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32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

24.09. - 27.09.2015, Oldenburg

Neugeborenen-Hörscreening: Studie zur Vorbereitung eines flächendeckenden Screeningprogramms zur Früherkennung und Frühversorgung angeborener kindlicher Hörstörungen in Baden-Württemberg und Beurteilung von Risikofaktoren

Vortrag

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Oldenburg, 24.-27.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. Doc37

doi: 10.3205/15dgpp59, urn:nbn:de:0183-15dgpp592

Veröffentlicht: 7. September 2015

© 2015 Hornberger et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Zusammenfassung

Hintergrund: Um ein effizientes Screening, Tracking und Follow-up beim Neugeborenen-Hörscreening in Baden-Württemberg zu ermöglichen wurden Strukturen und Untersuchungsverfahren sowie Einfluss von Risikofaktoren für Hörstörungen am Universitätsklinikum Heidelberg in Kooperation der HNO-Klinik mit der Frauen- und Kinderklinik durchgeführt und analysiert.

Material und Methoden: Über 1 Jahr wurden Daten (TEOAE) von 1409 Neugeborenen aus der Universitäts-Frauenklinik, der Universitäts-HNO-Klinik und Befundberichte niedergelassener HNO-, und Kinderärzte ausgewertet. Risikomerkmale für eine Hörstörung wurden statistisch untersucht, die als binäre Kreuztabellen (Vier-Felder-Tafel) den OAE-Befunden gegenüber gestellt wurden. Das Chancenverhältnis für einen auffälligen sowie normalen OAE-Befund in Bezug auf jeweils eines der betrachteten Merkmale wurde beschrieben.

Ergebnisse: Von den 1409 untersuchten Neugeborenen erhielten 32 Kinder mit bds. nicht nachweisbaren OAE und 39 Kinder mit einseitig nicht nachweisbareren OAE eine Konfirmationsdiagnostik in der Pädaudiologie der Universitäts-HNO-Klinik. Bei 17 Neugeborenen wurde das NHS nicht in der Geburtsklinik durchgeführt: davon waren 6 Kinder hörauffällig, wovon 4 eine Nachuntersuchung beim niedergelassenen HNO-, oder Kinderarzt erhielten. 2 Kinder wurden in der Pädaudiologie der Universitäts-HNO-Klinik nachuntersucht. Bei den übrigen 11 Kindern war ein Follow-up nicht möglich. Bei Neugeborenen mit den Merkmalen „Geburtsgewicht unter 1500 g“, „Frühgeborenen-Retinopathie“ und „Maschinelle Beatmung mehr als 5 Tage“ kann mit einem pathologischem Hörscreening Ergebnis gerechnet werden. Bei den Merkmalen „Geburt vor der 32. SSW“ und „Furosemid-Therapie“ könnte es sich um Risikofaktoren handeln. Männliche Neugeborene haben ein doppelt so hohes Risiko in der Gesamtauswertung.

Diskussion: Es besteht allgemeiner Konsens darüber, dass nur ein flächendeckendes Neugeborenen-Hörscreening unabdingbar für die frühe Aufdeckung und Therapie von Hörstörungen ist. Dies kann nur durch eine Zentrale gesichert werden, die das Tracking- und Follow-up organisiert. Nicht alle Kinder konnten im untersuchten Zeitraum erfasst werden, weil ein kontrolliertes Tracking und Follow-up fehlt. Das lag einerseits an mangelnder Kooperation der Eltern, andererseits an nicht ausreichender Zusammenarbeit zwischen Krankenhaus- und niedergelassenen Ärzten. Durch ein „Neugeborenen-Hörscreening-Registergesetz“ könnte eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, um niedrigere Lost to follow-up- Raten zu erreichen.


Text

Hintergrund

Durch den Beschluss des G-BA im Juni 2008 wurde der Anspruch Neugeborener auf die Teilnahme am Neugeborenen-Hörscreening (NHS) mit Wirkung ab 1.1.2009 in den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Früherkennung von Krankheiten verankert. Damit ergibt sich die Notwendigkeit, die Durchführung und organisatorische Umsetzung eines Screeningprogramms auf der Basis von Vorarbeiten bereits bestehender Pilotprojekte zu erarbeiten. Am Universitätsklinikum Heidelberg wurden Screening, Tracking und Follow-up aus eigenen Ressourcen in Kooperation der HNO-Klinik mit der Frauen- und Kinderklinik durchgeführt. Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit der Vorbereitung eines flächendeckenden Screeningprogramms zur Früherkennung und Frühversorgung angeborener kindlicher Hörstörungen, sowie dem Einfluss von Risikofaktoren auf das Hörvermögen von Neugeborenen. Bisher fehlt eine flächendeckende effektive Früherkennung und Versorgung in Baden-Württemberg. Ziel dieser Arbeit ist die Analyse von Strukturen und Untersuchungsverfahren um ein effizientes Tracking und Follow-up zu ermöglichen.

