gms | German Medical Science

30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Effektivität und Grenzen Funktioneller Dysphagietherapie nach Kehlkopftrauma

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Heidrun Schröter-Morasch - Städtisches Klinikum München GmbH, Klinikum Bogenhausen, Entwicklungsgruppe Klinische Neuropsychologie EKN, München, Deutschland
  • author Leonhard Fischbacher - Städtisches Klinikum München GmbH, Klinikum Bogenhausen Klinik für Frührehabilitation und Medizinische Rehabilitation, München, Deutschland
  • author Gudrun Gauer - Städtisches Klinikum München GmbH, Klinikum Bogenhausen, Klinik für Frührehabilitation und Medizinische Rehabilitation, München, Deutschland
  • author Friedemann Pabst - KH Dresden-Friedrichstadt, Klinik für HNO-Heilkunde, Dresden, Deutschland
  • author Ursula Schröder - Universitätsklinikum S.H., Campus Lübeck, Klinik für HNO-Heilkunde, Lübeck, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocV30

doi: 10.3205/13dgpp67, urn:nbn:de:0183-13dgpp670

Veröffentlicht: 5. September 2013

© 2013 Schröter-Morasch et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Hintergrund: Da der Kehlkopf durch die knöchernen Strukturen von Mandibula, Sternum und Wirbelsäule gut geschützt ist, sind traumatische Verletzungen relativ selten, im Wesentlichen in der Folge von Motorradunfällen, Suicidversuchen durch Erhängen und Sportunfällen (z.B. Fußball, Taekwando).

Material und Methoden: Wir berichten über 2 Patienten, bei denen es nach traumatischem Ereignis zu schwersten Atem-, Stimm- und Schluckproblemen gekommen war: ein 62-jähriger Patient hatte beim Versuch, sich zu erhängen, eine Hyoidfraktur mit Weichteilverletzungen und -verschwellungen erlitten. Ein weiterer 39-jähriger Patient wurde uns 2 Jahre nach Motorradunfall mit Schädelhirntrauma Grad III und einer Ringknorpelfraktur zugewiesen. Bei beiden Patienten bestand die Notwendigkeit eines Tracheostomas mit geblockter Kanüle aufgrund einer massiven Aspirationssymptomatik, die Haupternährung erfolgte über eine PEG. Nach entsprechender evidenzbasierter Diagnostik erfolgte eine intensive Funktionelle Therapie.

Ergebnisse: Während der erste Patient dekanüliert und nach 2 Monaten teiloralisiert entlassen werden konnte, wurden bei dem Patienten nach Motorradunfall mit Ringknorpelfraktur keine wesentlichen Verbesserungen erreicht. Als Hauptursache wurde eine Zerreißung der Verbindungsstrukturen zwischen Zungenbein und Schildknorpel angesehen. Daher erfolgte ein Kehlkopfhochzug mit Drahtfixation des Schildknorpels an die Mandibula sowie eine Mobilisierung des narbig fixierten Kehlkopfmassivs. 4 Wochen nach diesem Eingriff konnte der Patient dekanüliert werden. Die zunächst weiter bestehende Einschränkung der oralen Ernährung ließ sich durch kompensatorische Schlucktechniken schrittweise verbessern, sodass heute nur noch minimale Einschränkungen der Lebensqualität bestehen.

Diskussion: Im vorliegenden Fall hatten die Zerreißungen im Band- und Muskelsystem des Larynx-Hyoidkomplexes ein Muskeltraining nicht effektiv sein lassen, zudem wirkten die Verwachsungen der funktionell notwendigen KK-Anhebung entgegen. Zum Erfolg der chirurgischen Revision erwies sich jedoch die Funktionelle Therapie gleichzeitig als unverzichtbar.


Text

Infolge der Flexibilität des Hyoid-Larynxkomplexes, der Elastizität seiner Strukturen und des Schutzes durch die knöchernen Strukturen von Mandibula, Sternum und Wirbelsäule sind traumatische Verletzungen relativ selten [1]. Sie treten im Wesentlichen innerhalb von drei Ereignissen auf: bei Motorradunfällen, Suicidversuchen durch Erhängen und bei Sportunfällen wie Fußball oder Taekwando (insbesondere bei letzterer Sportart wird zunehmend über Kehlkopftraumata berichtet, [2]). In der Folge kann es zu vorübergehenden leichten Beeinträchtigungen der Atmung, Stimmfunktion und des Schluckvermögens kommen, aber auch zu schweren bleibenden Störungen bis hin zur Trachealkanülenpflicht und der Notwendigkeit der Sondenernährung [3]. Genauere Analysen der ursächlichen pathophysiologischen Veränderungen sind nur vereinzelt beschrieben, therapeutische Empfehlungen beschränken sich bisher weitgehend auf Adaptationen frakturierter Kehlkopfanteile.

