Artikel
Sprachentwicklungsstand gehörloser cochleaimplantierter Kinder zwei Jahre nach Erstanpasung. Ergebnisse im Sprachentwicklungstest für zweijährige Kinder (SETK-2)
Suche in Medline nach
Autoren
Veröffentlicht: | 2. September 2014 |
---|
Gliederung
Zusammenfassung
Hintergrund: Das Ziel einer frühen Cochlea-Implantat (CI) Versorgung ist die Entwicklung einer altersgemäßen Lautsprache.
In dieser Auswertung wurde die Sprachentwicklung bei gehörlosen, cochleaimplantierten Kindern zwei Jahre nach Sprachprozessorerstanpassung untersucht und mit den Normdaten für 2-jährige Kinder verglichen.
Material und Methoden: Im Rahmen der Evaluation nach Cochlea-Implantation wurde zwei Jahre nach Sprachprozessorerstanpassung der Sprachentwicklungstest SETK-2 (Grimm et al. 2000) durchgeführt (Auswertung bezogen auf die Altersgruppe I: 24–29 Monate). Es lagen Daten von 60 Kindern (33=männlich, 27=weiblich) vor, deren Höralter (Zeitpunkt ab Erstanpassung des ersten CIs) im Median 24 Monate war (10 bis 28 Monaten).
Ergebnisse: Ein Großteil der Kinder war in der Sprachentwicklung höraltergemäß. Der Median der T-Werte in den vier Untertest des SETK-2 lag bei 61 (Wortverstehen), 54 (Satzverstehen), 49 (Wortproduktiopn) und 46 (Satzproduktion). Einzelne Kinder waren in Untertests nicht höraltergemäß (Wortverstehen: 13,3%, Satzverstehen: 14,3%, Wortproduktion: 28,3%, Satzproduktion: 33,3%) und ein kleiner Anteil (6,7%) überdurchschnittlich in allen vier Untertests.
Diskussion: Die meisten Kinder entwickelten sich in den ersten zwei Jahren höraltersgemäß. Es zeigt sich ein signifikanter Zusammenhang für alle Untertest mit dem Alter zum Zeitpunkt der Erstanpassung. Dass eine frühe CI Versorgung häufiger zu einer altersgemäßen Sprachentwicklung führt, wurde auch in anderen Studien belegt (Geers et al. 2013). Auffallend in dieser Kohorte ist zudem, dass signifikante Zusammenhänge zwischen der Ein- und Mehrsprachigkeit und den Untertests Wortverstehen, Wortproduktion und Satzproduktion bestehen. Auch in der Gruppe der einsprachig deutsch erzogenen Kinder erzielt ein kleiner Teil der Kinder in einzelnen Untertests keine höraltergemäßen Ergebnisse.
Fazit: Bei nicht höraltergemäßen Ergebnissen in den Untertests sollten weitere Untersuchungen durchgeführt werden um mögliche Ursachen für eine langsamere Sprachentwicklung zu erkennen und die Förderung entsprechend zu optimieren. Früh versorgte Kinder benötigen die Möglichkeit die Hör- und Sprachentwicklung während der Nachsorgephase längerfristig zu behandeln und zu evaluieren. Vertragsbedingungen, die die Nachsorge auf drei Jahre befristen sind nicht zeitgemäß.
Text
Einführung
Durch die Einführung des Neugeborenen-Hörscreenings im Jahr 2009 ist das Ersterfassungsalter bei Kindern mit einer Schwerhörigkeit gesunken. Die Kinder werden früher mit Hörgeräten versorgt und ebenso beginnt die durch die Schulen mit dem Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation durchgeführte Hörfrühförderung häufig schon in den ersten Lebensmonaten nach Diagnosestellung.
Kinder mit einer hochgradig an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit können aber Sprache selbst mit optimaler Hörgeräteversorgung häufig nicht ausreichend wahrnehmen. Mit Hilfe eines Cochlea-Implantates und einer intensiven pädagogischen-therapeutischen und technischen Nachsorge können diese Kinder Hören und Sprechen lernen. Eine Möglichkeit der Therapie bei Kindern mit Hörschädigung ist die Auditiv-Verbale Therapie (AVT). Der enge Einbezug der Eltern bzw. Bezugspersonen der hörgschädigten Kinder in die Therapie ist ein zentraler Baustein der AVT. Die Eltern lernen in den Sitzungen, wie sie Therapieinhalte im Alltag umsetzen können und ihr Kind auf dem Weg des Hören und Sprechen Lernens unterstützen können.
Die CI-Versorgung bei Kindern wird seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts durchgeführt und es kann heute die bilaterale Versorgung in den ersten Lebensjahren als Standard gesehen werden. Das langfristige Ziel einer frühen CI-Versorgung ist dabei die Entwicklung einer altersgerechten Lautsprache. Mit der frühen CI-Versorgung ist die Erwartung verbunden, dass sich die Diskrepanz zwischen Lebensalter und Höralter im Verlauf der Sprachentwicklung schließt. Zu welchem Zeitpunkt die Kinder eine lebensaltersgemäße Sprachentwicklung erreichen, ist von verschiedenen Faktoren, wie Zeitpunkt der Ertaubung, Zeitpunkt der Erstversorgung und auch der Art und Weise der pädagogischen und therapeutischen Nachsorge abhängig.
