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31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

18.09. - 21.09.2014, Lübeck

Psychische Gesundheit bei Jugendlichen mit Cochlea Implant

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Akademie für Hörgeräte-Akustik. 31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik. Lübeck, 18.-21.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocV22

doi: 10.3205/14dgpp37, urn:nbn:de:0183-14dgpp379

Veröffentlicht: 2. September 2014

© 2014 Keilmann et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Bisher publizierte Studien ergaben, dass Jugendliche mit hochgradigen Hörstörungen eher psychische Probleme und Erkrankungen entwickeln als normal hörende (van Gent et al. 2007). Zu Jugendlichen mit Cochlea Implantaten (CI) wurden bisher keine Studien mit größeren Fallzahlen publiziert. Aufgrund einer Vorstudie in Salzburg (Huber et al. 2011) gingen wir von der Hypothese aus, dass Jugendliche mit CI insgesamt ihre Situation ähnlich wie normal hörende einschätzen. Zudem untersuchten wir den Einfluss der erreichten Hörleistung mit dem CI.

Material und Methoden: In einer prospektiven Multicenter-Querschnitts-Studie (Freiburg, Hannover, Mainz, München Salzburg) befragten wir 140 Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren, bei denen die Hörstörung vor dem 2. Geburtstag eingetreten war und die schon mindestens 3 Jahre mit einem/zwei CIs versorgt waren, sowie deren Eltern und Lehrer mittels des Strenght and Difficulty Questionnaire (SDQ). Wir verglichen sie mit einer dem Alter, dem Geschlecht und dem sozialen Hintergrund entsprechenden Kontrollgruppe. Korrelationsanalysen, t-Tests und ANOVAs wurden verwandt.

Ergebnisse: Im Gesamtscore und in den meisten Subskalen des SDQ (Verhaltensauffälligkeiten, Hyperaktivität, prosoziales Verhalten) unterschieden sich die Jugendlichen mit CI nicht von den normal hörenden. Lediglich im Umgang mit Gleichaltrigen ergaben sich in der Selbsteinschätzung wie in der Fremdeinschätzung durch die Eltern und Lehrer ungünstigere Werte. Ausschließlich in der Lehrereinschätzung wurden mehr emotionale Probleme attestiert, die aber nicht bestehen blieben, wenn die 35 Jugendlichen ausgeschlossen wurden, die zusätzliche Beeinträchtigungen (z.B. Syndrome, Lernbehinderung) aufwiesen. Die Korrelationsanalysen mit den audiologischen Daten ergaben nur kaum Zusammenhänge, lediglich mit dem Hörerfolg vor der CI-Versorgung.

Diskussion: Durch die Versorgung mit CI kann die psychische und emotionale Entwicklung günstig beeinflusst werden. Es fanden sich nur wenige Zusammenhänge zwischen den in allen Zentren erhobenen audiologischen Variablen und der psychischen Gesundheit.

Fazit: Durch die Versorgung mit CI kann die Lebensqualität günstig beeinflusst werden.


Text

Hintergrund

Bisher publizierte Studien ergaben, dass Jugendliche mit hochgradigen Hörstörungen eher psychische Probleme und Erkrankungen entwickeln als normal hörende [1]. Zu Jugendlichen mit Cochlea Implantaten (CI) wurden bisher keine Studien mit größeren Fallzahlen publiziert. Aufgrund einer Vorstudie in Salzburg [2] gingen wir von der Hypothese aus, dass Jugendliche mit CI insgesamt ihre Situation ähnlich wie normal hörende einschätzen, zumindest, wenn außer der Hörstörung keine weiteren Behinderungen vorliegen, die Diagnose früh gestellt wurde und schon eine gewisse Hörerfahrung mit dem CI gesammelt werden konnte. Da die Situation von den Betroffenen, ihren Eltern und ihren Lehrern verschieden eingeschätzt werden kann, wählten wir den Strenght and Difficulty Questionnaire (SDQ), mit dem eine Einschätzung aus jeder dieser Perspektiven möglich ist. Zudem untersuchten wir den Einfluss der erreichten Hörleistung mit dem CI.

