untersucht.

Die Konfirmationsdiagnostik (= Follow up II) wurde bei wiederholt auffälligem Screening bei 14% (n=22) der Patienten notwendig. 7% (n=11) der Patienten wiesen im Follow up 2 eine Hörstörung auf: 2 Patienten Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits; 5 Schalleitungsschwerhörigkeit (3 rechts, 2 beidseits); 3 kombinierte Schwerhörigkeit links.

Der Untersuchungszeitpunkt des FU2 lag bei 17 von 22 Kindern innerhalb der ersten drei Lebensmonate und bei 5 von 22 Kindern nach dem dritten Lebensmonat.

Diskussion

Insgesamt 97% der Kinder, deren Daten komplett vorlagen, erhielten das vorgesehene Hörscreening bis zum korrigierten 3. Lebensmonat. Wie hoch die Screening Rate der 12% der Kinder war, deren Daten nicht vorlagen, bleibt unklar.

Die angestrebte Rate von maximal 4% auffälliger Kinder im Primärscreening bezieht sich auf das Gesamtkollektiv aller Neugeborenen und wird in der Risikogruppe mit ca. 14% Screening- auffälliger Kinder deutlich überschritten. Da in diesem Kollektiv eine, um den Faktor 10 erhöhte Prävalenz frühkindlicher Hörstörungen zu erwarten ist, ist dieses Ergebnis als positiv zu werten.

Eine große Untersuchung an ca. 19.000 Frühgeborenen errechnete retrospektiv eine Zunahme des Risikos für das Auftreten einer Schwerhörigkeit von 1,5% bei Geburt in der 31. SSW auf 7,5% bei Geburt in der 24 SSW. Die Kinder waren überwiegend beidseits betroffen [1]. In unserem Kollektiv war ca. 1% der Kinder in der Gesamtgruppe von der 22. bis zur 26. SSW von einer Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits betroffen. Einseitige Schwerhörigkeiten, überwiegend Schalleitungsschwerhörigkeiten traten häufiger auf. Eine mögliche Ursache kann das vergleichbar kleine Patientenkollektiv und die damit eingeschränkte statistische Beurteilbarkeit sein. Die Anzahl der hörauffälligen Kindern im Follow up 2 kann zudem durch passagere Schalleitungsschwerhörigkeiten und verzögerter Hörbahnreifung mit verursacht sein und sollte weiter in Beobachtung bleiben. Eine Re-evaluation nach einem Jahr erscheint sinnvoll.

Neben dem Geburtszeitpunkt haben weitere Faktoren, wie z.B. intrauterine Infektionen, und Entwicklung oder die Gabe von ototoxischen Medikamenten eine bedeutsamen Einfluss auf das frühkindliche Hören, die hier nicht überprüft wurden [2].

Fazit

Die Methode des AABR-Screenings ist auch bei sehr früh geborenen Kindern der 22. bis 26. Schwangerschaftswoche praktikabel und sinnvoll, um eventuell vorliegende frühkindliche Hörstörungen zeitnah diagnostizieren zu können. Ein Untersuchungszeitpunkt bis zum korrigierten 3. Lebensmonat ist für den Großteil der Kinder möglich. Gefahr besteht bei Verlegungen in andere Krankenhäuser, hier darf das Hörscreening nicht aus dem Fokus geraten.


Literatur

1.
van Dommelen P, Verkerk PH, van Straaten HL; Dutch Neonatal Intensive Care Unit Neonatal Hearing Screening Working Group. Hearing loss by week of gestation and birth weight in very preterm neonates. J Pediatr. 2015 Apr;166(4):840-3.e1. DOI: 10.1016/j.jpeds.2014.12.041 Externer Link
2.
Leung JC, Cifra CL, Agthe AG, Sun CC, Viscardi RM. Antenatal factors modulate hearing screen failure risk in preterm infants. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed. 2016 Jan;101(1):F56-61. DOI: 10.1136/archdischild-2014-307843 Externer Link