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31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

18.09. - 21.09.2014, Lübeck

Evaluation des Neugeborenen-Hörscreenings in Deutschland

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Uta Nennstiel-Ratzel - Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, München-Oberschleißheim, Deutschland
  • author Inken Brockow - Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, München-Oberschleißheim, Deutschland
  • author Peter Matulat - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Münster, Deutschland
  • author Ulrich Mansmann - Institut für Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE) an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), München, Deutschland
  • author Antoinette am Zehnhoff-Dinnesen - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Münster, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Akademie für Hörgeräte-Akustik. 31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik. Lübeck, 18.-21.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocV13

doi: 10.3205/14dgpp22, urn:nbn:de:0183-14dgpp228

Veröffentlicht: 2. September 2014

© 2014 Nennstiel-Ratzel et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Das Hörscreening (UNHS) war im Jahr 2008 mit einer entsprechenden Änderung der Kinder-Richtlinie in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgenommen worden. Zugleich war zwischen Leistungserbringern und Leistungsträgern im G-BA vereinbart worden, das UNHS nach 5 Jahren zu evaluieren. Der G-BA hat die Evaluation für die Jahre 2011 und 2012 ausgeschrieben und in der Folge an ein Expertengremium mit Erfahrung in der Konzeption, Koordination, Umsetzung und Evaluation des Neugeborenen-Hörscreenings, der pädaudiologischen Diagnostik und Therapie und der Statistik vergeben. Ziel der Evaluation ist die Beurteilung der Effektivität des UNHS an Hand der Darstellung und Bewertung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität.

Material und Methoden: Das Konzept des Expertengremiums sieht vor für die Evaluation verschiedene Datenquellen heranzuziehen. Dies sind zunächst Sammelstatistiken mit definierten Parametern, die entsprechend der Richtlinie von den Leistungserbringern des Screenings erstellt werden müssen. Dazu kommen Daten der Hörscreeningzentralen und Individualdaten der betroffenen Kinder aus den pädaudiologischen Einrichtungen. Weiterhin werden Sekundärdaten wie z.B. Daten aus dem Deutschen Zentralregister für Kindliche Hörstörungen, Routinedaten der KBV, der Perinatalerhebung und der amtlichen Statistik verwendet.

Diskussion: Da das Neugeborenen-Hörscreening und die Datenerfassung bundesweit nicht einheitlich organisiert sind, setzen die daraus resultierenden Unterschiede in der Qualität der Daten den Möglichkeiten der Auswertung Grenzen. Dem sollte durch ein möglichst hohes Maß an Kooperationsbereitschaft der am Hörscreening beteiligten Berufsgruppen entgegengewirkt werden.

Fazit: Mögliche Einflussfaktoren auf das UNHS sollen durch die Evaluation untersucht und in einem Bericht, soweit dies sinnvoll ist auch regional differenziert, dargestellt werden. Darüber hinaus sollen weitere Fragen hinsichtlich der Optimierung von Screening-Abläufen beantwortet sowie Qualitätsstandards abgeleitet werden.


Text

Hintergrund

In Deutschland haben zwei bis drei von 1.000 Neugeborenen eine behandlungsbedürftige Hörstörung (HS). Irreversible Störungen in der sprachlichen, psychosozialen und intellektuellen Entwicklung sind dabei die Folgen einer zu späten Therapieeinleitung. Daher sollte diese bis zum 6. Lebensmonat erfolgen, um eine regelrechte Sprachentwicklung zu ermöglichen. Der Zeitpunkt der Diagnosestellung in Deutschland lag vor Einführung eines flächendeckenden universellen Neugeborenen-Hörscreenings (UNHS) im Mittel bei über 2 Jahren – teilweise trotz eines Screenings [1].

