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31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

18.09. - 21.09.2014, Lübeck

Welche instrumentellen akustischen Merkmale verbessern sich bei Patienten mit funktionellen Stimmstörungen durch eine logopädische Stimmübungstherapie?

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Akademie für Hörgeräte-Akustik. 31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik. Lübeck, 18.-21.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocV30

doi: 10.3205/14dgpp54, urn:nbn:de:0183-14dgpp542

Veröffentlicht: 2. September 2014

© 2014 Reetz et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Hintergrund: Funktionelle Dysphonien, Stimmstörungen ohne organische oder neurogene Ursache, betreffen 30% aller Stimmpatienten (Van Houtte et al. 2010). Die Diagnose und der Nachweis eines Therapieerfolgs erfordern nach dem ELS Protokoll eine umfassende Beurteilung der Stimmfunktion. Die Aussagekraft instrumenteller akustischer Messungen der Grundtonschwankung (Jitter) und des Stimmumfangsprofiles hierfür wird jedoch kritisch diskutiert (Brockmann-Bauser et al. 2011, Pabo et al. 2011). Diese Studie untersucht unter anderem, ob Patienten mit einer funktionellen Stimmstörung nach einer Stimmübungstherapie verbesserte instrumentelle Merkmale aufweisen.

Material und Methoden: 25 Patienten (17 F/8 M) von 31–77 Jahren (Mittel:51,6) mit funktioneller Dysphonie wurden retrospektiv vor und nach Stimmtherapie analysiert. Im Mittel fanden 7,88 Therapien über 7–59 Wochen von 01/2011-07/2013 in der Abteilung Phoniatrie und Klinische Logopädie der ORL-Klinik am Universitätsspital Zürich statt.

Untersucht wurden: a) subjektive Beschwerden gemäss Voice Handicap Index (VHI-9i), b) perzeptive Merkmale gemäss GRBAS-Skala, c) die instrumentellen Parameter Jitter (%), Mittelwert/Umfang von Tonhöhe und Lautstärke der Sprech- und Rufstimme, min./max. Lautstärke plus Dynamikbreite sowie min./max. Tonhöhe und Tonumfang der Singstimme, Dysphonia Severity Index (DSI). Unterschiede und Zusammenhänge wurden mittels Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test und Spearman-Rang-Korrelation statistisch berechnet.

Ergebnisse: Nach Stimmtherapie waren der VHI-9i (17 auf 9 Punkte; p< 0,001), der Gesamtgrad Heiserkeit (G) (1 auf 0,72; p=0,016), die Behauchtheit (B) (0,72 auf 0,28; p=0,003) und Asthenie (A) (0,52 auf 0,12; p=0,011) signifikant verbessert. Von allen instrumentellen Parametern lag nur beim Sprechstimmumfang eine signifikante Verbesserung von 7,4 auf 8,96 Halbtöne vor (p=0,03).

Diskussion: Entscheidend für den Nachweis eines Therapieerfolgs bei funktioneller Dysphonie sind subjektive Beschwerden, der perzeptive Stimmeindruck und der Sprechstimmumfang. Die Aussagekraft aller anderen instrumentellen Parameter zum Nachweis einer Verbesserung der Stimmfunktion bleibt weiterhin offen.

Fazit: Für den Nachweis eines Therapieerfolgs bei funktioneller Dysphonie sind subjektive Beschwerden, der perzeptive Stimmeindruck und der Sprechstimmumfang entscheidend.


Text

Hintergrund

Eine funktionelle Stimmstörung ist durch eine Beeinträchtigung des Stimmklangs und/oder durch eine verminderte Stimmkapazität ohne Hinweis auf einen organischen oder neurogenen Ursprung charakterisiert [1]. Hiervon sind ca. 30% aller Patienten in auf Stimmstörungen spezialisierten Kliniken betroffen [1]. Funktionelle Stimmstörungen stellen somit die häufigste Diagnose dar. Die klinische Untersuchung des Kehlkopfs mittels Laryngostroboskopie dient zwar dem Nachweis der Diagnose einer funktionellen Dysphonie, jedoch zeigen sich nicht immer signifikante Veränderungen nach einer logopädischen Therapie, die mit der subjektiv empfundenen Verbesserung der Patienten korrelieren [2]. Gemäss Europäischer Laryngologischer Vereinigung (ELS) werden unter anderem instrumentelle akustische Messungen von Stimmumfangsprofilen, Irregularitätsparametern wie Jitter und kombinierten Parametern wie der Dysphonia Severity Index (DSI) zum Nachweis von funktionellen Stimmstörungen verwendet. Die Validität dieser Parameter zur objektiven Messung von Verbesserungen der Stimmfunktion nach einer Behandlung wird für diese Patientengruppe jedoch kritisch diskutiert [3], [4]. Oftmals korreliert der subjektive Therapieerfolg nicht mit den akustischen Messergebnissen.