Material und Methoden

In einer prospektiven Multicenter-Querschnitts-Studie (Freiburg, Hannover, Mainz, München Salzburg jeweils mit dem Votum der jeweiligen Ethikkommission) befragten wir 140 Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren, bei denen die Hörstörung vor dem 2. Geburtstag eingetreten war und die schon mindestens 3 Jahre mit einem/zwei CIs versorgt waren, sowie deren Eltern und Lehrer mittels des SDQ. Jugendliche und Eltern wurden unabhängig von einander in der jeweiligen Klinik befragt, für die Lehrer wurde der Fragebogen mitgegeben und per Post zurückerbeten. Der SDQ wurde auf Englisch entwickelt. Die deutsche Version für die Eltern wurde revalidiert [3], für die Jugendlichen und Lehrer können die englischen Normen genutzt werden [4]. Aus einer Gruppe von 212 normal hörenden Jugendlichen wurden 140 Vergleichspersonen ausgewählt, die im Alter, dem Geschlecht und dem sozialen Hintergrund den CI-Nutzern entsprachen. Als „Risiko-Fälle“ wurden diejenigen gekennzeichnet, bei denen eine Lernbehinderung oder Entwicklungsstörung bekannt war oder vermutet wurde (n=35), bei denen eine zusätzliche Sehbehinderung vorlag (n=1) oder eine Fehlbildung des Innenohres bekannt war (n=3). Bei 11 Fällen lagen keine ausreichenden Daten zur Entwicklung vor, sie wurden ebenfalls bei der Analyse ausgeschlossen. Medizinische und audiologische Daten wurden den Akten entnommen. Mittels Pearsons Korrelationen wurden die Ergebnisse von CI-Nutzern, deren Eltern und Lehrer verglichen und der Einfluss der Hörvariablen untersucht. Unterschiede zwischen CI-Nutzern und normal hörenden Jugendlichen wurden mittels Fisher-z-Transformation geprüft. ANOVAs (Rater x Gruppe) wurden zur Prüfung der Haupthypothese nach Ausschluss der Risikofälle verwandt.

Ergebnisse

In der Gruppe der Jugendlichen mit CI waren die Aussagen von Jugendlichen, ihren Eltern und Lehrern hoch korreliert (Tabelle 1 [Tab. 1]). Im Gesamtscore und in den meisten Subskalen des SDQ (Verhaltensauffälligkeiten, Hyperaktivität, prosoziales Verhalten) unterschieden sich die Jugendlichen mit CI nicht von den normal hörenden. Lediglich im Umgang mit Gleichaltrigen ergaben sich in der Selbsteinschätzung wie in der Fremdeinschätzung durch die Eltern und Lehrer ungünstigere Werte. Ausschließlich in der Lehrereinschätzung wurden mehr emotionale Probleme attestiert, die aber nicht bestehen blieben, wenn die 35 Jugendlichen ausgeschlossen wurden, die zusätzliche Beeinträchtigungen (z.B. Syndrome, Lernbehinderung) aufwiesen (Tabelle 2 [Tab. 2]). Die Korrelationsanalysen mit den audiologischen Daten ergaben überwiegend keine Zusammenhänge. Ein guter Hörerfolg vor der CI-Versorgung war mit besserem SDQ-Gesamtwert korreliert. Unerwarteter Weise schätzen Lehrer Schüler mit gutem Hörerfolg vor der CI-Versorgung und guten Werten in der Aufblähkurve mit CI ungünstiger ein.

Diskussion

Durch die Versorgung mit CI kann die psychische und emotionale Entwicklung günstig beeinflusst werden. Im Gegensatz zu hochgradig schwerhörigen Jugendlichen ohne CI früher entsprechen die Einschätzungen weitgehend denen normal hörender. Lediglich im Umgang mit Gleichaltrigen zeigten sich durchgängig größere Probleme. Es fanden sich nur wenige Zusammenhänge zwischen den audiologischen Variablen und der psychischen Gesundheit. Die günstigere Einschätzung audiologisch weniger gut abschneidender Jugendlicher durch die Lehrer könnte durch eine beschützende Haltung bedingt sein.

Fazit

Durch die Versorgung mit CI kann die Lebensqualität günstig beeinflusst werden.


Literatur

1.
van Gent T, Goedhart AW, Hindley PA, Treffers PD. Prevalence and correlates of psychopathology in a sample of deaf adolescents. J Child Psychol Psychiatry. 2007 Sep;48(9):950-8. DOI: 10.1111/j.1469-7610.2007.01775.x Externer Link
2.
Huber M, Kipman U. The mental health of adolescents with cochlear implants, compared to normal hearing peers. Int J Audiol. 2011 Mar;50(3):146-54. DOI: 10.3109/14992027.2010.533704 Externer Link
3.
Becker A, Woerner W, Hasselhorn M, Banashewski T, Rothenberger A. A Validation of the parent and teacher SDQ in a clinical sample. Eur Child Adolesc Psychiatry. 2004;13:II 11-6.
4.
Meltzer H, Gatward R, Goodman R, Ford T. Mental health of children and adolescents in Great Britain. London: The Stationery Office; 2000.