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32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

24.09. - 27.09.2015, Oldenburg

Differenzierte Analyse des Öffnungs- und Schließungsverhalten von Stimmlippenschwingungen

Vortrag

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Oldenburg, 24.-27.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. Doc17

doi: 10.3205/15dgpp04, urn:nbn:de:0183-15dgpp049

Veröffentlicht: 7. September 2015

© 2015 Lohscheller et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Die Hochgeschwindigkeits-(HG-)Laryngoskopie erlaubt durch ihre hohe zeitliche Auflösung die präzise Erfassung des zeitabhängigen Schwingungsmusters von Stimmlippen. In einer Reihe von Studien konnte gezeigt werden, dass sich die Schwingungsvorgänge in ihrer Gesamtheit hinsichtlich der auftretenden zeit- und ortsabhängigen Schwingungsmuster adäquat quantitativ beschreiben lassen. Eine für die klinische Praxis anwendbare differenzierte Analyse des zeit- und ortsabhängigen Öffnungs- und Schließungsverhaltens der Stimmlippen existiert bisher nicht.

Material und Methoden: In dieser Arbeit wird gezeigt, dass durch Erweiterung eines Verfahrens zur wavelet-basierten Analyse von HG-Videos, eine differenzierte Analyse des glottalen Öffnungs- und Schließungsverhaltens möglich ist. Das Verfahren erlaubt weiterhin die Analyse sowohl stationärer als auch nicht-stationärer Phonationsparadigmen. So können die sich zeitlich verändernden Schwingungszyklen in ihre Öffnungs- und Schlussphasen zerlegt und die unterschiedlichen Vorgänge innerhalb der beiden Schwingungsphasen quantitativ erfasst werden. Das Verfahren wird anhand von endoskopischen HG-Videoaufnahmen stimmgesunder Probanden demonstriert. Ebenso wird die differenzierte Analyse nicht-stationärer HG-Videoaufnahmen anhand von Fallbeispielen veranschaulicht.

Ergebnisse: Das erweiterte Verfahren erlaubt Unterschiede im Öffnungs- und Schließungsverhalten der Stimmlippen präzise zu erfassen. Die Quantifizierung der zeit- und ortsabhängigen Prozesse innerhalb der beiden Schwingungsphasen erfolgt durch einen Satz klinisch interpretierbarer Parameter, welche auch eine Beschreibung der zeitlichen Veränderungen der Schwingungseigenschaft bei nicht-stationärer Phonation ermöglichen.

Diskussion: Das vorgestellte Verfahren ermöglicht erstmals eine individuelle Analyse des Öffnungs- und Schließungsverhalten der Stimmlippen, welches sowohl für stationäre als auch für nicht stationäre Phonation angewendet werden kann.


Text

Hintergrund

Die Hochgeschwindigkeits-(HG)-Laryngoskopie erlaubt durch ihre hohe zeitliche Auflösung das präzise Erfassen des zeitabhängigen Schwingungsmusters der Stimmlippendynamik. In Studien konnte gezeigt werden, dass sich basierend auf Phonovibrogrammen (PVG) [1] die einzelnen Schwingungszyklen hinsichtlich ihrer zeit- und ortsabhängigen Schwingungseigenschaften durch eine geringe Anzahl klinisch interpretierbarer Merkmale präzise beschreiben lassen [2]. Die Merkmale lassen sich gezielt zu einer automatisierten Klassifizierung von Stimmlippenpathologien nutzen [3].

Das bisherige waveletbasierte Analyseverfahren betrachtet den zeitlichen Prozess eines jeden Schwingungszyklus in seiner Gesamtheit und erlaubt so für jede Stimmlippe eine individuelle Quantifizierung des jeweiligen Schwingungstyps [2]. Während durch diese Vorgehensweise unter anderem eine Beschreibung der lateralen Schwingungsasymmetrie ermöglicht wird, lassen sich keine eindeutigen Aussagen über Unterschiede zwischen den zeit- und ortsabhängigen Öffnungs- bzw. Schlussphasen ableiten.

Diese Arbeit zeigt, dass durch Erweiterung des wavelet-basierten PVG-Analyseverfahrens [2], eine separate Analyse des glottalen Öffnungs- und Schließungsverhaltens erreicht wird. Das Verfahren erlaubt sowohl eine Analyse stationärer als auch nicht-stationärer Phonationsparadigmen, so dass sich Änderungen der Öffnungs- und Schlussphasen über die Zeit darstellen lassen.

