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32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

24.09. - 27.09.2015, Oldenburg

Outcome mit CI/ABI bei Kindern mit Hypo- bzw. Aplasie des Nervus cochlearis

Vortrag

  • corresponding author Désirée Ehrmann-Müller - Klinik und Poliklinik für Hals- Nasen- Ohrenkrankheiten, plastische und ästhetische Operationen der Universität Würzburg, Würzburg, Deutschland
  • author Daniela Reubelt - Klinik und Poliklinik für Hals- Nasen- Ohrenkrankheiten, plastische und ästhetische Operationen der Universität Würzburg, Würzburg, Deutschland
  • author Andreas Radeloff - Klinik und Poliklinik für Hals- Nasen- Ohrenkrankheiten, plastische und ästhetische Operationen der Universität Würzburg, Würzburg, Deutschland
  • author Robert Mlynski - Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, „Otto Körner“ der Universität Rostock, Rostock, Deutschland
  • author Heike Kühn - Klinik und Poliklinik für Hals- Nasen- Ohrenkrankheiten, plastische und ästhetische Operationen der Universität Würzburg, Würzburg, Deutschland
  • author Rudolf Hagen - Klinik und Poliklinik für Hals- Nasen- Ohrenkrankheiten, plastische und ästhetische Operationen der Universität Würzburg, Würzburg, Deutschland
  • author presenting/speaker Wafaa Shehata-Dieler - Klinik und Poliklinik für Hals- Nasen- Ohrenkrankheiten, plastische und ästhetische Operationen der Universität Würzburg, Würzburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Oldenburg, 24.-27.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. Doc39

doi: 10.3205/15dgpp30, urn:nbn:de:0183-15dgpp303

Veröffentlicht: 7. September 2015

© 2015 Ehrmann-Müller et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Moderne technische Fortschritte in der Bildgebung ermöglichen eine zunehmend detailliertere Aussage über die Anlage des N. cochlearis bei einer hochgradigen Hörminderung. Auf Grund dessen wird nach radiologischen Kriterien immer häufiger die Diagnose einer Hypo- bzw. Aplasie des N. cochlearis gestellt. Vor allem bei unilateralem Hörverlust ist eine Hypo- bzw. Aplasie des Hörnervs mit 21–50% relativ häufig.

Ziel unserer aktuellen Studie ist es, die Frage zu klären, ob es Sinn macht, ein Kind mit radiologisch definierter A- bzw. Hypoplasie des N. cochlearis mit einem CI zu versorgen, wenn in den audiologischen Tests noch eine messbare Funktion des N. cochlearis nachweisbar ist. Darüber hinaus wird das audiologische Outcome zwischen Kindern mit Aplasie und Hypoplasie vergleichend dargestellt. Des Weiteren werden Kriterien genannt, die die Entscheidung CI versus ABI bei diesen Kindern erleichtern können.

Material und Methoden: Es wurden 8 Kinder mit Hypo- bzw. Aplasie des N. cochlearis und an Taubheit grenzender Hörminderung untersucht. Alle Kinder erhielten eine cMRT und ein CT-Felsenbein. Ein Promontorialtest sowie eine EBERA wurden bei den Kindern durchgeführt, bei denen in der BERA keine Antworten nachweisbar waren. 3 Kinder erhielten ein CI beidseits, 4 Kinder wurden einseitig versorgt. Bei fehlenden Antworten in der EBERA und Aplasie des N. cochlearis wurde bei einem Kind die Indikation zu einem ABI gestellt. Zur Evaluation des Outcomes wurden Aufblähkurven, Sprachverständnistests, Entwicklungstests und Berichte der Eltern herangezogen.

Ergebnisse: Hörreaktionen waren bei allen Kindern mit CI/ABI nachweisbar. Schon bei Erstanpassung zeigten sich Schreckreaktionen und Reaktionen auf Lieder. Im Freifeld (FF) lagen die Ergebnisse bei 30–60 dB bei Kindern mit Hypoplasie. Auch die Kinder mit Aplasie erreichten im FF sowohl mit CI als auch mit ABI Ergebnisse bei 30–50 dB.

Fazit: Es zeigt sich, dass sowohl bei Kindern mit radiologisch definierter Hypoplasie als auch mit Aplasie des N. cochlearis ein CI sinnvoll ist. Vor der Implantation sollten ein Promontorialtest und eine EBERA erfolgen. Da die CI-Implantation bei Hypo- bzw. Aplasie des Hörnervs jedoch weiter in der Diskussion stehen wird, ist die Entwicklung von zusätzlichen diagnostischen Instrumenten, welche die Indikation für ein CI stützen können, nötig.


Text

Einleitung

Ein angeborener Hörverlust liegt bei 2–3/1000 Kindern weltweit vor. Moderne technische Fortschritte in der Bildgebung ermöglichen eine zunehmend detailliertere Aussage über die Anlage des N. cochlearis bei einer hochgradigen Hörminderung. Auf Grund dessen wird nach radiologischen Kriterien immer häufiger die Diagnose einer Hypo- bzw. Aplasie des N. cochlearis gestellt. Vor allem bei unilateralem Hörverlust ist eine Hypo- bzw. Aplasie des Hörnervs mit 21–50% relativ häufig.

