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32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

24.09. - 27.09.2015, Oldenburg

Quantifizierung von Stimmbeschwerden nach totaler Thyreoidektomie

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Oldenburg, 24.-27.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. Doc43

doi: 10.3205/15dgpp44, urn:nbn:de:0183-15dgpp440

Veröffentlicht: 7. September 2015

© 2015 Läßig et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Patienten, die unter Schilddrüsenerkrankungen leiden oder an der Schilddrüse operiert worden sind, klagen häufig über Stimmveränderungen oder Schluckbeschwerden.

Material und Methoden: 53 Patienten, die eine totale Thyreoidektomie erhielten, wurden präoperativ (T0) sowie 1 (T1) und 6 (T3) Monate postoperativ laryngostroboskopiert und absolvierten eine Stimmfeldmessung. Es wurde zu allen Zeitpunkten eine Befragung zu Stimm- und Schluckproblemen (zusätzlich auch nach 3 Monaten (T2)) durchgeführt. In Anlehnung an den Sydney Swallow Questionnaire sowie die Fragen in der Lombardy Surgery Studie wurden 20 geschlossene Fragen gestellt: jeweils 10 Fragen zur Stimmqualität und Schluckproblemen mit den Antwortmöglichkeiten „nie“ (1), „fast nie“ (2), „manchmal“ (3), „häufig“ (4) und „immer“ (5).

Ergebnisse: Präoperativ klagten 12 Patienten (23%) über Heiserkeit während des Sprechens (Antwort: „manchmal“, „häufig“ und „immer“). Die Heiserkeit steigerte sich zum Zeitpunkt T1 auf 49% (n = 26; Schnittmenge zu T0: 11%, n = 6), sank zu T2 auf 21% (n = 11) und ging zu T3 auf den Ausgangswert zurück (23%, Schnittmenge zu T0: 8%, n = 4). Zu T1 fühlten sich die Frauen stimmlich häufiger beeinträchtigt 53% (19 von 36) als die Männer mit 41% (7 von 17). Bei 2 Patientinnen kam es zu einer passageren Recurrensparese. Im restlichen zeitlichen Verlauf verbesserten sich die Beschwerden bei beiden Geschlechtern. Die Frage „Nachlassen der Stimme bei Belastung“ (T0: 21%, T1: 43%, bei einer Schnittmenge von 13%, n = 7) wurde am häufigsten befürwortet. Im Singstimmfeld erreichten die Patienten im Median zu T0 einen Tonhöhenumfang von 27 Halbtonschritten (HTS), bei T1: 23 HTS, zu T2: 26 HTS. Ähnlich verhielt es sich mit dem Dynamikumfang.

Diskussion: Passagere Stimmbeschwerden sind bei Patienten nach Schilddrüsenoperation häufig. Die postoperativ eingeschränkte stimmliche Belastbarkeit ist bei Patienten mit hohen stimmlichen Anforderungen im Beruf bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit zu berücksichtigen.


Text

Einleitung

Patienten, die unter Schilddrüsenerkrankungen leiden oder an der Schilddrüse operiert worden sind, klagen häufig über Stimmveränderungen oder Schluckbeschwerden. In der Literatur findet man Angaben zu postoperativen Dysphonieraten von 30–80% [1], [2], jedoch korrelieren die subjektiven Beschwerden nicht mit den tatsächlichen Komplikationsraten z.B. objektive Rekurrensparesen (2,3% permanent, 4,5% passager bei totaler Thyreoidektomie nach Thomusch O. et al. 2003). Weitere Ursachen für passagere Nervenschäden bzw. Funktionsausfälle als Grund für eine Stimmveränderung sind Überdehnungen (Traktion), Ödeme bzw. Hämatome oder postoperative Adhäsion der infrahyoidalen Muskulatur, damit einhergehende Beeinträchtigung der Vorspannung der Stimmlippen [3], [4] und auch laryngopharyngealer Reflux.