Ziel dieser Studie ist, die Ergebnisse der instrumentellen akustischen Stimmdiagnostik vor und nach einer logopädischen Übungstherapie bei Patienten mit funktioneller Stimmstörung zu vergleichen, um signifikante Parameter für einen Therapieerfolg bestimmen zu können.

Material und Methoden

Für die vorliegende Studie wurden retrospektiv Untersuchungsdaten von 25 Patienten (17 Frauen/ 8 Männer) im Alter von 31 bis 77 Jahren (Mittel: 51,6 Jahre) mit funktioneller Dysphonie ausgewertet, welche eine phoniatrische und logopädische Abklärung mit anschließender logopädischer Therapie im Zeitraum von 01/2011 bis 07/2013 an der Abteilung Phoniatrie und Klinische Logopädie, Klinik für Ohren-, Nasen-Hals- und Gesichtschirurgie, Universitätsspital Zürich, erfuhren.

Ausgewertet wurden Daten, die vor Beginn bei der Erstuntersuchung und nach Abschluss der Therapie erhoben worden waren. Diese umfassten a) subjektive Beschwerden gemäss Voice Handicap Index (VHI-9i), b) perzeptive Merkmale der Stimme gemäss GRBAS-Skala (Grading-Roughness-Breathiness-Asthenia-Strain Scale) und c) die instrumentellen akustischen Parameter Jitter (Kurzzeitschwankung des Grundtones in %), Mittelwert/Umfang von Tonhöhe und Lautstärke der Sprech- und Rufstimme, minimale/maximale Lautstärke plus Dynamikbreite sowie die minimale/maximale Tonhöhe plus Tonumfang der Singstimme sowie der Dysphonia Severity Index (DSI).

Für alle Berechnungen wurde die Software SPSS, Version 21 bzw. 22, verwendet. Berechnet wurden Mittelwerte, Standardabweichung (SD) sowie der minimale und maximale Wert. Aufgrund nicht normal verteilter Daten wurden statistische Unterschiede mittels Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test und Zusammenhänge mittels Spearman-Rang-Korrelation berechnet. Als Signifikanzniveau wurde bei den Test eine Irrtumswahrscheinlichkeit von α=0,05 (alle p-Werte <0,05 gelten als signifikant) angenommen.

Ergebnisse

Dauer und Anzahl der logopädischen Sitzungen

Die gesamte Therapiedauer, in denen logopädische Sitzungen stattfanden, umfasste 7 bis 59 Wochen. Bei 6 Patienten (24%) betrug die Therapiedauer 7–10 Wochen, bei 9 Patienten (36%) 11 bis 20 Wochen, bei 4 Patienten (16%) 21 bis 30 Wochen, bei 3 Patienten (12%) 31–40 Wochen und bei 3 Patienten (12%) 51 bis 59 Wochen.

Die Anzahl der Therapiesitzungen lag bei 80% (20) der Patienten zwischen 4 bis 10. Lediglich 5 Patienten (20%) hatten mehr als 10 Sitzungen.

Voice Handicap Index 9i (VHI-9i)

Von 25 Patienten konnten nur bei 13 VHI Fragebögen aufgrund unvollständiger bzw. fehlender Angaben vor und nach der Therapie ausgewertet werden. Nach den Therapiesitzungen zeigte sich eine signifikante subjektive Verbesserung (gesamt VHI) der Stimmprobleme im Alltag (p<0,001; Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test). Insbesondere zeigten folgende Fragen des Fragebogens einen signifikanten Unterschied: F3 (p=0,023), P4 (p=0,012), F16 (p=0,012), P17 (p=,023), P21 (p=0,006) und E24 (p=0,016).

Perzeptive Stimmanalyse (GRBAS)

Nach der Therapie waren der gesamte Grad der Stimmstörung von durchschnittlich 1 auf 0,72 (p=0,016), sowie die Unterparameter Behauchtheit von 0,72 auf 0,28 (p=0,003) und Asthenie der Stimme von 0,52 auf 0,12 signifikant verbessert (p=0,011).

Instrumentelle akustische Messungen

Von allen untersuchten instrumentellen akustischen Parametern, welche einzelne Merkmale der Sprechstimme (Mittelwert/Umfang von Tonhöhe und Lautstärke), Rufstimme (Mittelwert von Tonhöhe, maximale Lautstärke), der Singstimme (minimale/maximale Lautstärke, Dynamikbreite, minimale/maximale Tonhöhe, Tonumfang, Tonhaltedauer), sowie Jitter und den DSI beinhalteten, zeigte sich lediglich ein signifikanter Unterschied im Tonumfang der Sprechstimme (p=0,030, Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test). Dieser nahm nach den Therapiesitzungen im Durchschnitt von 7,4 auf 8,96 Halbtöne um ca. 21% zu. Die Verbesserung des Umfangs der Sprechstimme korreliert jedoch nicht mit dem Resultat des VHI Gesamtwerts (p=0,953; Spearman-Rang-Korrelation).

