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31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

18.09. - 21.09.2014, Lübeck

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile – die bilaterale Signalverarbeitung

Meeting Abstract

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Akademie für Hörgeräte-Akustik. 31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik. Lübeck, 18.-21.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocHV3

doi: 10.3205/14dgpp06, urn:nbn:de:0183-14dgpp066

Veröffentlicht: 2. September 2014

© 2014 Tchorz.
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Zusammenfassung

Einer der größten Fortschritte der letzten Jahre auf dem Gebiet der Hörgerätetechnik ist die Möglichkeit des direkten Übermittelns von Daten zwischen beiden Hörgeräten. Diese Technologie erlaubt eine Vielzahl von neuen Anwendungen. Das Spektrum der Anwendungen reicht vom Abgleich von Lautstärke- und Programmoptionen über die Steuerung der Rückkopplungsunterdrückung und der gezielten Einstellung von interauralen Pegeldifferenzen bis hin zur Übertragung der Mikrofonsignale in voller Bandbreite zur Realisierung von bilateralen Beamformer-Arrays. Realisiert wird die Informationsübertragung zwischen beiden Hörgeräten durch induktive Kopplung oder elektromagnetische Wellen. Die erzielbare Datenrate liegt derzeit bei bis zu 300 kbit/s, wodurch neben Steuersignalen auch komprimierte Audiosignale (ähnlich wie beim mp3-Format) synchron in beide Richtungen übertragen werden können.

Zusammengefasst eröffnet der bilaterale Datenaustausch eine Reihe von interessanten Möglichkeiten, die dem Hörgeräteträger in verschiedenen Hörsituationen nutzen können. Das Potential dieser Technologie ist noch nicht ausgereizt.


Text

Hintergrund

Einer der größten Fortschritte der letzten Jahre auf dem Gebiet der Hörgerätetechnik ist die Möglichkeit des direkten Übermittelns von Daten zwischen beiden Hörgeräten. Diese Technologie erlaubt eine Vielzahl von neuen Anwendungen. Realisiert wird die Informationsübertragung zwischen beiden Hörgeräten durch induktive Kopplung oder elektromagnetische Wellen. Die erzielbare Datenrate liegt derzeit bei bis zu 300 kbit/s, wodurch neben Steuersignalen auch komprimierte Audiosignale (ähnlich wie beim mp3-Format) synchron in beide Richtungen übertragen werden können. Das Spektrum der Anwendungen reicht vom Abgleich von Programmoptionen über die Steuerung der Rückkopplungsunterdrückung und der gezielten Einstellung von interauralen Pegeldifferenzen bis hin zur Übertragung der Mikrofonsignale in voller Bandbreite zur Realisierung von bilateralen Beamformer-Arrays.

Anwendungen bilateraler Signalverarbeitung

Die erste Anwendung einer Kopplung beider Hörgeräte war die Synchronisation von Programmoptionen. Dabei werden Informationen zur Hörgeräteeinstellung (z.B. das aktuelle Hörprogramm) oder die Mikrofoncharakteristik übermittelt. Dies erlaubt eine einfachere Bedienung (gleichzeitige Programmwahl oder Lautstärkeregelung über ein Hörgerät) und stellt symmetrische Richtcharakteristiken sicher. Ist ein Hörgerät in omnidirektionaler Einstellung, und das andere im Richtwirkungs-Modus, kann das die Lokalisationsleistung und das Sprachverstehen beeinträchtigen [1]. Bei der Feedbackunterdrückung kann ein bilateraler Abgleich die unerwünschte Auslöschung feedbackähnlicher Töne (z.B. Musikinstrumente) verhindern, da diese Töne im Gegensatz zu tatsächlichem Feedback auf beiden Seiten gleichzeitig anliegen.