Es steht nun seit ca. 15 Jahren zur Diskussion, ob bei einer radiologisch definierten Hypo- bzw. Aplasie des N. cochlearis ein CI überhaupt sinnvoll ist und ob das audiologische Outcome dieser Kinder mit Kindern mit normaler Anlage des Hörnervs vergleichbar ist. Erste Ergebnisse in der Literatur zeigen häufig keinerlei Hörreaktionen nach CI-Implantation bei später festgestellter Aplasie des N. cochlearis (Zanetti et al. 2006, Goeverts et al. 2003).

Des Weiteren beschreiben Wu et al. [1] zwar ein schlechteres audiologisches Outcome nach Cochleaimplantation bei Kindern mit radiologisch definierter Aplasie, aber ein vergleichbares Outcome bei Hypoplasie-Kindern mit Kindern mit regelrecht angelegtem Hörnerv.

Ziel unserer aktuellen Studie ist es, die Frage zu klären, ob es Sinn macht, ein Kind mit radiologisch definierter A- bzw. Hypoplasie des N. cochlearis mit einem CI zu versorgen, wenn in den audiologischen Tests noch eine messbare Funktion des N. cochlearis nachweisbar ist. Darüber hinaus wird das audiologische Outcome zwischen Kindern mit Aplasie und Hypoplasie vergleichend dargestellt. Des Weiteren werden Kriterien genannt, die die Entscheidung CI versus ABI bei diesen Kindern erleichtern können.[1]

Methoden

Es wurden 8 Kinder mit Hypo- bzw. Aplasie des N. cochlearis und an Taubheit grenzender Hörminderung untersucht. Definiert wurde eine Aplasie bzw. Hypoplasie des N. cochlearis auf Grund von radiologischen Kriterien. Eine Aplasie wurde bei im cMRT nicht abgrenzbarem N. cochlearis diagnostiziert. Die Definition der Hypoplasie des N. cochlearis wurde in einem um die Hälfte des Durchmessers des N. facialis kleineren N. cochlearis gesehen.

In die Studie wurden alle Kinder, die an der Klinik und Poliklinik für Hals- Nasen- Ohrenheilkunde, plastische und ästhetische Operationen der Universität Würzburg von 2007 bis 2014 ein CI bzw. ABI erhielten und bei welchen radiologisch die Diagnose einer A- bzw. Hypoplasie des N. cochlearis gestellt wurde, eingeschlossen. Somit wurden 1 Kind mit Aplasie links und mittelgradiger Hörminderung rechts, 3 Kinder mit Aplasie links und Hypoplasie rechts, 1 Kind mit Aplasie beidseits, 2 Kinder mit Hypoplasie beidseits, 1 Kind mit Hypoplasie rechts und Cochleamissbildung links untersucht.

Eine genetische und kinderärztliche/neuropädiatrische Abklärung erfolgte bei allen Kindern. Bei zwei Kindern war die genetische Untersuchung vollkommen unauffällig. Bei zwei Kindern wurde ein Charge-Syndrom, bei einem Kind ein Treacher-Collins-Syndrom und bei einem eine VACTERL-Assoziation festgestellt. Ein Kind litt an einem unklaren Fehlbildungssyndrom. Ein weiteres war ein Frühgeborenes der 32. SSW mit globaler Entwicklungsverzögerung. Eine Darstellung der Patienten mit Nebendiagnosen und Art der Versorgung ist in Tabelle 1 [Tab. 1] zu finden.

Alle Kinder erhielten eine cMRT und ein CT-Felsenbein. Ein Promontorialtest sowie eine EBERA wurden bei den Kindern durchgeführt, bei denen in der BERA keine Antworten nachweisbar waren. 3 Kinder erhielten ein CI beidseits, 4 Kinder wurden einseitig versorgt. Bei fehlenden Antworten in der EBERA und Aplasie des N. cochlearis wurde bei einem Kind die Indikation zu einem ABI gestellt. Zur Evaluation des Outcomes wurden Aufblähkurven, Sprachverständnis- tests, Entwicklungstests und Berichte der Eltern herangezogen.

Ergebnisse

Ein Promontorialtest und/oder eine EBERA wurden bei den Kindern durchgeführt, bei denen im FF und/oder in der akustischen BERA keine Hörreaktionen nachweisbar waren. Folglich erhielten 5 Kinder einen Promontorialtest. Im Promontorialtest erhielten wir bei 2 der Kinder keine Antworten, bei diesen Kindern waren jedoch gute Antworten in der EBERA nachzuweisen. Eine EBERA wurde bei 7 Kindern durchgeführt. 6 Kinder zeigten in der EBERA deutliche Hörreaktionen, während ein Kind mit Aplasie des N. cochlearis auf Grund ausbleibender Antworten in der EBERA und im Promontorialtest, wie oben bereits erwähnt, ein ABI erhielt.

