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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Hördiagnostik nach Behandlung mit Gentamycin/Vancomycin bei Neugeboreneninfektion

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Sabrina Doallo Kramer - UKGM Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Marburg, Deutschland
  • Almut Goeze - UKGM Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Marburg, Deutschland
  • Michael Zemlin - UKGM Klinik für Kinder-, und Jugendmedizin, Marburg, Deutschland
  • author Roswitha Berger - UKGM Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Marburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocV42

doi: 10.3205/13dgpp84, urn:nbn:de:0183-13dgpp849

Veröffentlicht: 5. September 2013

© 2013 Doallo Kramer et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: In Absprache mit der Kinder- und Jugendmedizin werden seit September 2011 Säuglinge nach einer Behandlung mit Aminoglykosid/Glycopeptid-Antibiotika in der Neugeborenenperiode 6 Wochen posttherapeutisch mittels Ohrmikroskopie, DPOAE-, AABR-, und Impedanzmessung nachuntersucht. Ziel der vorliegenden Arbeit war eine Evaluation der erhobenen Daten im Hinblick auf die Häufigkeit ototoxischer Reaktionen bei Kindern mit und ohne zusätzliche Risikofaktoren für die Entwicklung einer Hörstörung.

Material und Methoden: Von 09/2011 bis 04/2013 wurden insgesamt 135 Patienten untersucht. Die Datenerhebung umfasste den Geburtszeitpunkt, die Behandlungsdauer, den Gentamycin-/Vancomycin-Talspiegel, das Ergebnis des primären Neugeborenen Hörscreenings und das Ergebnis der Hördiagnostik nach 6 Wochen. Des Weiteren wurden zusätzliche Risikofaktoren [1] für die Entwicklung einer Hörstörung erfasst. Ein vollständiger Datensatz lag bei 97 Patienten vor.

Ergebnisse: Von den 97 Neugeborenen bestand bei 9 eine extreme Frühgeburtlichkeit (<32.SSW), bei 23 eine Frühgeburtlichkeit (<37.SSW), 65 Säuglinge waren reifgeboren. 64 wiesen zusätzliche Risikofaktoren auf, bei 33 lag als Risikofaktor ausschließlich eine Antibiotikatherapie vor.

Die Behandlungsdauer betrug 1–10 Tage, der Gentamycin/Vancomycin-Talspiegel lag zwischen 0,5 und 3,5 µg/ml bzw. 1,6 und 6,1 mg/l. Nur 1 Patient lag mit 3,5 µg/ml außerhalb des Referenzbereichs.

Bei 2 Patienten wurde die Diagnose einer therapiebedürftigen peripheren Hörstörung beidseits gesichert, in beiden Fällen bestanden mehrere zusätzlich Risikofaktoren. Bei 95 Patienten konnte eine Schallempfindungsschwerhörigkeit ausgeschlossen werden.

Diskussion: Es bleibt unsicher, ob die ermittelten Hörstörungen im Zusammenhang mit der Antibiotikabehandlung stehen oder eher durch die zusätzlichen Risikofaktoren bedingt sind. Um statistisch belegbare Daten zu erhalten soll die Untersuchung fortgesetzt werden.


Text

Hintergrund

In Absprache mit den Kollegen der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin werden seit September 2011 Säuglinge aufgrund der bekannten möglichen ototoxischen Nebenwirkungen nach einer Behandlung mit Aminoglykosid-, und/oder Glycopeptid-Antibiotika in der Neugeborenenperiode 6 Wochen und 6 Monate posttherapeutisch mittels Ohrmikroskopie, DPOAE-, AABR-, (1. Kontrolle), Reaktionsaudiometrie (2. Kontrolle), und Impedanzmessung nachuntersucht. Ziel der vorliegenden Arbeit war eine Evaluation der erhobenen Daten im Hinblick auf die Häufigkeit ototoxischer Reaktionen bei Kindern mit und ohne zusätzliche Risikofaktoren für die Entwicklung einer Hörstörung.