Methoden

Über einen Zeitraum von 12 Monaten wurden die Daten von 1409 Neugeborenen aus der Universitäts-Frauenklinik Heidelberg, der Universitäts-HNO-Klinik Heidelberg und Befundberichte niedergelassener HNO-, und Kinderärzte ausgewertet. Das Hörscreening mit OAE und ABR erfolgte am 3.-10. Lebenstag. Für diese Studie wurden die Daten der transitorisch evozierten otoakustischen Emissionen (TEOAE) ausgewertet. Davon waren 1015 Kinder (72,0%) Reifgeborene und 394 (28,0%) Neugeborene, die aufgrund verschiedener Risikofaktoren auf die Frühgeborenen-Intensivpflegestation (FIPS) verlegt wurden. Risikomerkmale für eine Hörstörung wurden in dieser Arbeit statistisch untersucht. Die ausgewählten Merkmale wurden als binäre Kreuztabellen (Vier-Felder-Tafel) den OAE-Befunden gegenüber gestellt. Das Chancenverhältnis für einen auffälligen sowie normalen OAE-Befund in Bezug auf jeweils eines der betrachteten Merkmale wurde beschrieben.

Ergebnisse

Von den 1409 untersuchten Neugeborenen erhielten 32 Kinder mit beidseitig nicht nachweisbaren OAE und 39 Kinder mit einseitig nicht nachweisbaren OAE eine Konfirmationsdiagnostik in der Pädaudiologie der Universitäts-HNO-Klinik. Bei 17 Neugeborenen wurde das Neugeborenen-Hörscreening nicht in der Geburtsklinik durchgeführt. Aus dieser Gruppe waren 6 Kinder hörauffällig, wovon 4 eine Nachuntersuchung beim niedergelassenen HNO-, oder Kinderarzt erhielten. 2 Kinder wurden in der Pädaudiologie der Universitäts-HNO-Klinik nachuntersucht. Bei den übrigen 11 Kindern war ein Follow-up nicht möglich. Das absolute Risiko einen pathologischen OAE-Befund aufzuweisen lag in der vorliegenden einjährigen Vollerhebung bei 5% (71 von 1409 Neugeborenen zeigen einen pathologischen Befund). Das durchschnittliche Risiko bei Neugeborenen mit normalem Geburtsgewicht ist mit 4,3% zu setzen, während es bei einem Geburtsgewicht unter 1500 g auf über 20% ansteigt. Die vorliegende Studie zeigt, dass bei den Neugeborenen mit den Merkmalen „Geburtsgewicht unter 1500 g“, „Frühgeborenen-Retinopathie“ und „Maschinelle Beatmung mehr als 5 Tage“ mit einem pathologischem Hörscreening Ergebnis gerechnet werden kann. Bei den untersuchten Merkmalen wie „Geburt vor der 32. SSW“ und „Furosemid-Therapie“ ergibt sich der Verdacht, dass es sich um Risikofaktoren handeln könnte. Es zeigt sich, dass männliche Neugeborene ein doppelt so hohes Risiko in der Gesamtauswertung haben.

Diskussion

Es besteht allgemeiner Konsens darüber, dass nur ein flächendeckendes Neugeborenen-Hörscreening unabdingbar für die frühzeitige Aufdeckung und Therapie von Hörstörungen ist. Für das Umsetzen eines Screenings in Heidelberg, das die Forderungen des G-BA erfüllt, müssen in Bezug auf Tracking und Follow-up Korrekturen erfolgen. Dies kann nur durch eine Zentrale gesichert werden, die das Tracking- und Follow-up organisiert und die Kinder bis zur Diagnosestellung begleitet. In Baden-Württemberg fehlt ein Zentralregister, in dem Hörstörungen von Neugeborenen erfasst und weiter verfolgt werden können. Nicht alle Kinder konnten im untersuchten Zeitraum erfasst werden, weil ein kontrolliertes Tracking und Follow-up fehlt. Das lag einerseits an mangelnder Kooperation der Eltern, andererseits auch an nicht ausreichender Zusammenarbeit zwischen Krankenhaus- und niedergelassenen Ärzten. Die Kommunikation zwischen den beteiligten Krankenhäusern, Untersuchungsabläufe sowie Befundberichte sind nicht standardisiert. Durch ein „Neugeborenen-Hörscreening-Registergesetz“ könnte eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, um niedrigere Lost to follow-up- Raten zu erreichen. Ein flächendeckendes Screeningprogramm zur Früherkennung und Frühversorgung angeborener Hörstörungen zum Wohle der betroffenen Kinder in Baden-Württemberg ist unbedingt erforderlich.