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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Quantifizierungen der Veränderungen des Larynx und des Hypopharynx bei Patienten mit Mukopolysaccharidosen

Vortrag

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocV33

doi: 10.3205/13dgpp73, urn:nbn:de:0183-13dgpp739

Veröffentlicht: 5. September 2013

© 2013 Keilmann et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Mukopolysaccharidosen (MPS) sind Speicherkrankheiten, bei denen Patienten mit der Ansammlung der nicht abgebauten Speicherprodukte zunehmende Symptome mit u.a. typischen Verengungen der oberen Luftwege entwickeln. Es kommt nicht nur in Nase und Nasenrachenraum, sondern auch im Bereich des Hypopharynx und des Larynx zu Einlagerungen der Speicherprodukte, die zu Stimmstörungen und Luftnot führen können. Für MPS I, II und VI sind Enzymersatztherapien (ERT) zugelassen.

Material und Methoden: Wir entwickelten eine Klassifikation der Veränderungen der Epiglottis/Valleculae, der Taschenfalten und der Stimmlippen sowie der Schleimhaut in der Postkrikoidregion. Wir setzten diese Klassifikation bei 11 Patienten mit MPS I, 15 Patienten mit MPS II, 13 Patienten mit MPS IV und 16 Patienten mit MPS VI ein. 3 Phoniaterinnen beurteilten die verblindeten endoskopischen Aufnahmen.

Ergebnisse: Die Übereinstimmung der Untersucherinnen war gut, die Intraklassen-Korrelation (ICC) lag bei 0,75. Die Veränderungen der Schleimhaut waren sehr unterschiedlich ausgeprägt von geringen bis ausgeprägten Veränderungen bei allen untersuchten Unterformen, wobei Patienten mit MPS II die ausgeprägtesten Veränderungen zeigten. Die stärksten Veränderungen traten im Bereich der Taschenfalten und der Postkrikoidregion auf, zuweilen so ausgeprägt, dass die Schleimhaut bei In- und Exspiration mit dem Luftstrom in den Larynx hinein und aus dem Larynx herausgeblasen wurde. Bei den Patienten, die unter der ERT mehrfach untersucht wurden, ergab sich keine allgemeine Tendenz zum Besseren oder Schlechteren hin, sondern es zeigten sich sehr unterschiedliche Verläufe.

Diskussion: Die neue Klassifikation eignet sich zur Dokumentation der Veränderungen von Larynx und Hypopharynx bei MPS-Patienten, was zur Verlaufsbeurteilung, aber auch zum Monitoring des Therapieeffektes eingesetzt werden kann und eine zusätzliche Hilfe bei der Beurteilung der Intubationsfähigkeit darstellt.


Text

Einleitung

Mukopolysaccharidosen (MPS) sind Speicherkrankheiten, bei denen Patienten durch die Ansammlung der nicht abgebauten Speicherprodukte zunehmende Symptome mit u.a. typischen Verengungen der oberen Luftwege entwickeln. Es kommt nicht nur in Nase und Nasenrachenraum, sondern auch im Bereich des Hypopharynx und des Larynx zu Einlagerungen der Speicherprodukte, die zu Stimmstörungen und Luftnot führen können [1]. Für MPS I, II und VI sind Enzymersatztherapien (ERT) zugelassen. Für die quantitative Erfassung dieser Veränderungen eignen sich die in der Anästhesiologie gebräuchlichen Klassifikationen nur unzureichend. Wir entwickelten daher eine Klassifikation der Veränderungen der Epiglottis/Valleculae, der Taschenfalten und der Stimmlippen sowie der Schleimhaut in der Postkrikoidregion [2].

Material und Methoden

Patienten mit MPS, die am Zentrum für lysosomale Speicherkrankheiten der Universitätsmedizin Mainz, der Villa metabolica, betreut werden, erhalten eine routinemäßige Beurteilung der Kopf-Hals-Region und des Hörvermögens im Schwerpunkt Kommunikationsstörungen. Dadurch, dass die Patienten an einem oder zwei Tagen eine große Zahl von Untersuchungen durchlaufen, und ein Teil der Patienten die allgemeine Entwicklung beeinträchtigende zentrale Veränderungen aufweist, gelingt eine aussagekräftige Endoskopie des Hypopharynx und des Larynx bei etwa der Hälfte der Patienten im Rahmen der klinischen Routine. Für die vorliegende Untersuchung wurden alle verwertbaren Aufnahmen von Patienten mit MPS, nämlich 11 Patienten mit MPS I (im Alter von 7 bis 35 Jahren, davon 7 weiblich), 15 männliche Patienten mit MPS II (5 bis 45 Jahre), 13 Patienten mit MPS IV (4 bis 25 Jahre, davon 4 weiblich) und 16 Patienten mit MPS VI (6 bis 44 Jahre, davon 8 weiblich) herangezogen. 3 Phoniaterinnen beurteilten die verblindeten endoskopischen Aufnahmen entsprechend der Tabelle 1 [Tab. 1].