Diskussion

Im Rahmen dieser Studie wurde untersucht, welche instrumentellen akustischen Parameter bei Patienten mit funktioneller Dysphonie nach Abschluss einer logopädischen Übungstherapie signifikant verändert sind. In unserer Studienpopulation zeigten sich nach Abschluss der Stimmübungstherapie signifikante Verbesserungen der subjektiven Beschwerden und auch des perzeptiven Stimmeindrucks. Der Voice Handicap Index (VHI) gilt insgesamt als sensitives Instrument zum Nachweis von Therapieerfolg bei Patienten mit funktionellen Stimmstörungen. Es zeigen sich bisher jedoch unterschiedliche Ergebnisse in Bezug auf die Korrelation des VHI mit instrumentellen akustischen Messergebnissen [5], [6], [7].

In unserer Studie war von allen instrumentellen akustischen Parametern lediglich der Sprechstimmumfang nach der Therapie signifikant vergrößert. Es bestand jedoch kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Stimmverbesserung gemäß VHI und der Vergrößerung des Tonumfanges der Sprechstimme. Somit scheinen die subjektiven Beschwerden (VHI), der perzeptive Stimmeindruck (GRBAS-Skala) und der Tonumfang der Sprechstimme den Therapieerfolg bei Patienten mit funktionellen Stimmstörungen am besten zu reflektieren. Allerdings bedeutete eine Vergrößerung des Tonumfanges der Sprechstimme nicht automatisch eine Verbesserung der subjektiven Beschwerden des Patienten.

Aufgrund unserer Studienergebnisse bleibt die Aussagekraft von instrumentellen akustischen Parametern zum objektiven Nachweis einer Stimmverbesserung bei Patienten mit funktionellen Stimmstörungen weiterhin offen und bedarf einer kritischen Diskussion. Ein Grund hierfür könnte sein, dass instrumentelle akustische Messungen häufig große natürliche Unterschiede zwischen einzelnen Patienten aufweisen. Dies kann im Rahmen einer grösseren Studie überprüft werden.

Fazit

Entscheidend für den Nachweis des Therapieerfolgs einer Stimmübungstherapie bei Patienten mit funktioneller Dysphonie sind subjektive Beschwerden, der perzeptive Stimmeindruck und der Sprechstimmumfang. Die Aussagekraft aller anderen instrumentellen akustischen Parameter zum Nachweis einer Verbesserung der Stimmfunktion bleibt weiterhin offen und bedarf einer kritischen Diskussion.


Literatur

1.
Van Houtte E, Van Lierde K, D'Haeseleer E, Claeys S. The prevalence of laryngeal pathology in a treatment-seeking population with dysphonia. Laryngoscope. 2010 Feb;120(2):306-12. DOI: 10.1002/lary.20696 Externer Link
2.
Halawa WE, Muñoz IV, Perez SS. Effectiveness of laryngostroboscopy for monitoring the evolution of functional dysphonia after rehabilitator treatment. Indian J Otolaryngol Head Neck Surg. 2013 Dec;65(4):322-6. DOI: 10.1007/s12070-013-0636-8 Externer Link
3.
Brockmann-Bauser M, Drinnan MJ. Routine acoustic voice analysis: time to think again? Curr Opin Otolaryngol Head Neck Surg. 2011 Jun;19(3):165-70. DOI: 10.1097/MOO.0b013e32834575fe Externer Link
4.
Pabon P, Ternström S, Lamarche A. Fourier descriptor analysis and unification of voice range profile contours: method and applications. J Speech Lang Hear Res. 2011 Jun;54(3):755-76. DOI: 10.1044/1092-4388(2010/08-0222) Externer Link
5.
Niebudek-Bogusz E, Kuzanska A, Woznicka E, Sliwinska-Kowalska M. Assessment of the voice handicap index as a screening tool in dysphonic patients. Folia Phoniatr Logop. 2011;63(5):269-72. DOI: 10.1159/000324214 Externer Link
6.
Schindler A, Mozzanica F, Vedrody M, Maruzzi P, Ottaviani F. Correlation between the Voice Handicap Index and voice measurements in four groups of patients with dysphonia. Otolaryngol Head Neck Surg. 2009 Dec;141(6):762-9. DOI: 10.1016/j.otohns.2009.08.021 Externer Link
7.
Woisard V, Bodin S, Yardeni E, Puech M. The voice handicap index: correlation between subjective patient response and quantitative assessment of voice. J Voice. 2007 Sep;21(5):623-31. DOI: 10.1016/j.jvoice.2006.04.005 Externer Link