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31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

18.09. - 21.09.2014, Lübeck

Epidemiologische Daten aus Sprech- und Singstimmprofilen von Grundschülern

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Franziska Wagner - Universität Leipzig, Sektion Phoniatrie und Audiologie, Leipzig, Deutschland
  • author Lennart Pieper - Universität Leipzig, Sektion Phoniatrie und Audiologie, Leipzig, Deutschland
  • author Mike Körner - Universität Leipzig, Sektion Phoniatrie und Audiologie, Leipzig, Deutschland
  • author Matthias Schubotz - Musikschule „Johann Sebastian Bach“ Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • author Matthias Wiedemann - Musikschule „Johann Sebastian Bach“ Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • author Michael Fuchs - Universität Leipzig, Sektion Phoniatrie und Audiologie, Leipzig, Deutschland
  • author Alexandra Ludwig - Universität Leipzig, Sektion Phoniatrie und Audiologie, Leipzig, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Akademie für Hörgeräte-Akustik. 31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik. Lübeck, 18.-21.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocV18

doi: 10.3205/14dgpp28, urn:nbn:de:0183-14dgpp282

Veröffentlicht: 2. September 2014

© 2014 Wagner et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Das Sprech- und Singstimmprofil ist auch bei Kindern essentieller Bestandteil einer multimodalen Stimmdiagnostik. In der Literatur finden sich nur spärliche Angaben zu alters- und geschlechtsspezifischen Normwertbereichen. Insbesondere besteht die Frage, ob sich unterschiedliche Stimmgewohnheiten bei Knaben und Mädchen im Stimmprofil widerspiegeln.

Material und Methoden: An einer zufällig ausgewählten Stichprobe aus 161 Drittklässlern an 9 Leipziger Grundschulen (75 Knaben, 86 Mädchen, mittl. Alter 8,86a) wurden das Sprech- und Singstimmprofil (manueller Modus) unter Verwendung eines selbstkalibrierenden Mikrofons gemessen (DiVAS, Xion medical). Die Daten wurden von geschulten Medizinern und Musikpädagogen unter Verwendung einer SOP erhoben. Ausgewertet wurden die Frequenz und Intensität von 5 Messpunkten der Sprechstimme: (1) leisestes Sprechen, (2) Gesprächslautstärke, (3) Vortragslautstärke, (4) Rufstimme, (5) leisestes Sprechen (Rücknahmetest nach Seidner), aus dem Singstimmprofil maximaler und minimaler Schalldruckpegel (SPL max/min), höchste und niedrigste Grundfrequenz (F0max/F0min), maximale Phonationsdauer (MPT), Jitter und Dysphonia Severity Index (DSI).

Ergebnisse: Es wurden die Daten von 161 Probanden vollständig ausgewertet. Sprechstimme: Für die Messpunkte ergaben sich folgende Mittelwerte der Steigerungsstufen (1) 214,16 Hz/49,16 dB(A), (2) 225,22 Hz/45,46 dB(A), (3) 251,76 Hz/62,14 dB(A), (4) 322,06 Hz/74,33 dB(A), (5) 227,37 Hz/52,36 dB(A). Im Vergleich zeigten Mädchen signifikant geringere Intensitäten in 2, 3 und 4 (p=0,020); bezüglich der Frequenz fanden sich keine Geschlechtsunterschiede. Singstimme: Es ergaben sich folgende Mittelwerte: SPLmax: 83,30 dB(A), SPLmin: 51,41 dB(A), F0max: 751,70 Hz (~fis’’), F0min: 209,80 (~gis), MPT: 10,6 s, Jitter: 1,07%, DSI: 3,13. Im Vergleich waren Mädchen bei SPL min signifikant leiser (p<0,001), darüber hinaus ergaben sich keine Geschlechtsunterschiede.

Fazit: Die Ergebnisse können erstmals für die Abschätzung von Normwertbereichen des Sprechstimmprofils im Grundschulalter dienen und bestätigten die klinischen und sozialen Erfahrungen, dass Jungen ihre Sprech- und Rufstimme häufig lauter einsetzen als Mädchen. Mädchen können zudem leiser singen als Jungen.