Methode

Im Zeitraum von März 2011 bis Mai 2013 wurden 101 Patienten, die sich einer totalen Thyreoidektomie unterzogen, prospektiv zu vier Zeitpunkten (präoperativ (T0) sowie 1 (T1), 3 (T2) und 6 (T3) Monate) untersucht. Nachdem Patienten mit einem Schilddrüsenkarzinom, <16 Jahren, präoperativen Recurrens-Läsionen oder Funktionseinschränkungen, sowie unvollständigen Daten ausgeschlossen wurden, verblieben noch 53 Patienten, davon 36 Frauen und 17 Männer in der Auswertung (lost to follow up von 12 Patienten). Alle Patienten wurden videolaryngostroboskopiert und nahmen an einer Befragung zu Stimm- und Schluckproblemen teil. In Anlehnung an den Sydney Swallow Questionnaire sowie die Fragen in der Lombardy Surgery Studie wurden 20 geschlossene Fragen gestellt: jeweils 10 Fragen zur Stimmqualität und Schluckproblemen mit den Antwortmöglichkeiten „nie“ (1), „fast nie“ (2), „manchmal“ (3), „häufig“ (4) und „immer“ (5). 38 Patienten absolvierten eine Sing- und Sprechstimmfeldmessung.

Ergebnisse

Die Tabelle 1 [Tab. 1] gibt eine Übersicht über den Anteil der stimmlich beeinträchtigten Patienten zu den jeweiligen Untersuchungszeitpunkten.

Über „Heiserkeit während des Sprechens“ (Antwort: „manchmal“, „häufig“ und „immer“) klagten präoperativ 12 Patienten (23%, Median: 12 Punkte des Summenscores des Stimmfragebogens), 26 Patienten zu T1 (49%; Schnittmenge zu T0: 11% (n = 6); Median (Summenscore): 18 Punkte), 11 Patienten zu T2 (21%, Median (Summenscore): 13 Punkte) und ging zu T3 auf den Ausgangswert zurück (23%, Schnittmenge zu T0: 8% (n = 4); Median (Summenscore): 12 Punkte).

Zu T1 fühlten sich die Frauen stimmlich häufiger beeinträchtigt 53% (19 von 36) als die Männer mit 41% (7 von 17). Bei 2 Patientinnen kam es zu einer passageren Recurrensparese, obwohl durch das intraoperative Neuromonitoring keine Funktionsstörung des Nervens nachgewiesen werden konnte. Sechs Monate nach dem Eingriff war bei beiden Patienten keine Stimmlippenparese mehr feststellbar. Im restlichen zeitlichen Verlauf verbesserten sich die Beschwerden bei beiden Geschlechtern. Die Frage „Nachlassen der Stimme bei Belastung“ (T0: 21%, T1: 43% (Schnittmenge (T0 zu T1): 13%, n = 7), T2: 25%, T3: 19% (Schnittmenge (T0 zu T3) von 6%, n = 3) wurde am häufigsten bestätigt. Dies spiegelte sich auch bei der geschlechtsspezifischen Auswertung für diese Frage wieder (Frauen (n = 36): T0: 6 (17%), T1: 17 (47%), T2: 9 (25%), T3: 7 (19%); Männer (n = 17): T0: 5 (29%), T1: 6 (35%), T2: 4 (24%), T3: 3 (18%)).