Material und Methoden

Die Demonstration des Verfahrens erfolgt anhand endoskopischer HG-Videoaufnahmen (HRES ENDOCM 5562, Richard Wolf, 4.000 Bilder pro Sekunde) von stimmgesunden Probanden. Von jedem Probanden wurden die HG-Videoaufnahmen segmentiert und die dazugehörigen Phonovibrogramme berechnet, welche die Datenbasis für das weitere Analyseverfahren darstellen.

Zur zeitvarianten Analyse der Schwingungsdynamik wird jedes PVG in w = [1,…,W] sich überlappende Segmente unterteilt. Für jedes PVG-Segment erfolgt in einem ersten Schritt für jede Stimmlippenseite (l,) die Extraktion der dominanten Schwingungsstruktur (PVG-Konturen) als Funktion der glottalen Achse k entsprechend Abbildung 1 [Abb. 1] (1). In einem zweiten Schritt werden im Gegensatz zu dem bisherigen Ansatz, bei dem als Merkmal die Differenz Formel 1 zwischen den gestrichelten Konturen genutzt wurde, nun in dem erweiterten Verfahren die Öffnungs- Formel 2 bzw. Schlusskontur Formel 3 separat als Merkmalsvektor bestimmt. Dies ermöglicht eine differenzierte Analyse des Öffnungs- und Schließungsverhalten innerhalb eines jeden PVG-Segments.

In einem abschließenden Schritt erfolgt entsprechend dem in [2] vorgestellten Verfahren für jedes PVG-Segment eine Reduktion des Merkmalsraums mittels Hauptachsentransformation. Die ersten 3 dominanten Eigenwerte repräsentieren dabei die grundlegenden Eigenschaften des Schwingungsverhaltens der Stimmlippen.

Ergebnisse und Diskussion

Abbildung 2 [Abb. 2] (a, b) zeigt exemplarisch für zwei gesunde Probanden die separate Analyse des Öffnungs- und Schlussverhaltens der Stimmlippen für eine gehaltene Phonation. Entsprechend den rechts neben den Diagrammen dargestellten PVG-Geometrien, lässt sich bereits anhand des ersten Eigenwertes erkennen, dass sich die Öffnungs- und Schlussphasen innerhalb beider Probanden erheblich voneinander unterscheiden. Von dem Betrag und dem Vorzeichen des ersten Eigenwertes kann direkt auf die Richtung und Stärke der Anterior (A) – Posterior (P) Phasenverschiebung währen der Öffnungs- bzw. der Schlussphase geschlossen werden. Die laterale Symmetrie kann durch Ermittlung der L2-Norm zwischen der linken und rechten Stimmlippenseite abgeleitet werden. Beide Probanden zeigen eine nur gering ausgeprägt laterale Asymmetrie.

In Abbildung 2 [Abb. 2] (c, d) ist für zwei weitere Probanden exemplarisch das Ergebnis der zeitabhängigen Analyse der Öffnungs- und Schlussverhalten der Stimmlippen gezeigt. Aus den Verläufen des ersten Eigenwertes kann geschlossen werden, dass sich in Abhängigkeit von der Grundfrequenz (des Phonationsmechanismus) die AP-Phasendifferenzen der Öffnungs- und Schlussprozesse unterschiedlich stark ausprägen.

Das hier vorgestellte Verfahren stellt eine Verallgemeinerung der bisherigen waveletbasierten PVG-Analyse dar [2]. Es erlaubt erstmalig eine zeitabhängige und individuelle Analyse des Öffnungs- und Schließungsverhaltens der Stimmlippen für eine gesamte HG-Videosequenz und ermöglicht so neue Einblicke in die physiologischen und pathologischen Prozesse der Stimmentstehung.


Literatur

1.
Lohscheller J, Eysholdt U, Toy H, Dollinger M. Phonovibrography: mapping high-speed movies of vocal fold vibrations into 2-D diagrams for visualizing and analyzing the underlying laryngeal dynamics. IEEE Trans Med Imaging. 2008 Mar;27(3):300-9. DOI: 10.1109/TMI.2007.903690 Externer Link
2.
Unger J, Hecker DJ, Kunduk M, Schuster M, Schick B, Lohscheller J. Quantifying spatiotemporal properties of vocal fold dynamics based on a multiscale analysis of phonovibrograms. IEEE Trans Biomed Eng. 2014 Sep;61(9):2422-33. DOI: 10.1109/TBME.2014.2318774 Externer Link
3.
Unger J, Lohscheller J, Reiter M, Eder K, Betz CS, Schuster M. A noninvasive procedure for early-stage discrimination of malignant and precancerous vocal fold lesions based on laryngeal dynamics analysis. Cancer Res. 2015 Jan;75(1):31-9. DOI: 10.1158/0008-5472.CAN-14-1458 Externer Link