Text

Hintergrund

Das Sprech- und Singstimmprofil ist auch bei Kindern essentieller Bestandteil einer multimodalen Stimmdiagnostik. In der Literatur finden sich nur spärliche Angaben zu alters- und geschlechtsspezifischen Normwertbereichen, wie z.B. von Schneider et al. [1]. Insbesondere besteht die Frage, ob sich unterschiedliche Stimmgewohnheiten bei Knaben und Mädchen im Stimmprofil widerspiegeln. Ziel dieser Studie war, es mittels objektiver Parameter die stimmliche Leistungsfähigkeit bei Schulkindern zu erfassen und mit Erfahrungswerten aus dem klinischen Alltag einzuordnen.

Material und Methoden

In neun Leipziger Grundschulen, die sich gleichmäßig auf Stadtteile mit unterschiedlichem sozialen Niveau verteilten, wurde an einer zufälligen Stichprobe aus 161 Drittklässlern (75 Knaben, 86 Mädchen, mittleres Alter 8,86 Jahre) das Sprech- und Singstimmprofil erhoben. Nach Einholung der Einverständniserklärung der Eltern, wurden von ihnen in Fragebögen Angaben zur allgemeinen und stimmlichen Gesundheit der Kinder erfragt. Kinder mit Hinweisen auf Stimmerkrankungen und Hörstörungen oder andere, die Stimmleistung und -qualität beeinflussende Faktoren oder Krankheiten inklusive aktueller Erkältungsinfekte, wurden von der Studie ausgeschlossen. Die Messung erfolgte mittels computergestützter Stimmanalyse des Sprechstimmprofils und – im manuellen Modus – des Singstimmprofils [2] unter Verwendung eines selbstkalibrierenden Mikrofons (DiVAS®, Xion medical GmbH) und wurde von geschulten Medizinern und Musikpädagogen unter Verwendung einer SOP durchgeführt (Abbildung 1 [Abb. 1]). Ausgewertet wurden die Frequenz in Hz und Intensität in dB von 5 Messpunkten der Sprechstimme: (1) leisestes Sprechen, (2) Gesprächslautstärke, (3) Vortragslautstärke, (4) Rufstimme, und (5) erneut leisestes Sprechen (Rücknahmetest nach Seidner) und im Singstimmprofil der maximale und minimale Schalldruckpegel (SPL max/min), die höchste und niedrigste Grundfrequenz (F0max/F0min), die maximale Phonationsdauer (MPT), Jitter und der Dysphonia Severity Index (DSI). Die Daten der 161 Probanden wurden ausgewertet nach dem Mittelwert der einzelnen Variablen und mittels t-Test und Mann-Whitney-U-Test auf einem zweiseitigen Signifikanzniveau von 5% verglichen.

Ergebnisse

Von den 161 Probanden waren 15 (9%) gemäß der Klassifikation der sängerischen Aktivität bei Kindern und Jugendlichen [3] sängerisch aktiv.

Im Sprechstimmprofil zeigten sich folgende Ergebnisse der einzelnen Messpunkte (Tabelle 1 [Tab. 1]).

Im Vergleich der Geschlechter zeigten Mädchen im Sprechstimmprofil signifikant geringere Intensitäten in 2, 3 und 4 (p<0,046). Bezüglich der Frequenz fanden sich keine signifikanten Geschlechtsunterschiede.

Im Singstimmprofil ergaben sich folgende Ergebnisse der einzelnen Parameter (Tabelle 2 [Tab. 2]).

Im Geschlechtsvergleich waren Mädchen bei SPL min signifikant leiser (p=0,003) und Knaben bei SPL max signifikant lauter (p=0,045). Im Stimmumfang boten die Jungen tiefere Minimalgrundfrequenzen und die Mädchen höhere Maximalgrundfrequenzen, dies erreichte kein Signifikanzniveau. Jungen zeigten eine signifikant längere Tonhaltedauer (p=0,027). Die Werte des DSI lagen gemäß der Einteilung der Schweregrade bei beiden Geschlechtern im Bereich einer leichtgradigen Dysphonie [DSI-Wert 4,2 bis 1,8] und zeigte eine Unterschiedstendenz (p=0,067) mit höherem Wert der Mädchen.