Material und Methoden

Von 09/2011 bis 04/2013 wurden insgesamt 135 Patienten untersucht. Die Datenerhebung umfasste den Geburtszeitpunkt, die Behandlungsdauer, den Gentamycin-/Vancomycin-Talspiegel, das Ergebnis des primären Neugeborenen Hörscreenings das Ergebnis der Hördiagnostik nach 6 Wochen und, falls vorhanden, nach 6 Monaten. Des Weiteren wurden zusätzliche Risikofaktoren für die Entwicklung einer Hörstörung [2] wie eine perinatale Asphyxie, eine Beatmungsnotwendigkeit, ein Geburtsgewicht von <1.500 g, eine therapiebedürftige Hyperbilirubinämie, ein Z.n. Hirnblutung, prä- oder perinatale Infektionen (CMV, Toxoplasmose, Röteln) oder eine bekannte familiäre Disposition erfasst. Ein vollständiger Datensatz lag bei 97 Patienten vor.

Ergebnisse

Von den 97 Neugeborenen bestand bei 9 eine extreme Frühgeburtlichkeit (<32.SSW), bei 23 eine Frühgeburtlichkeit (<37.SSW), 65 Säuglinge waren reifgeboren. 64 wiesen zusätzliche Risikofaktoren auf, bei 33 lag als Risikofaktor ausschließlich eine Antibiotikatherapie vor.

Die Behandlungsdauer betrug 1–10 Tage, der Gentamycin/Vancomycin-Talspiegel lag zwischen 0,5 und 3,5 µg/ml bzw. 1,6 und 6,1 mg/l. Nur 1 Patient lag mit 3,5 µg/ml außerhalb des Referenzbereichs.

Bei 2 Patienten wurde die Diagnose einer therapiebedürftigen peripheren Hörstörung beidseits gesichert, in beiden Fällen bestanden allerdings mehrere zusätzlich Risikofaktoren. Bei 95 Patienten konnte eine Schallempfindungsschwerhörigkeit im Rahmen der ersten Kontrolluntersuchung nach 6 Wochen ausgeschlossen werden.

Die Diagnostik nach 6 Monaten haben insgesamt nur 20 Patienten wahrgenommen, bei allen nochmals untersuchten Kindern ergab sich auch in der 2. Kontrolluntersuchung kein Hinweis für eine therapiebedürftige Schallempfindungsschwerhörigkeit.

Diskussion

Trotz der möglichen erheblichen Nebenwirkungen im Bereich der Niere und des Innenohres werden Aminoglykosidantibiotika und Glykopeptide bei schweren, insbesondere nosokomialen Infektionen in der Pädiatrie weiterhin eingesetzt.

Die Substanzen werden über aktive Transportmechanismen nach intrazellulär transportiert. Ihre Aufnahme in die Zelle unterliegt somit einem Sättigungsprozess. Aufgrund dessen wird empfohlen, die Tagesdosis möglichst in einer Einzeldosis zu verabreichen. Niedrige, über einen längeren Zeitraum einwirkende Serumspiegel werden im Hinblick auf die potenzielle Toxizität als ungünstiger angesehen [3]. Zum Ausschluss einer Akkumulation des Wirkstoffs, welche eine Zunahme des Toxizitätsrisikos zur Folge hätte, hat sich die Bestimmung des Wirkstoff-Talspiegels etabliert.

Die Ausscheidung erfolgt vorwiegend renal durch glomeruläre Filtration.

Während die Eliminationshalbwertszeit aus dem Plasma mit 3–-5 Stunden angegeben wird, erfolgt die Elimination aus den Nierenzellen und dem Innenohr wesentlich langsamer. In der Literatur sind für das Innenohr Halbwertszeiten von über 30 Tagen beschrieben worden [8]. Spuren von Aminoglykosiden wurden in den Haarzellen auch noch nach mehreren Monate nachgewiesen [1].

Aufgrund dessen werden unsererseits Kontrolluntersuchungen 6 Wochen und 6 Monate nach der Behandlung empfohlen.

Bezüglich der Häufigkeit ototoxischer Reaktionen finden sich in den Fachinformationen der Hersteller keine Angaben. Lautermann et al. beschreiben eine Rate von 10–20% [7].

