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33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Regensburg, 22.09. - 25.09.2016

Das Neugeborenen-Hörscreening in Rheinland-Pfalz – ein aktueller Überblick

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Sabine Nospes - SP Kommunikationsstörungen / HNO-Klinik, Universitätsmedizin Mainz, Mainz, Deutschland
  • author Friederike Feldhusen - Phoniatrie-Pädaudiologie / HNO-Klinik, Klinikum der Stadt Ludwigshafen, Ludwighafen, Deutschland
  • Christoph Burmeister - Geschäftsstelle für Qualitätssicherung, SQMed GmbH, Mainz, Deutschland
  • author Sieghard Dienlin - Geschäftsstelle für Qualitätssicherung, SQMed GmbH, Mainz, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Regensburg, 22.-25.09.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocV7

doi: 10.3205/16dgpp10, urn:nbn:de:0183-16dgpp105

Veröffentlicht: 8. September 2016

© 2016 Nospes et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Seit 2009 sind in Rheinland-Pfalz alle 40 geburtshilflichen Kliniken zur Datenerfassung und -Übermittelung der Hörscreening-Datensätze an die Landeszentrale Hörscreening bei der SQMed GmbH verpflichtet. Dort wird auch das Tracking durchgeführt. Eine jährliche Bewertung der Ergebnisse des Tracking des Neugeborenen-Hörscreenings erfolgt durch den Fachausschuss Hörscreening, dem die Autoren dieses Vortrags angehören.

Material und Methoden: Im Jahr 2014 wurden 32.198 der landesweit registrierten 33.427 Geburten in den meldenden Krankenhäusern erfasst und bzgl. der Hörscreening-Ergebnisse ausgewertet.

Ergebnisse: Die Erfassungsrate für das Neugeborenen-Hörscreening in den Krankenhäusern konnte in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesteigert werden und lag für das Jahr 2014 bei 99,9%. Die FAIL-Rate lag in den Jahren 2012/2013/2014 jeweils bei 5,1/5,1/5,4%. Im Jahr 2014 erfolgte das Basis-Screening in den Krankenhäusern zu 83,7% mittels TEOAE, zu 10,6% mittels AABR und in 5,7% wurde in der Geburtsklinik kein Screening durchgeführt (z.B. bei Verlegung in eine neonatologische Klinik). Nach der Entlassung aus der Geburtsklinik erfolgten im Jahr 2014 bei auffälligem Primärscreening 716 Kontroll-Screening-Untersuchungen erneut mittels TEOAE-Untersuchung (57,6%) und nur 527 Kontroll-Screening-Untersuchungen mittels AABR (42,4%).

Diskussion: Leider ist damit erkennbar, dass bei Kontroll-Screening-Untersuchungen zum größeren Teil nicht nach dem in der Richtlinie des G-BA vorgesehenen AABR- oder BERA-Verfahren untersucht wird, sondern häufig nochmals TEOAE-Untersuchungen durchgeführt werden.

Fazit: Bei einem solchen Vorgehen besteht ein erhöhtes Risiko angeborene Hörstörungen zu übersehen oder die Diagnose einer Hörstörung zu verschleppen. Aus der Sicht des Fachausschusses sind derartige Modifikationen des Neugeborenen-Hörscreening-Verfahrens nicht zu empfehlen. Es ist vielmehr die Einhaltung der vom G-BA vorgeschriebenen Screening-Methodik zu fordern. Dies sollte in der Fachgesellschaft diskutiert werden.


