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33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Regensburg, 22.09. - 25.09.2016

Mitochondropathien als Ursache progredienter Schwerhörigkeiten im Kindesalter

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Regensburg, 22.-25.09.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocV3

doi: 10.3205/16dgpp05, urn:nbn:de:0183-16dgpp056

Veröffentlicht: 8. September 2016

© 2016 Läßig et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Mitochondropathien sind im Kindesalter mit einer minimalen Prävalenz von 1–1,5 auf 10.000 seltene, genetisch bedingte oder erworbene degenerative Defekte von Enzymen, die an der Energiegewinnung der Zellen beteiligt sind. Die Auswirkungen betreffen den gesamten Zellstoffwechsel, da alle energieverbrauchenden Schritte gebremst werden. Einige der relevanten Enzyme sind gewebespezifisch, so dass nur eine bestimmte Gruppe von Organen u.a. Sinnesorgane betroffen sein können. Die Diagnosestellung ist meist langwierig. Die Krankheits- und Therapieverläufe sind je nach Schweregrad sehr unterschiedlich und teilweise ist mit einer hohen Letalitätsrate zu rechnen.

Material und Methoden: Im Rahmen der pädaudiologischen Betreuung erfolgt auch eine humangenetische Beratung und Diagnostik, so dass meist nach eingehender interdisziplinärer Ursachenforschung auch Mitochondropathien diagnostiziert wurden. Es konnte ein Kollektiv von 5 Patienten u.a. mit MERRF-Syndrom (engl. myoclonic epilepsy with ragged red fiber) und IOSCA (Infantile Onset Spinocerebelläre Ataxie; MIM #271245) sowie Kearns-Sayre-Syndrom diagnostiziert und mit Hörsystemen oder Cochlea-Implantat versorgt, deskriptive und epidemiologische Daten erhoben, als auch die Ergebnisse der durchgeführten Hörtests u.a. Ton- und Sprachaudiogramme, otoakustische Emissionen betrachtet werden.

Ergebnisse: Im Rahmen der pädaudiologischen Betreuung erfolgt auch eine humangenetische Beratung und Diagnostik, so dass meist nach eingehender interdisziplinärer Ursachenforschung auch Mitochondropathien diagnostiziert wurden. Es konnte ein Kollektiv von 5 Patienten u.a. mit MERRF-Syndrom (engl. myoclonic epilepsy with ragged red fiber) und IOSCA (Infantile Onset Spinocerebelläre Ataxie; MIM #271245) sowie Kearns-Sayre-Syndrom diagnostiziert und mit Hörsystemen oder Cochlea-Implantat versorgt, deskriptive und epidemiologische Daten erhoben, als auch die Ergebnisse der durchgeführten Hörtests u.a. Ton- und Sprachaudiogramme, otoakustische Emissionen betrachtet werden.

Diskussion: Patienten mit Mitochondropathien sind oftmals in ihrer gesamten, kognitiven als auch motorischen Entwicklung deutlich eingeschränkt und benötigen eine interdisziplinäre Behandlung und pädaudiologische Betreuung in entsprechenden Kompetenzzentren.

Fazit: Bei schwer beeinträchtigten Patienten mit progredienter Schwerhörigkeit sollte auch eine weiterführende humangenetische Diagnostik und ggf. auch Muskelbiopsie auf Mitochondropathien erfolgen.


Text

Einleitung

Mitochondriopathien sind im Kindesalter mit einer minimalen Prävalenz von 1–1,5 auf 10.000 seltene, genetisch bedingte oder erworbene degenerative Defekte von Enzymen, die an der Energiegewinnung der Zellen beteiligt sind [1]. Die Auswirkungen betreffen den gesamten Zellstoffwechsel, da alle energieverbrauchenden Schritte gebremst werden. Einige der relevanten Enzyme sind gewebespezifisch, so dass nur eine bestimmte Gruppe von Organen u.a. Sinnesorgane betroffen sein können. Die Diagnosestellung ist meist langwierig. Die Krankheits- und Therapieverläufe sind heterogen und je nach Schweregrad sehr unterschiedlich und teilweise ist mit einer hohen Letalitätsrate zu rechnen. Die Bedeutung der progredienten Hörminderung und die Notwendigkeit der frühzeitigen pädaudiologischen Diagnostik und Versorgung mit Hörhilfen werden im Rahmen der komplexen, teilweise schweren Symptomkomplexe noch oftmals unterschätzt und finden in den AWMF-Leitlinien zur Behandlung von Patienten mit Mitochondriopathien [1], [2] bisher kaum Beachtung.