Seit Anfang der 90er Jahre ist bekannt, dass eine A1555 G-Mutation im mitochondrialen 12S ribosomalen RNA-Gen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer nichtsyndromalen Hörstörung, insbesondere im Zusammenhang mit einer Aminoglykosid-Exposition, einhergeht [4], [5], [6]. Im asiatischen Raum wurden bei Patienten mit einer entsprechenden Mutation ototoxische Reaktionen unter Aminoglykosidbehandlung in bis zu 30% der Fälle beobachtet [5].

Im Rahmen unserer Untersuchung zeigten sich Schallempfindungsschwerhörigkeiten nach Aminoglykosidtherapie mit einer Häufigkeit von 2,06%. Bei allen Betroffenen lagen mehrere zusätzliche Risikofaktoren vor. In der Gruppe der Säuglinge ohne zusätzliche Risikofaktoren fand sich in keinem Fall eine Hörminderung nach der Antibiotikatherapie.

Einschränkend muss erwähnt werden, dass das primäre Neugeborenen Hörscreening in allen Fällen mit nachgewiesener Hörstörung erst nach der Antibiotikaexposition erfolgt ist.

Zudem haben insgesamt nur 20 Patienten eine Kontrolle nach 6 Monaten wahrgenommen.

Bei den übrigen 75 Kindern konnte also bisher eine im späteren Verlauf eingetretene Hörminderung nicht ausgeschlossen werden.

Fazit

Es bleibt damit unsicher, ob die ermittelten Hörstörungen im Zusammenhang mit der Antibiotikabehandlung stehen oder eher durch die zusätzlichen Risikofaktoren bedingt sind. Um statistisch belegbare Daten zu erhalten soll die Untersuchung fortgesetzt werden.


Literatur

1.
Aran JM, Dulon D, Hiel H, Erre JP, Aurousseau C. L'ototoxicite d'aminosides: resultats recents sur la captation et la clairance de la gentamicine par les cellules sensorielles du limacon osseux. Rev Laryngol Otol Rhinol (Bord). 1993;114(2):125-8.
2.
Berger R, Hanschmann H, Müller-Mazzotta J, Weitzel D. Neugeborenenhörscreening, Erfahrungen und Ergebnisse aus Marburg. Monatsschrift Kinderheilkunde. 2010;158:868-74. DOI: 10.1007/s00112-010-2186-4 Externer Link
3.
Ferriols-Lisart R, Alos-Alminana M. Effectiveness and safety of once-daily aminoglycosides: a meta-analysis. Am J Health Syst Pharm. 1996;15:1141-50.
4.
Fischel-Ghodsian N, Prezant TR, Bu X, Oztas S. Mitochondrial ribosomal RNA gene mutation associated with aminoglycoside ototoxicity. Am J Otolaryngol. 1993;14:399-403. DOI: 10.1016/0196-0709(93)90113-L Externer Link
5.
Hema Bindu L, Reddy PP. Genetics of aminoglycoside-induced and prelingual non-syndromic mitochondrial hearing impairment: A review. International Journal of Audiology. 2008;47:702-7. DOI: 10.1080/14992020802215862 Externer Link
6.
Hutchin T, Haworth I, Higashi K, Fischel-Ghodsian N, Stoneking M, et al. A molecular basis for human hypersensitivity to aminoglycoside antibiotics. Nucleic Acids Res. 1993;21:4174-9. DOI: 10.1093/nar/21.18.4174 Externer Link
7.
Lautermann J, Schacht J, Jahnke K. Aminoglykosidtoxizität: Pathomechanismen, Klinik und Präventionsmöglichkeiten. HNO. 2003;51:344-52. DOI: 10.1007/s00106-003-0830-1 Externer Link
8.
Tran Ba Huy P, Bernhard P, Schacht J. Kinetics of gentamicin uptake and release in the rat: comparison of inner ear tissues and fluids with other organs. J Clin Invest. 1986;77:1492-500. DOI: 10.1172/JCI112463 Externer Link