Hörreaktionen waren bei allen Kindern mit CI/ABI nachweisbar. Schon bei Erstanpassung zeigten sich Schreckreaktionen und Reaktionen auf Lieder. Im Freifeld lagen die Ergebnisse bei 30–60 dB bei den Kindern mit Hypoplasie. Auch bei den Kindern mit Aplasie lagen die Ergebnisse im FF sowohl mit CI als auch mit ABI bei 30–70 dB. Somit konnte in den Ergebnissen des Freifelds keine Unterschiede zwischen Kindern mit Aplasie und Hypoplasie festgestellt werden. Auch die Versorgung mit CI oder ABI hatte in unserer Studie keinen Einfluss auf die audiologischen Ergebnisse bei Aplasie.

Es konnte beobachtet werden, dass sich die Hörreaktionen mit der Tragedauer des Implantates verbessern.

Bei allen Kindern ist eine Hör- und Sprachentwicklung beobachtbar. Vor allem die Sprachentwicklung ist jedoch bei den Kindern mit globaler Entwicklungsverzögerung auf Grund der Grunderkrankung und bei nicht deutsch sprechenden Kindern häufig schwer zu beurteilen. Sie ist jedoch bei allen Kindern in unterschiedlichem Ausmaß erkennbar. Es zeigt sich ein Unterschied zwischen dem Sprachverständnis und der Sprachproduktion: Ein gutes rezeptives Sprachverstehen liegt bei allen Kindern vor. Die Sprachproduktion bzw. die expressive Sprachentwicklung stellt sich jedoch sehr unterschiedlich ausgeprägt dar. Deutliche Fortschritte sind auch in der allgemeinen Entwicklung bei allen Kindern trotz der sehr heterogenen Bedingungen festzustellen.

Diskussion

Es konnte dargestellt werden, dass sowohl bei Kindern mit radiologisch definierter Hypoplasie als auch bei Kindern mit radiologisch definierter Aplasie des N. cochlearis ein CI von Nutzen ist, da bereits nach kurzer Zeit ein deutlich besseres audiologisches und sprachliches Outcome sowie eine allgemeine Entwicklungsverbesserung nachzuweisen ist. Hierbei zeigen sich keine Unterschiede mit CI bei Aplasie gegenüber den Kindern mit Hypoplasie.

Diese Ergebnisse stehen im Gegensatz zu vielen früheren Studien (z.B. Gray et al. 1998, Maxwell et al. 1999, Kutz et al. 2011). Bei Kindern mit radiologisch definierter Aplasie zeigte sich in vielen Studien ein schlechteres audiologisches Outcome nach CI als bei Kindern mit einer Hypoplasie.

2014 beschrieben Colletti et al. [2] in einer Vergleichsstudie zwischen CI und ABI bei Hypo- bzw. Aplasie des NC deutlich bessere Ergebnisse mit ABI als mit CI. Auch dies ließ sich in unserer Studie nicht bestätigen.

Unsere Daten widerlegen die Studien, die eine Cochleaimplantation bei einer Aplasie des N. cochlearis generell ablehnen bzw. auf Grund eines schlechteren Outcomes nicht empfehlen.

Dieses schlechtere Outcome in früheren Studien ist wahrscheinlich dadurch zu erklären, dass in vielen dieser Studien häufig ein CI implantiert wurde, obwohl vor allem in älteren Studien keine ausreichende audiologische Diagnostik mit Promontorialtest oder EBERA durchgeführt worden war.

Schlussfolgerung

Es zeigt sich, dass sowohl bei Kindern mit radiologisch definierter Hypoplasie als auch mit Aplasie des N. cochlearis ein CI sinnvoll ist, sofern elektroakustisch Hörreaktionen nachweisbar sind. Deshalb sollten vor der Implantation ein Promontorialtest und eine EBERA erfolgen. Da die CI-Implantation bei Hypo- bzw. Aplasie des Hörnervs jedoch weiter in der Diskussion stehen wird, ist die Entwicklung von zusätzlichen diagnostischen Instrumenten, welche die Indikation für ein CI stützen können, nötig.


Literatur

1.
Wu CM, Lee LA, Chen CK, Chan KC, Tsou YT, Ng SH. Impact of Cochlear Nerve Deficiency Determined Using 3-Dimensional Magnetic Resonance Imaging on Hearing Outcome in Children with Cochlear Implants. Otol Neurotol. 2015 Jan;36(1):14-21. DOI: 10.1097/MAO.0000000000000568 Externer Link
2.
Colletti L, Colletti G, Mandalá M, Colletti V. The Therapeutic Dilemma of Cochlear Nerve Deficiency: Cochlear or Brainstem Implantation. Otolaryngol Head Neck Surg. 2014;151(2):308-14. DOI: 10.1177/0194599814531913
3.
Nakano A, Arimoto Y, Matsunaga T. Cochlear Nerve Deficiency and Associates Clinical Features in Patients with Bilateral and Unilateral Hearing Loss. Otol Neurotol. 2013 Apr;34(3):554-8. DOI: 10.1097/MAO.0b013e3182804b31 Externer Link