Zahlreiche Studien belegen, dass das Höralter der Kinder in den ersten Jahren nach CI-Versorgung etwa dem Sprachentwicklungsalter entspricht und Kinder die früher versorgt werden, bessere Ergebnisse erzielen als später versorgte Kinder. Aus neurophysiologischer Sicht ist eine bilaterale Versorgung unter zwei Jahren Lebensalter anzustreben, um eine bestmögliche Hör- und Sprachentwicklung zu erzielen [1], [2], [3].
In dieser Untersuchung wurde die Sprachentwicklung bei gehörlosen, cochleaimplantierten Kindern zwei Jahre nach Sprachprozessorerstanpassung untersucht und mit den Normdaten für 2-jährige hörende Kinder verglichen.
Material und Methoden
Im Rahmen der Evaluation der Hör- und Sprachentwicklung nach Cochlea-Implantation wurde zwei Jahre nach Sprachprozessorerstanpassung der Sprachentwicklungstest für zweijährige Kinder (SETK-2) [4] durchgeführt. Der SETK-2 besteht aus vier Untertests: Verstehen I, Verstehen II, Produktion I und Produktion II. Im Untertest Verstehen I (Wortverstehen) sollen im closed-set von jeweils vier Bildern neun Begriffe, im Untertest Verstehen II (Satzverstehen) im closed-set von zwei bis vier Bildern acht Sätze zugeordnet werden. Im Untertest Produktion I (Wortproduktion) muss das Kind sechs Gegenstände und 24 Abbildungen von Gegenständen benennen. Im letzen Untertest (Produktion II, Satzproduktion) geht es um die Beschreibung von 16 Abbildungen. Das Testverfahren ist für Kinder im Alter zwischen 24 und 35 Monaten an 283 Kindern normiert und die Normierungsstichprobe wurde aufgeteilt in zwei Altersgruppen.
Die Auswertung der bei dieser Studie erhobenen Daten erfolgte bezogen auf die Altersgruppe I: 24–29 Monate. Eingeschlossen in die Untersuchung wurden alle Kinder die vor dem 5. Lebensjahr mit einem Cochlea-Implantat versorgt wurden und entsprechend der Altersgruppe I ein Höralter mit CI von maximal 29 Monaten aufwiesen. Die Datensammlung erfolgte in den Jahren 2003–2013. Ausgeschlossen wurden alle Kinder mit bekannten schweren kognitiven und körperlichen Entwicklungsstörungen oder Behinderungen (Befunde des ansässigen Sozialpädiatrischen Zentrums). Um einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt der Erstanpassung und den Testergebnissen berechnen zu können, erfolgte eine Einteilung der Kinder in fünf Altersgruppen zum Zeitpunkt der Erstanpassung: 0–11 Monate (n=10), 12–23 Monate (n=20), 24–35 Monate (n=19), 36–47 Monate (n=6) und 48–59 Monate (n=5). Die Auswertung erfolgte mit IBM SPSS Statistics 22 (nonparametrische Testverfahren: Mann-Whitney Test; Kruskal-Wallis-Test) und Microsoft Ecxel.
Ergebnisse
Es wurden Datensätze von 60 Probanden ausgewertet (33=männlich, 27=weiblich), deren Höralter (Zeitpunkt ab Erstanpassung des ersten CIs) im Median bei 24 Monate lag (10 bis 28 Monaten).
Die Kinder waren zum Testzeitpunkt im Median 45,5 Monate alt (28 bis 80 Monate). Zum Zeitpunkt der Erstanpassung waren sie im Median 23,5 Monate alt (5 bis 57 Monate) (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Die Erstanpassung fand bei 50% der Probanden vor dem 2. Geburtstag statt und insgesamt 81,7% wurden vor dem 3. Geburtstag mit einem CI versorgt. 48,3% der Kinder waren bilateral CI versorgt. 60% der Probanden waren einsprachig Deutsch erzogen. Bei den verbleibenden Kindern lag eine simultane oder sequentielle Mehrsprachigkeit mit einer der folgenden Sprachen vor: Türkisch, Kurdisch, Italienisch, Polnisch, Marokkanisch, Wolof, Englisch und Farsi.