Vor diesem Hintergrund hat der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (G-BA) beschlossen, ab 01.01.2009 bundesweit ein UNHS durch Aufnahme in die Kinder-Richtlinie einzuführen [2]. Ziel ist die Erkennung beidseitiger Hörstörungen ab einem Hörverlust von 35 dB. Die Richtlinie regelt dessen Umsetzung, Qualitätsanforderungen und Dokumentation. Ebenso ist hier die Durchführung einer Studie zur Evaluation des UNHS nach 5 Jahren vorgesehen. Diese Evaluationsstudie hat der G-BA im Mai 2014 nach einer europaweiten Ausschreibung an ein Expertengremium mit Erfahrung in der Konzeption, Koordination, Umsetzung und Evaluation des Neugeborenen-Hörscreenings, der pädaudiologischen Diagnostik und Therapie sowie der Statistik vergeben. Die Ergebnisse für den Evaluationszeitraum 2011 und 2012 sollen jahrweise und regional dargestellt werden.

Material und Methoden

Die Evaluation erstellt die Beurteilung der Effektivität des UNHS an Hand der Darstellung und Bewertung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Parameter für die Strukturqualität sind z.B. die Ausstattung der Geburts- und Kinderkliniken mit Screening-Geräten, Kooperationsstrukturen der Geburts- und Kinderkliniken innerhalb von Klinikverbünden und mit ambulanten Einrichtungen zur Durchführung des Erst- und Kontrollscreenings, Versorgung einer Region mit pädaudiologischen Einrichtungen und weiteren Anbietern von Kontrolluntersuchungen sowie regionale Tracking-Strukturen. Die Prozessqualität ergibt sich aus dem Anteil der gescreenten Kinder (Vollständigkeit), der Rate der kontrollbedürftigen (Referrate) und in der Folge abgeklärten Screeningbefunde sowie dem Zeitpunkt, der Qualität und Vollständigkeit der Konfirmationsdiagnostik. Ergebnisqualität wird hier durch den Anteil der gefundenen Kinder mit relevanten Hörstörungen und an ihrer therapeutischen Versorgung gemessen.

Das Konzept des Expertengremiums für die Evaluation umfasst sowohl Primär- als auch Sekundärdaten aus verschiedenen Datenquellen. Die wichtigsten Primärdaten sind die in den Hörscreeningzentralen vorhandenen Daten. Hier sind etwa 60% der Geburts- und Kinderkliniken angebunden. Für diese Kliniken können die Screeningdaten aus den Hörscreeningzentralen genutzt werden. Die meisten Hörscreeningzentralen erfassen auch Daten zu Kontrolluntersuchungen und Diagnosestellungen, welche für die Evaluation genutzt werden. Für Geburts- und Kinderkliniken, die nicht mit einer Hörscreeningzentrale zusammenarbeiten, bilden Sammelstatistiken, die entsprechend der Richtlinie von den Leistungserbringern des Screenings erstellt werden müssen, die Datengrundlage für die Evaluation. Hier werden die Geburten, die Anzahl der gescreenten Kinder (Vollständigkeit) mit Angabe der Messmethode und des Ergebnisses in jedem Schritt des Screenings erfasst. Die Qualität der Kontrolluntersuchungen, der Konfirmationsdiagnostik und der Therapie erschließt sich aus den Individualdaten der Kinder mit Hörstörungen aus den pädaudiologischen Einrichtungen. Diese sollen über Abfragemasken, soweit möglich aus den Trackingzentralen, und wo dies nicht oder nicht vollständig möglich ist aus den pädaudiologischen Einrichtungen erhoben werden. Eine Elternbefragung und Kopien aus dem gelben Heft dienen zur Abschätzung der Qualität der Dokumentation des Hörscreenings. Neben den aufgeführten Primärdaten werden Sekundärdaten wie z.B. Daten aus dem Zentralregister für Kindliche Hörstörungen, Routinedaten der KBV (Abrechnungsziffern), der Perinatalerhebung und der amtlichen Statistik herangezogen werden.