Ergebnisse

Die Übereinstimmung der Untersucherinnen war gut, die Intraklassen-Korrelation (ICC) lag für die Postkrikoidregion/Aryknorpel (A), Taschenfalten (T) und die Vallecula/Zungengrund (V) bei 0,75, lediglich für die nur 3-stufige Bewertung der Veränderungen der Stimmlippen lang sie ungünstiger, was durch die teilweise schlechte Einsehbarkeit dieser Region bedingt sein könnte (Tabelle 2 [Tab. 2]). Die Ausprägung der Schleimhautveränderungen war von Patient zu Patient unterschiedlich – von geringen bis ausgeprägten Veränderungen bei allen untersuchten Unterformen, wobei Patienten mit MPS II die ausgeprägtesten Veränderungen zeigten (Abbildung 1 [Abb. 1]). Die stärksten Veränderungen traten im Bereich der Taschenfalten und der Postkrikoidregion auf, besonders bei Patienten mit MPS II, bei denen es am häufigsten zu Schleimhautbewegungen durch In- und Exspiration kam. Bei Patienten, die unter der ERT mehrfach untersucht wurden, ergab sich keine allgemeine Tendenz zum Besseren oder Schlechteren hin, sondern es zeigten sich sehr unterschiedliche Verläufe (Abbildung 2 [Abb. 2]).

Diskussion

Die neue Klassifikation eignet sich aus unserer Sicht besser als bisher in der Praxis eingesetzte Einteilungen zur Dokumentation der Veränderungen von Larynx und Hypopharynx bei MPS-Patienten.

Im Bereich der Anästhesie wird die Klassifikation nach Mallampati als Maß für zu erwartende Intubationsschwierigkeiten bei einer endotrachealen Intubation eingesetzt. Die Sichtbarkeit des Gaumens und der Uvula werden in 4 Grade eingeteilt. Die Beurteilung nach Cormack & Lehane (1984) unterscheidet vier Grade der Sichtbarkeit der Stimmritze beim relaxierten auf dem Rücken liegenden Patienten. Diese Klassifikation sieht keine konkrete Aussage über die Lokalisation der Schleimhautveränderungen vor, die Postcricoidregion wird nicht gezielt beurteilt. Unsere neue Klassifikation kann zur Verlaufsbeurteilung, aber auch zum Monitoring des Therapieeffektes eingesetzt werden und stellt eine zusätzliche Hilfe bei der Beurteilung der Intubationsfähigkeit dar.

Da nicht wenige Patienten massive Beeinträchtigungen und ein sehr hohes Narkoserisiko aufgrund der obstruktiven Veränderungen der Luftwege erleiden und auch dadurch in lebensbedrohliche Situationen gelangen, ist hier eine regelmäßige Dokumentation sehr wünschenswert. Die vorgestellte Untersuchungstechnik lässt sich nicht bei allen Patienten mit MPS im Rahmen der Routinekontrollen einsetzen, da die Compliance für viele Untersuchungsverfahren bei Patienten mit MPS aufgrund der Mehrfachbehinderungen oftmals eingeschränkt ist.

Derzeit sind Enzymersatztherapien (ERT) für MPS I, II und IV zugelassen. Ein Cochrane-Review zur ERT bei MPS II ergab signifikante Verbesserungen des 6 Minuten-Gehtests und signifikante Abnahmen des Leber- und Milzvolumens. Die absolute Vitalkapazität nahm unter ERT zu, die Vitalkapazität relativ zur Körpergröße hingegen nicht signifikant [3]. Zu den Veränderungen im Bereich der Schleimhäute des oberen Aerodigestivtrakts wird von den Eltern der Patienten oft berichtet, dass sich diese unter der ERT verbessert hätten. Andererseits kann es trotz ERT zu einem Fortschreiten der Erkrankung kommen. Dies erklärt vermutlich die unterschiedlichen Verläufe, die wir beobachteten.


Literatur

1.
Walker R, Belani KG, Braunlin EA, Bruce IA, Hack H, Harmatz PR, Jones S, Rowe R, Solanki GA, Valdemarsson B. Anaesthesia and airway management in mucopolysaccharidosis. J Inherit Metab Dis. 2013 Mar;36(2):211-9. DOI: 10.1007/s10545-012-9563-1 Externer Link
2.
Keilmann A, Schiffer E, Beck M, Schulze Frenking G, Degenhardt K. Quantification of larynx and hypopharnyx abnormalities in mucopolysaccharidosis. Pan European Voice conference; Dresden; 27.-29.08.2009. p. 13.
3.
da Silva EM, Strufaldi MW, Andriolo RB, Silva LA. Enzyme replacement therapy with idursulfase for mucopolysaccharidosis type II (Hunter syndrome). Cochrane Database Syst Rev. 2011 Nov 9;(11).