Eine weitere Anwendung eines bilateralen Abgleichs ist die Übermittlung und Steuerung von interauralen Pegeldifferenzen, welche wichtig für die Lokalisation von Schallquellen sind und so auch ein besseres Verstehen von Sprache mit räumlich getrennten Störquellen ermöglichen („Cocktail-Party-Effekt“). Interaurale Pegeldifferenzen werden durch Hörgeräte mit Kompression verkleinert: bei seitlichem Schalleinfall ist der Pegel auf der schallabgewandten Seite niedriger, und durch die Kompression wird diese Seite mehr verstärkt als die andere Seite. Herstellerseits wird argumentiert, dass die natürlichen interauralen Pegeldifferenzen erhalten bleiben sollten, um eine bestmögliche Lokalisation zu ermöglichen. Dazu werden die Pegeldifferenzen zwischen den rechten und den linken Mikrofonen verglichen und die Verstärkung so synchronisiert, dass der verstärkte Schall die gleichen interauralen Pegeldifferenzen aufweist, die auch an den Mikrofonen anliegen. Die Studienergebnisse zum Effekt von Veränderungen der interauralen Pegeldifferenzen durch Kompression, sowie von deren Ausgleich auf die Lokalisation sind gemischt. Keidser et al. [2] fanden keinen Unterschied in der Lokalisationsleistung in linearer versus nichtlinearer Hörgeräte-Einstellung (NAL-NL1) nach Akklimatisation, obwohl sich die interauralen Pegeldifferenzen bei der nichtlinearen Einstellung in etwa halbiert haben. Ein möglicher Erklärungsansatz dafür ist, dass eine nichtlineare Verarbeitung die interauralen Pegeldifferenzen eben nicht auslöscht, sondern nur verringert. Durch die steilere Lautheitsfunktion empfinden Menschen mit einer Schallempfindungsschwerhörigkeit Pegelunterschiede deutlicher als Normalhörende. Idealerweise führen die durch die Kompression verringerten interauralen Pegelunterschiede bei Hörgeräteträgern zu den gleichen empfundenen Lautheitsunterschieden wie bei Normalhörenden ohne Hörgeräte – das ist die Zielsetzung einer Kompression.

Streaming von Audiosignalen

Neben dem Austausch von Synchronisations- und Steuersignalen umfasst die bilaterale Verarbeitung in Hörgeräten auch die Übertragung kompletter Audiosignale auf die gegenüberliegende Seite. Voraussetzungen dafür sind eine ausreichend hohe Datenrate und niedrige Verzögerungszeiten. Eine nahe liegende Anwendung in diesem Bereich ist die Übertragung des Nutzsignals auf die gegenüberliegende Seite beim Telefonieren. Dadurch wird der Gesprächspartner auf beiden Seiten gehört. Zusätzlich kann das Mikrofonsignal auf der gegenüberliegenden Seite abgeschwächt werden. In mehreren Studien wurde eine Verbesserung des Sprachverstehens und der subjektiven Akzeptanz mit beidohrigem Telefonieren nachgewiesen [3].

Durch die Übertragung von Informationen zwischen beiden Hörgeräten ist auch die Realisierung bilateraler Beamformer-Arrays möglich, die eine schärfer abgegrenzte Richtcharakteristik ermöglichen als herkömmliche Beamformer, bei denen nur das vordere und hintere Hörgerätemikrofon zusammengeschaltet werden. Bei bilateralen Beamformern werden 4 einzelne Mikrofone (zwei von rechts, zwei von links) miteinander verschaltet. Eine erhöhte Richtwirkung durch das Zusammenlegen der rechten und linken Signale geht allerdings auch einher mit einem Verlust an binauralen Informationen, also Unterschieden zwischen beiden Seiten, die wichtig für die Lokalisation und das Sprachverstehen in Situationen mit räumlicher Trennung zwischen Nutz- und Störsignal sind. Hier muss derzeit noch ein Kompromiss gefunden werden, also zum Beispiel eine schwächere Gewichtung des Signals der gegenüberliegenden Seite. Trotzdem kann eine Verbesserung des Sprachverstehens in Situationen erreicht werden, in denen sich Störschallquellen räumlich nah bei der Nutzschallquelle befinden und herkömmliche Richtmikrofone keine ausreichende Abschwächung ermöglichen [4].

Fazit

Zusammengefasst eröffnet der bilaterale Datenaustausch eine Reihe von interessanten Möglichkeiten, die dem Hörgeräteträger in verschiedenen Hörsituationen nutzen können. Das Potential dieser Technologie ist noch nicht ausgereizt.


Literatur

1.
Hornsby BW, Ricketts TA. Effects of noise source configuration on directional benefit using symmetric and asymmetric directional hearing aid fittings. Ear Hear. 2007 Apr;28(2):177-86. DOI: 10.1097/AUD.0b013e3180312639 Externer Link
2.
Keidser G, Rohrseitz K, Dillon H, Hamacher V, Carter L, Rass U, Convery E. The effect of multi-channel wide dynamic range compression, noise reduction, and the directional microphone on horizontal localization performance in hearing aid wearers. Int J Audiol. 2006 Oct;45(10):563-79. DOI: 10.1080/14992020600920804 Externer Link
3.
Picou EM, Ricketts TA. Efficacy of hearing-aid based telephone strategies for listeners with moderate-to-severe hearing loss. J Am Acad Audiol. 2013 Jan;24(1):59-70. DOI: 10.3766/jaaa.24.1.7 Externer Link
4.
Meija J, Keidser G, Dillon H, van Nguyen C, Johnson E. The effect of a linked bilateral noise reduction processing on speech in noise performance. In: International Symposium on Auditory and Audiological Research. Nyborg, Denmark; 2011.