Text

Hintergrund

Seit 2009 wird in Deutschland verpflichtend ein Neugeborenen-Hörscreening durchgeführt. Nach den „Richtlinien für die Früherkennungsuntersuchungen von Hörstörungen bei Neugeborenen“ des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) [1] soll das Hörscreening für jedes Ohr mittels transitorischer otoakustischer Emissionen (TEOAE) oder mittels automatisiert abgeleiteter früher akustisch evozierter Potentiale (AABR) bis zum 3. Lebenstag erfolgen. Für Risikokinder für konnatale Hörstörungen ist die AABR-Untersuchung obligat. Bei Frühgeborenen soll die Untersuchung spätestens zum Zeitpunkt des errechneten Geburtstermins, bei kranken oder mehrfach behinderten Kindern unter Beachtung der Zusatzstörungen und notwendigen klinischen Maßnahmen spätestens vor Ende des 3. Lebensmonats erfolgen. Bei Geburt außerhalb des Krankenhauses oder nicht erfolgter Untersuchung soll die Untersuchung spätestens im Rahmen der U2 stattfinden. Bei auffälligem Testergebnis der Erstuntersuchung mittels TEOAE oder AABR soll möglichst am selben Tag, spätestens bis zur U2 eine Kontroll-AABR-Untersuchung durchgeführt werden. Die Untersuchung soll an beiden Ohren erfolgen. Bei einem auffälligen Befund in dieser Kontroll-Untersuchung soll eine umfassende pädaudiologische Konfirmationsdiagnostik bis zur 12. Lebenswoche erfolgen. Die Ziele dieser Vorsorgeuntersuchungen sind die Sicherung der Diagnose einer Hörstörung bis zum vollendeten 3. Lebensmonat und bei als schwerhörig identifizierten Kindern die frühestmögliche Einleitung einer konventionellen Hörgeräteversorgung spätestens bis zum vollendeten 6. Lebensmonat [2]. Die Eltern (Personensorgeberechtigten) entscheiden nach Aufklärung in Form eines Merkblattes über die Teilnahme an der Untersuchung. Eine Ablehnung der Untersuchung ist mit der Unterschrift zumindest eines Elternteils (Personensorgeberechtigten) zu dokumentieren.

Bei Geburt und Durchführung des Neugeborenen-Hörscreenings in einem Krankenhaus soll das Krankenhaus folgende in der Richtlinie des G-BA genannte Qualitätsziele erfüllen [1]:

  • Der Anteil der auf Hörstörungen untersuchten Kinder zur Gesamtzahl der Neugeborenen soll bei mindestens 95% liegen.
  • Mindestens 95% der in der Erstuntersuchung auffälligen Kinder sollen vor Entlassung aus dem Krankenhaus eine Kontroll-AABR erhalten haben.
  • Der Anteil der untersuchten Kinder, für die eine pädaudiologische Konfirmationsdiagnostik (gemäß § 5 Abs. 4 der Richtlinie) erforderlich ist, soll höchstens bei 4% liegen (FAIL-Rate).

Material und Methoden

Zusätzlich zur Dokumentation der Ergebnisse im gelben Kinder-Untersuchungsheft sind die Krankenhäuser mit geburtshilflicher Einrichtung in Rheinland-Pfalz verpflichtet, einen Hörscreening-Datensatz an die Landeszentrale Hörscreening für Rheinland-Pfalz, angesiedelt bei der SQMed GmbH, zu senden. An dieser Datenerfassung nehmen in Rheinland-Pfalz 40 geburtshilfliche Kliniken, darunter 14 Kliniken mit neonatologischen Einrichtungen teil. Hörscreening-Daten von ambulant entbundenen Kindern werden nicht erfasst. Nach Auswertung dieser Daten erfolgt jährlich eine Bewertung der Ergebnisse des Tracking des Neugeborenen-Hörscreenings durch den Fachausschuss Hörscreening der SQMed, dem die Autoren dieses Artikels angehören. Der Fachausschuss Hörscreening kann im Rahmen des Trackings zum Hörscreening Hinweise und Anfragen an die teilnehmenden Krankenhäuser übermitteln.