Material und Methoden

Im Rahmen der pädaudiologischen Betreuung erfolgte eine humangenetische Beratung und Diagnostik, so dass meist nach eingehender Anamnese und interdisziplinärer Ursachenforschung oftmals in Folge einer Muskelbiopsie die Diagnose Mitochondriopathie gestellt wurde. Es konnte ein Kollektiv von 6 Patienten u.a. mit MERRF-Syndrom (engl. myoclonic epilepsy with ragged red fibers; ORPHA551, OMIM 545000) und IOSCA (engl. infantile onset spinocerebellar ataxia; ORPHA1186, OMIM #271245) sowie Kearns-Sayre-Syndrom (ORPHA480, OMIM 530000) [3] diagnostiziert und mit Hörsystemen oder Cochlea-Implantat (CI) versorgt, deskriptive und epidemiologische Daten erhoben und die Ergebnisse der durchgeführten Hörtests u.a. BERA-Messungen; Ton- und Sprachaudiogramme, otoakustische Emissionen betrachtet werden.

Ergebnisse

Zwei der 6 Patienten waren gut mit Hörsystemen bds. versorgbar und wiesen nur eine milde Progredienz über Jahre hinweg auf. 4 der Patienten wiesen direkt eine höhergradige Schwerhörigkeit mit Progredienz bis hin zur Hörrestigkeit auf, so dass eine CI-Versorgung im Verlauf indiziert wurde (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Bei den 2 Patienten mit MERRF-Syndrom sowie einen Jungen mit Komplex-I-Defizienz sind deutliche Hörreaktionen mit den CIs zu beobachten – ein Spracherwerb kann jedoch bei schwerer mentaler Retardierung nicht erwartet werden. Bei schnell degenerativ voranschreitenden Erkrankungen wie dem Kearns-Sayre-Syndrom ist jedoch auch die Versorgung mit einem CI langfristig zum Erreichen eines Sprachverstehens nicht mehr erfolgreich und die Prognose infaust.

Diskussion

Im Rahmen der interdisziplinären Diagnostik ist eine umfangreiche pädaudiologische Hördiagnostik und frühzeitige Hörsystem- oder CI-Versorgung anzustreben. Patienten mit frühzeitiger Manifestation der Mitochondriopathien sind oftmals in ihrer gesamten, kognitiven als auch motorischen Entwicklung deutlich eingeschränkt und benötigen eine komplexe, logopädische sowie physiotherapeutische, neurologische, orthopädische, ophthalmologische Behandlung und pädaudiologische Betreuung in entsprechenden Kompetenzzentren. Bei erst spätem Beginn der Erkrankung in der 1. oder 2. Lebensdekade steht der langsam progrediente Verlust schon erworbener Fähigkeiten im Vordergrund, so dass hier rehabilitative Maßnahmen und der Erhalt der Lebensqualität im Vordergrund stehen.

Schlussfolgerung

Bei schwer beeinträchtigten Patienten mit progredienter Schwerhörigkeit sollte neben einer weiterführenden Bildgebung auch eine weiterführende humangenetische Diagnostik und Muskelbiopsie auf Mitochondriopathien erfolgen.


Literatur

1.
AWMF-Leitlinie. Langfassung der S2-Leitlinie "Mitochondriopathien im Kindes- und Jugendalter, Diagnostik und Therapieansätze"; Registernummer 027-016; Stand: 01.03.2009 (in Überarbeitung), gültig bis 01.03.2014. AWMF; 2009. Verfügbar unter: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/027-016.html Externer Link
2.
AWMF-Leitlinie, Langfassung der S1-Leitlinie "Mitochondriale Erkrankungen", Registernummer 030-049, Stand: 30.09.2012, gültig bis 31.12.2016. AWMF; 2012. Verfügbar unter: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-049.html Externer Link
3.
Orphanet [Internet]. Verfügbar unter: http://www.orpha.net Externer Link