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Genetische und phänotypische Analyse einer Münsteraner Familie mit spezifischer Sprachentwicklungsstörung
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Veröffentlicht: | 7. September 2015 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Hintergrund: Als typische Symptome von spezifischen Sprachentwicklungsstörungen gelten Beeinträchtigungen in den verschiedensten Teilbereichen der Sprache, wobei die Störungsmuster sehr heterogen beschrieben sind. Die Ätiopathogenese ist bisher noch nicht vollständig geklärt. Es wird eine multifaktorielle Ätiologie vermutet.
In unserer Studie führten wir in einer Familie, in der wir über mehrere Generationen spezifische Sprachentwicklungsstörungen diagnostiziert hatten, genetische Analysen durch. Ziel dieser Studie war es, einen definierten Genotyp für die phänotypischen Erscheinungen in der Familie zu bestimmen.
Material und Methoden: Im ersten Schritt haben wir mit einer linguistischen Testbatterie die Familienmitglieder getestet.
Im zweiten Schritt führten wir eine Kopplungsanalyse durch. Wir verwendeten Mikrosatellitenmarker von 9 DYX-Loci: DYX 1, 15q21; DYX2, 6p21, DYX3, 2p16-p15; DYX 4, 6q13-q16; DYX5, 3p12-q12; DYX6, 18p11; DYX 7, 11p15; DYX8, 1p34-p36 und DYX9, Xp27.
Ergebnisse: Die phänotypischen Erscheinungen der Familie ließen sich in vier Gruppen einteilen: „Unauffällig“, „SLI“, „Dyslexie/Isolierte Rechtschreibstörung“ und „Isolierte Arbeitsgedächtnisschwäche“. Bei keinem der verwendeten Marker ergab sich eine Kopplung mit dem Phänotyp.
Diskussion: Das Verteilungsmuster der Sprachschwächen innerhalb der Familie zeigte eine ausgeprägte Heterogenität. Mit den bisher verwendeten Markern konnte kein definierter Genotyp bestimmt werden. Wir vermuten, dass das Zusammenspiel von mehreren Genen, unter dem Einfluss der Umweltfaktoren zu Ausprägungen von spezifischen Sprachentwicklungsstörungen führt. Weitere genetische Analysen mit dem New Generation Sequenzer laufen.
Text
Hintergrund
Die spezifische Sprachentwicklungsstörung (SLI) ist definiert als eine Sprachentwicklungsstörung mit normaler nonverbaler Intelligenz, normalem Hörvermögen und ohne neurologische Erkrankungen oder psychische Störungen [1]. Verschiedene Teilbereiche der Sprache sind betroffen, wobei die Störungsmuster sehr heterogen beschrieben sind. Die Ätiopathogenese ist bisher noch nicht vollständig geklärt. Es wird eine multifaktorielle Ätiologie vermuten, bei der genetische Mutationen, strukturelle neurologische Veränderungen und Umweltfaktoren zusammen wirken.
Ziel dieser Studie war es in einer Münsteraner Familie, in der gehäuft spezifische Sprachentwicklungsstörungen berichtet wurden, zu untersuchen ob homogene Verteilungsmuster der Sprachdefizite erkennbar sind und eine genaue Charakterisierung der Sprachstörungen möglich ist. In einem zweiten noch laufenden Schritt versuchen wir genetische Marker zu finden, die eine Kopplung mit dem Phänotyp der Sprachstörungen zeigen.
Material und Methode
Im ersten Schritt haben wir mit einer linguistischen Testbatterie die Familienmitglieder ausführlich in den Bereichen Schriftsprache, Sprachverständnis, Morphologie/Syntax und Wortflüssigkeit getestet. Zudem wurden das verbale Arbeitsgedächtnis untersucht und der nonverbale IQ bestimmt.
Im zweiten Schritt, der genetischen Diagnostik, führten wir eine Kopplungsanalyse mit den Mikrosatellitenmarkern von 9 Dyslexie Markern [2] durch: DYX 1, 15q21; DYX2, 6p21, DYX3, 2p16-p15; DYX 4, 6q13-q16; DYX5, 3p12-q12; DYX6, 18p11; DYX 7, 11p15; DYX8, 1p34-p36 und DYX9, Xp27.
Ergebnisse
Die Familienmitglieder ließen sich phänotypisch in vier Gruppen (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]) einteilen: „Unauffällig“, „SLI“, „Dyslexie/Isolierte Rechtschreibstörung“ und „Isolierte Arbeitsgedächtnisschwäche“. Die einzelnen Gruppen unterschieden sich bezüglich des Geschlechts, des Alters und der Bildungsjahre nicht signifikant voneinander. Alle Familienmitglieder hatten einen durchschnittlichen bis überdurchschnittlichen nonverbalen IQ. Bei der Gruppe „SLI“ ließen sich signifikante Defizite in der Singular-/Pluralbildung, im Generieren von Wortlisten und im Arbeitsgedächtnis erkennen.
In der Kopplungsanalyse (Abbildung 2 [Abb. 2]) waren zwar Rekombinationen erkennbar, jedoch keine Kopplung mit den bisher verwendeten Dyslexiemarkern.
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse zeigen die ausgeprägte Komplexität und Heterogenität von spezifischen Sprachentwicklungsstörungen. Die vorliegende Studie unterstützt die Aussage, dass die Koexistenz von SLI und Dyslexie [3] häufig in Familien zu beobachten ist. So zeigten sich innerhalb der untersuchten Familie die Phänotypen „SLI“ und „Dyslexie/isolierte Rechtschreibstörung“. Jedoch konnte bei keinem der Familienmitglieder mit SLI eine Beeinträchtigung der Lesefähigkeit und nur bei einem Mitglied mit SLI ein Defizit in der Rechtschreibung festgestellt werden. Bei den verwendeten Dyslexiemarkern zeigte sich keine Kopplung mit dem Phänotyp. Es ist zu diskutieren, ob bei SLI eingeschränkte Lese- und Rechtschreibfähigkeiten auf die gleiche ätiologische Grundlage zurückzuführen sind wie bei Dyslexie. Weitere genetische Analysen mit SLI-Markern sind geplant, zudem laufen bereits Exom Sequenzierungen einzelner Familienmitglieder. Da die Ätiologie und Pathogenese von spezifischen Sprachentwicklungsstörungen bis heute nicht genau bekannt ist und sich eine Heterogenität der verschiedenen Symptome zeigt, stellt sich die Frage, ob SLI als Syndrom gesehen werden sollte.
Literatur
- 1.
- Tager-Flusberg H, Cooper J. Present and future possibilities for defining a phenotype for specific language impairment. J Speech Lang Hear Res. 1999 Oct;42(5):1275-8. DOI: 10.1044/jslhr.4205.1275
- 2.
- Williams J, O'Donovan MC. The genetics of developmental dyslexia. Eur J Hum Genet. 2006 Jun;14(6):681-9. DOI: 10.1038/sj.ejhg.5201575
- 3.
- Flax JF, Realpe-Bonilla T, Hirsch L, Brzustowicz LM, Bartlett CW, Tallal P. Specific Language Impairment in Families: Evidence for Co-Occurrence with Reading Impairments. J Speech Lang Hear Res. 2003 Jun;46(3):530-43. DOI: 10.1044/1092-4388(2003/043)