Ergebnisse

In Rheinland-Pfalz wurden im Jahr 2014 33.427 Geburten [3] registriert. Davon wurden 32.198 Geburten in den meldenden 40 Krankenhäusern verzeichnet. Die Erfassungsrate für das Neugeborenen-Hörscreening in den Krankenhäusern konnte in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesteigert werden und lag für das Jahr 2014 bei 99,9%. Im Jahr 2014 erzielten nur noch 4 der meldenden Krankenhäuser Dokumentationsraten, die signifikant unter den geforderten 95% lagen. 4,2% der Kinder konnten im Jahr 2014 nicht vollständig nachverfolgt werden. Die FAIL-Rate lag in den Jahren 2012/2013/2014 jeweils bei 5,1/5,1/5,4%. Im Jahr 2014 erfolgte das Basis-Screening in den Krankenhäusern zu 83,7% mittels TEOAE, zu 10,6% mittels AABR und in 5,7% wurde in der Geburtsklinik kein Screening durchgeführt (z.B. bei Verlegung in eine neonatologische Klinik). Nach der Entlassung aus der Geburtsklinik erfolgten im Jahr 2014 bei auffälligem Primärscreening 716 Kontroll-Screening-Untersuchungen erneut mittels TEOAE-Untersuchung und nur 527 Kontroll-Screening-Untersuchungen mittels AABR. In den Jahren 2012–2014 lag die ermittelte Hörstörungsrate (incl. passagere Hörstörungen) zwischen 2,7‰ und 3,1‰. Die Einwilligungsrate der Eltern (2014: 78,1%) ist gegenüber dem Vorjahr um ca. 10% gestiegen.

Diskussion

Es werden inzwischen möglicher Weise mehr Neugeborene erfasst, deren Folgeuntersuchungen aufgrund der schwierigeren Lebenssituationen der Eltern nicht vollständig nachverfolgt werden können. In den Jahren 2012–2014 lag die ermittelte Hörstörungsrate innerhalb des zu erwartenden Rahmens von 1–3 von 1.000 Neugeborenen [2]. Bei einem auffälligen Primärscreening erfolgte im Jahr 2014 das Kontroll-Screening in 57,6% mittels TEOAE und nur in 42,4% mittels AABR. Die Kontroll-Screening-Untersuchungen erfolgen damit zum größten Teil nicht nach dem in der Richtlinie des G-BA vorgesehenen AABR- oder BERA-Verfahren, sondern wohl aufgrund des geringeren Untersuchungsaufwandes nochmals mittels TEOAE-Untersuchungen. Bei einem solchen Vorgehen besteht ein erhöhtes Risiko angeborene Hörstörungen zu übersehen. Nur in der AABR- oder in nachfolgenden BERA-Untersuchungen lässt sich die Summe der intra- und retrocochleären Komponenten einer Hörstörung abbilden und damit auch vollständig diagnostizieren. Deshalb sollte eine Kontroll-Screening-Untersuchung mit diesen Methoden erfolgen. Auch die in Einzelfällen erkennbare Praxis, nach einem pathologischen Kontroll-Screening das Kind nicht direkt zur pädaudiologischen Konfirmationsdiagnostik zu überweisen sondern zuvor nochmals weitere BERA- oder TEOAE-Kontrollen durchzuführen, kann zur Verschleppung der Erstdiagnose einer Hörstörung und damit zu einem verspäteten Therapiebeginn führen.

Schlussfolgerung

Aus der Sicht des Fachausschusses sind derartige Modifikationen des Neugeborenen-Hörscreening-Verfahrens nicht zu empfehlen. Es ist vielmehr die Einhaltung der vom G-BA vorgeschriebenen Screening-Methodik zu fordern.


Literatur

1.
Bundesministerium für Gesundheit. Bekanntmachung eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Kinder-Richtlinien: Einführung eines Neugeborenen-Hörscreenings. Vom 19. Juni 2008. Verfügbar unter: https://www.g-ba.de/downloads/39-261-681/2008-06-19-Kinder-H%C3%B6rscreening_BAnz.pdf Externer Link
2.
Brosch S, Delb W, et al. S2k-Leitlinie: Periphere Hörstörungen im Kindesalter. AWMF-Register Nr. 049/010. AWMF; 2013 Sep. Verfügbar unter: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/049-010.html Externer Link
3.
Statistisches Bundesamt. Anzahl der Geburten in Deutschland nach Bundesländern von 2010 bis 2015. Statista; 2016. Verfügbar unter: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/36617/umfrage/anzahl-der-geburten-in-deutschland-nach-bundeslaendern/ Externer Link