Im Singstimmfeld erreichten die Patienten im Median zu T0 einen Tonhöhenumfang von 27 Halbtonschritten (HTS), bei T1: 23 HTS, zu T3: 26 HTS. Der Unterschied zwischen T0 zu T1 entspricht einem p-Wert von 0,009, von T1 zu T3 einem p < 0,001 und von T0 zu T3 einem p = 0,362 (bei Annäherung an den Ausgangswert). Bei den Männern sank der Median des Tonhöhenumfangs von 26 HTS zu T0 auf 21 HTS zu T1 und betrug 26 HTS zu T3. Bei den Frauen wurden 27,5 HTS zu T0, 25 HTS zu T1 und 26,5 HTS zu T3 gemessen. Der Dynamikumfang des Singstimmfelds lag für die gesamte Patientengruppe präoperativ bei einer Lautstärkendifferenz (LD) im Median bei 48 dB (max. 94 dB, min. 45 dB). Zu T1 fiel die LD auf 44 dB (max. 92 dB, min. 47 dB) ab. Zu T3 lag der Ausgangswert der LD bei 50 dB (max. 98 dB, min. 46 dB im Median). Die Darstellung des Tonhöhenumfangs zu den Zeitpunkten T0, T1 und T3 wird in Tabelle 2 [Tab. 2] ersichtlich und zeigt, dass die Männer den stärksten Tonhöheneinbruch postoperativ erlitten (T0 zu T1: p < 0,05; T1 zu T3: p < 0,05).

Diskussion und Schlussfolgerung

Die stimmliche Leistungsfähigkeit hängt von dem allgemeinen Wohlbefinden der Patienten, von deren Motivation und Musikalität, dem Auftreten von Schmerzen und der damit verbundenen Angst sich stimmlich anzustrengen, aber auch von durch Intubation oder Kompression bedingten Läsionen ab. Passagere Stimmbeschwerden mit Heiserkeit und Stimmermüdung sind deshalb bei Patienten nach Schilddrüsenoperation häufig, jedoch meist auch rückläufig. Auch der postoperative Stimmumfang lag in dieser Studie trotz passagerer Reduktion in der Norm, da erst Einbußen um 12 Halbtonschritte als pathologisch gewertet werden. Im Gegensatz zu anderen Studien u.a. von Scerrino et al. [5] klagten die Patienten in unserer Studie länger und häufiger über postoperative Stimmbeschwerden als über Schluckbeschwerden. Die eingeschränkte stimmliche Belastbarkeit ist bei Patienten mit hohen stimmlichen Anforderungen im Beruf bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit zu berücksichtigen.


Literatur

1.
Lombardi CP, Raffaelli M, De Crea C, D'Alatri L, Maccora D, Marchese MR, Paludetti G, Bellantone R. Long-term outcome of functional post-thyroidectomy voice and swallowing symptoms. Surgery. 2009 Dec;146(6):1174-81. DOI: 10.1016/j.surg.2009.09.010 Externer Link
2.
Stojadinovic A, Shaha AR, Orlikoff RF, Nissan A, Kornak MF, Singh B, Boyle JO, Shah JP, Brennan MF, Kraus DH. Prospective functional voice assessment in patients undergoing thyroid surgery. Ann Surg. 2002 Dec;236(6):823-32. DOI: 10.1097/00000658-200212000-00015 Externer Link
3.
Musholt TJ, Musholt PB, Garm J, Napiontek U, Keilmann A. Changes of the speaking and singing voice after thyroid or parathyroid surgery. Surgery. 2006 Dec;140(6):978-88; discussion 988-9. DOI: 10.1016/j.surg.2006.07.041 Externer Link
4.
Lombardi CP, D'Alatri L, Marchese MR, Maccora D, Monaco ML, De Crea C, Raffaelli M. Prospective electromyographic evaluation of functional postthyroidectomy voice and swallowing symptoms. World J Surg. 2012 Jun;36(6):1354-60. DOI: 10.1007/s00268-012-1481-8 Externer Link
5.
Scerrino G, Inviati A, Di Giovanni S, Paladino NC, Di Paola V, Lo Re G, Almasio PL, Cupido F, Gulotta G, Bonventre S. Esophageal motility changes after thyroidectomy; possible associations with postoperative voice and swallowing disorders: preliminary results. Otolaryngol Head Neck Surg. 2013 Jun;148(6):926-32. DOI: 10.1177/0194599813482299 Externer Link