Alle Primärdaten werden über standardisierte, automatisch in eine Datenbank einlesbare Formulare abgefragt und auf Plausibilität geprüft. Die angegebene Diagnose wird pädaudiologisch an Hand der diagnostischen Daten validiert. Die Evaluation erfolgt in einem ersten Schritt in Form einer einfachen Berichtserstellung mit deskriptiver Analyse und kartographischer bzw. tabellarischer Darstellung der erfassten Daten. In einem zweiten Schritt werden strukturelle Einflussgrößen auf die regionale Screeningqualität über ein statistisches Modell geschätzt. Diese Modelle erlauben eine Extrapolation zur Struktur des Screeningprozesses für Regionen ohne oder mit unvollständigen Daten (Vollständigkeit, Durchführung, Qualität). Hierzu werden Strukturdaten der entsprechenden Regionen, soziodemographische Daten und Abrechnungsdaten als Grundlage für eine realistische Extrapolation verwendet.

Diskussion

Die Evaluation bietet die Möglichkeit, Aussagen zur bundesweiten Umsetzung des UNHS und der in der Kinder-Richtlinie geforderten Qualitätsanforderungen zu machen. Es wird erwartet, dass in jeder Phase des Screenings sowie in allen beobachteten Qualitätsdimensionen Unterschiede zwischen den Einrichtungen und Regionen bestehen.

Das UNHS und die Datenerfassung sind bundesweit nicht einheitlich organisiert. Die daraus resultierenden Unterschiede in der Qualität der Daten setzen den Möglichkeiten der Auswertung Grenzen. Um in diesem Umfeld eine bestmögliche Datenqualität zu erhalten, ist bei der Erhebung von Primärdaten, auch bei den Sammelstatistiken und den von Trackingzentralen zu erhebenden Daten, unbedingt auf einheitliche und klare Parameterdefinitionen zu achten. Damit wird eine Vergleichbarkeit der Analyseergebnisse gesichert. Im Rahmen des Verbandes Deutscher Hörscreening-Zentralen (VDHZ) sind erste einheitliche Definitionen für Screeningparameter in einem Konsensusprozess erarbeitet worden [3]. Ein möglichst hohes Maß an Kooperationsbereitschaft der am Hörscreening beteiligten Berufsgruppen ist erforderlich, um die Daten flächendeckend und detailliert zu erhalten.

Fazit

Mit dem Evaluationsauftrag des G-BA wird eine wichtige Früherkennungsuntersuchung in Deutschland wissenschaftlich im Hinblick auf Strukturen, Prozesse und Ergebnisse untersucht. Vergleichbare Evaluationen für Früherkennungsuntersuchungen bei Kindern gibt es bisher kaum. Insofern kommt dem Evaluationsvorhaben Modellcharakter zu. Perspektivisch wäre es wünschenswert, alle Früherkennungsuntersuchungen systematisch zu evaluieren.


Literatur

1.
Finck-Krämer U, Spormann-Langodzinski M, Gross M. German registry for hearing loss in children: results after 4 years. Int J Pediatr Otolrhinolaryngol. 2000;56(2):113-27. DOI: 10.1016/S0165-5876(00)00401-8 Externer Link
2.
Gemeinsamer Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Bekanntmachung eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Kinder-Richtlinien: Einführung eines Neugeborenen-Hörscreenings vom 19.06.2008. Dtsch Ärztebl. 2008;105(43):A-2289/B-1957/C-1905
3.
Brockow I, Praetorius M, Neumann K, am Zehnhoff-Dinnesen A, Mohnike K, Matulat P, Rohlfs K, Lang-Roth R, Gross M, Duphorn E, Meuret S, Seidel A, Schönfeld R, Schönweiler R, Dienlin S, Rißmann A, Friedrich I, Lehnert B, Nennstiel-Ratzel U; VDHZ. Universelles Neugeborenen-Hörscreening: Definition einheitlicher Parameter durch den Verband Deutscher Hörscreening-Zentralen (VDHZ) als Voraussetzung für eine flächendeckende Evaluation mit validen Ergebnissen. HNO 2014;62(3):165-70. DOI: 10.1007/s00106-014-2834-4 Externer Link