Drittklässler, die in unserer Stichprobe als sängerisch aktiv identifiziert (n=15) wurden, waren in der vergleichenden Auswertung bei SPL max signifikant lauter (p=0,040) als die sängerisch Inaktiven, und erreichten einen größeren Stimmumfang mit tieferen Minimalgrundfrequenzen (p=0,055) und höheren Maximalgrundfrequenzen, die noch nicht das Signifikanzniveau erreichten.

Diskussion

Die vorliegende Studie ermittelte epidemiologische Daten zum Sprech- und Singstimmprofil bei Schülerinnen und Schülern der 3. Klasse. Mit 91% hatte die Mehrheit der zufällig in Leipziger Grundschulen ausgewählten Probanden vor der Untersuchung keinerlei sängerische Schulung erhalten. Es fanden sich geschlechtsabhängige Unterschiede, die in der Dynamik Signifikanzen und im Tonhöhenumfang Tendenzen aufzeigen. Jungen setzten ihre Sprech- und Rufstimme häufig lauter ein als Mädchen. Mädchen konnten zudem leiser singen als Jungen. Ebenfalls ließen sich bei den Schülern bereits Unterschiede abhängig von ihrer sängerischen Vorbildung offenbaren. Entgegen den Erwartungen und entgegen den Ergebnissen früherer eigener Studien [4] zeigten sich Unterschiedstendenzen der Tonhöhenumfangsgrenzen bei den sängerisch aktiven Kindern, die insbesondere bei der unteren Grenze deutlich waren. Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Nachsingefähigkeit vorgegebener Töne bei den meisten Probanden eingeschränkt war, so dass beim Bemühen, tiefe vorgegebene Töne laut nachzusingen, die tiefsten Frequenzen des Stimmumfangs nicht erreicht werden konnten [5]. Die Daten sind allerdings angesichts der kleinen zufälligen Gruppe nur vorsichtig zu interpretieren.

Die Ergebnisse können erstmals für die Abschätzung von Normwertbereichen des Stimmprofils im Grundschulalter dienen und bestätigen die klinischen und sozialen Erfahrungen.


Literatur

1.
Schneider B, Zumtobel M, Prettenhofer W, Aichstill B, Jocher W. Normative voice range profiles in vocally trained and untrained children aged between 7 and 10 years. J Voice. 2010 Mar;24(2):153-60. DOI: 10.1016/j.jvoice.2008.07.007 Externer Link
2.
Langbein T, Engel C, Dippold S, Fuchs M. Eignet sich das Sing- und Sprechstimmprofil in der Bevölkerungsepidemiologie? Eine Machbarkeitsstudie. In: Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bonn, 21.-23.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12dgppV16. DOI: 10.3205/12dgpp28 Externer Link
3.
Fuchs M, Meuret S, Geister D, Pfohl W, Thiel S, Dietz A, Gelbrich G. Empirical criteria for establishing a classification of singing activity in children and adolescents. J Voice. 2008 Nov;22(6):649-57. DOI: 10.1016/j.jvoice.2007.02.004 Externer Link
4.
Fuchs M. Landmarken der physiologischen Entwicklung der Stimme bei Kindern und Jugendlichen (Teil 1) [Landmarks of physiological development of the voice in childhood and adolescense (Part 1)]. Laryngorhinootologie. 2008 Jan;87(1):10-6. DOI: 10.1055/s-2007-995343 Externer Link
5.
Fuchs M, Körner M, Wagner F, Pieper L, Herenz C, Ludwig A. Epidemiologische Daten zur Nachsingfähigkeit von Grundschülern. In: Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Lübeck, 18.-21.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocV20. DOI: 10.3205/14dgpp29 Externer Link