Ein Großteil der Kinder zeigte zwei Jahre nach Erstanpassung des Sprachprozessors höraltergemäße Ergebnisse im SETK-2. Je nach Untertest lag der prozentuale Anteil der Kinder, die mindestens höraltergemäße Ergebnisse (T-Wert=40) erzielten, zwischen 66,7 und 86,7%. Der Median der T-Werte in den vier Untertest des SETK-2 lag bei 61 (Wortverstehen), 54 (Satzverstehen), 49 (Wortproduktion) und 46 (Satzproduktion). Einzelne Kinder waren in Untertests nicht höraltergemäß entwickelt (T-Wert<40) (Wortverstehen: 13,3%, Satzverstehen: 14,3%, Wortproduktion: 28,3%, Satzproduktion: 33,3%) und ein kleiner Anteil (6,7%) erzielte überdurchschnittliche Ergebnisse (T-Wert>60) in allen vier Untertests.
In der Untergruppe der einsprachig Deutsch erzogenen Kinder (n=36) zeigten 11,1% der Kinder in allen vier Untertests Ergebnisse die gemessen am Höralter über dem Durchschnitt liegen. Der prozentuale Anteil der Kinder die keine höraltergemäßen Ergebnisse erreichten war geringer (Wortverstehen: 2,8%, Satzverstehen: 8,8%, Wortproduktion: 13,9%, Satzproduktion: 21,2%) als in der Gesamtgruppe, bzw. der Gruppe der mehrsprachig erzogenen Kinder.
Zwei Kinder der Kohorte zeigten lebensaltersgemäße Ergebnisse im SETK-2 in allen vier Untertests.
Der Zusammenhang zwischen den Untertests Verstehen I (p=.026) und dem Alter zum Zeitpunkt der Erstanpassung war signifikant. Tendenziell erreichten in allen vier Untertests die früher versorgten Kinder bessere Ergebnisse. Insbesondere im Bereich Produktion sank der prozentuale Anteil der Kinder, die mindestens höraltergemäße Ergebnisse erzielten, bei den Kindern die nach dem 2. Geburtstag implantiert wurden auf 47–66%, wohingegen 80–90% der innerhalb der ersten zwei Lebensjahre implantierten Kinder T-Werte von ≥40 erzielten (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]). Zudem bestanden in dieser Kohorte signifikante Zusammenhänge zwischen der Ein- und Mehrsprachigkeit und allen vier Untertests (p=.000–.034).
Zusammenfassung – Diskussion
Die meisten Kinder in dieser Untersuchung entwickelten sich in den ersten zwei Jahren nach Erstanpassung höraltersgemäß und zeigten eine Sprachentwicklung, die der Sprachentwicklung hörender zweijähriger Kinder entspricht. Ein signifikanter Zusammenhang zwischen den Alter bei Erstanpassung und den Testergebnissen ließ sich nur im Bereich Wortverstehen feststellen, jedoch erzielten die vor dem 2. Geburtstag implantierten Kinder tendenziell bessere Ergebnisse, insbesondere im Bereich Sprachproduktion. Dass eine frühe CI-Versorgung häufiger zu einer altersgemäßen Sprachentwicklung führt, wurde auch in anderen Studien belegt [5].
Auch in der Gruppe der einsprachig Deutsch erzogenen Kinder erzielte ein Teil der Kinder in einzelnen Untertests keine höraltersgemäßen Ergebnisse. Bei nicht höraltersgemäßen Ergebnissen in den Untertests sollten weitere Untersuchungen durchgeführt werden um mögliche Ursachen für eine langsamere Sprachentwicklung zu erkennen und die Förderung entsprechend zu optimieren.
Nach dieser ersten Auswertung der Datensätze bedarf es weiterer Untersuchungen, um die Ursache für unterschiedliche Entwicklungsverläufe vertieft zu untersuchen. Ebenso muss der weitere Entwicklungsverlauf der Kinder untersucht werden, um zu sehen, ob die Kinder die im SETK-2 höraltergemäße oder überdurchschnittliche Ergebnisse zeigten, dies auch mindestens beibehalten und es schaffen die Schere zwischen dem Lebensalter und Höralter bis spätestens zur Einschulung zu schließen.
Literatur
- 1.
- Ganek H, McConkey Robbins A, Niparko JK. Language outcomes after cochlear implantation. Otolaryngol Clin North Am. 2012 Feb;45(1):173-85. DOI: 10.1016/j.otc.2011.08.024.
- 2.
- Kral A, Sharma A. Developmental neuroplasticity after cochlear implantation. Trends Neurosci. 2012 Feb;35(2):111-22. DOI: 10.1016/j.tins.2011.09.004
- 3.
- Svirsky MA, Sloan RB, Caldwell M, Miyamoto RT. Speech intelligibility of prelingually deaf children with multichannel cochlear implants. Ann Otol Rhinol Laryngol Suppl. 2000 Dec;185:123-5.
- 4.
- Grimm H, Aktas M, Frevert S. Sprachentwicklungstest für zweijährige Kinder (SETK-2). Diagnose rezeptiver und produktiver Sprachverarbeitungsfähigkeiten. Manual. Göttingen: Hogrefe; 2000.
- 5.
- Geers AE, Nicholas JG. Enduring advantages of early cochlear implantation for spoken language development. J Speech Lang Hear Res. 2013 Apr;56(2):643-55. DOI: 10.1044/1092-4388(2012/11-0347)