Wir berichten über 2 Patienten, bei denen es nach traumatischem Ereignis zu schwersten Atem-, Stimm- und Schluckproblemen gekommen war: ein 62-jähriger Patient hatte beim Versuch, sich zu erhängen, eine Hyoidfraktur mit Weichteilverletzungen und -verschwellungen erlitten. Ein weiterer 39-jähriger Patient wurde uns 2 Jahre nach Motorradunfall mit Schädelhirntrauma Grad III und einer Ringknorpelfraktur zugewiesen. Zum Zeitpunkt der Aufnahme bestand bei beiden Patienten die Notwendigkeit eines Tracheostomas mit geblockter Kanüle aufgrund einer massiven Aspirationssymptomatik, die Haupternährung erfolgte über eine PEG. Die entsprechende evidenzbasierte Diagnostik ergab folgende Hauptursachen der Dysphagie: Verspätete Reflextriggerung, eingeschränkte Larynxbewegung nach anterior – superior, unvollständige Epiglottiskippung und Pharynxkontraktion, unvollständiger Verschluss des Aditus laryngis sowie der Glottis, ausgeprägte hypopharnygeale Residuen mit nachfolgender Penetration und Aspiration. Bei dem 2. Patienten fiel eine zusätzliche Stimmlippenparese rechts sowie eine Zerreißung der Verbindungsstrukturen zwischen Zungenbein und Schildknorpel auf, erkennbar am extrem weiten Abstand vom Oberrand der Epiglottis zur Stimmlippenebene. Außerdem zeigte sich ein teils klaffender Ösophaguseingang nach vorangegangener Botoxinjektion. Bei beiden Patienten erfolgte eine intensive Funktionelle Therapie, welche sich an den pathophysiologischen Störungsbildern orientierte.

Während der erste Patient dekanüliert und nach 2 Monaten teiloralisiert entlassen werden konnte, wurden bei dem Patienten nach Motorradunfall mit Ringknorpelfraktur keine wesentlichen Verbesserungen erreicht. Es erfolgte daher zunächst eine Anhebung des Schildknorpels durch Fixation an das Zungenbein. Diese Maßnahme war zunächst erfolgreich, der Patient berichtete über eine kurzzeitige erhebliche Verbesserung des Schluckvermögens. Durch den verbliebenen Zug des Kehlkopfs nach unten kam es jedoch nach wenigen Tagen zum Ausriss der Fäden aus dem Zungenbein. Nunmehr erfolgten ein Kehlkopfhochzug mit Drahtfixation des Schildknorpels an die Mandibula sowie eine ausgedehnte Mobilisierung des narbig fixierten abgesunkenen Kehlkopfmassivs. Vier Wochen nach diesem Eingriff konnte der Patient dekanüliert und das Tracheostoma verschlossen werden. Eine orale Ernährung war jedoch noch immer nur in geringen Mengen und mit hohem Zeitaufwand möglich. Es erfolgten zum einen restituierende Maßnahmen (Stimulationstechniken, Mobilisierung vernarbter Strukturen sowie Muskelkräftigung) begleitet von intensiver Physikalischer Therapie zur Verbesserung der Kopfhaltung und Normalisierung der Halsmuskulatur. Zum anderen ließ sich das Schluckvermögen durch Einüben und konsequentes Einhalten kompensatorischer Schlucktechniken schrittweise bis zur vollständigen oralen Ernährung verbessern. Etwa 2 Jahre nach der Intervention kam es zum Bruch der Fixationsdrähte, welche daraufhin entfernt wurden, ohne das funktionelle Ergebnis und die wiedererlangte Arbeitsfähigkeit des Patienten zu beeinträchtigen. Durch die noch immer notwendige Nahrungsaufnahme in der erlernten Technik des supraglottischen Schluckens kombiniert mit der Mendelsohn-Methode sowie häufigem Nachschlucken bzw. Nachtrinken besteht nur noch eine minimale Beeinträchtigung der Lebensqualität.

Die beiden Fälle zeigen, dass sich auch bei strukturellen Läsionen im Kopf-Hals-Bereich mit Beeinträchtigungen des normalen Schluckvorganges durch Funktionelle Dysphagietherapie wesentliche Verbesserungen erreichen lassen. Im Fall des zweiten Patienten hatten jedoch die Zerreißungen im Band- und Muskelsystem des Larynx-Hyoidkomplexes Ursprünge und Ansatzpunkte der Muskulatur so weit voneinander entfernt, dass ein Muskeltraining nicht mehr effektiv sein konnte. Zudem wirkten die Verwachsungen im traumatisierten Bereich des abgesunkenen Kehlkopfs der notwendigen funktionellen Anhebung während des Schluckvorganges entgegen. Daher war eine chirurgische Revision unumgänglich. Dabei erwies es sich, dass der Widerstand des abgesunkenen vernarbten Kehlkopfmassivs gegen eine funktionell notwendige Anhebung zunächst unterschätzt wurde. Diese mechanische Absenkung und Fixierung könnte auch bei Patienten mit Tracheaquerresektionen zur Entwicklung postoperativer Dysphagien beitragen, insbesondere dann, wenn ein zusätzliches „laryngeal release“ durchgeführt wird.

Obwohl der Funktionellen Dysphagietherapie bei strukturellen Läsionen Grenzen gesetzt sind, ist sie doch als wesentliche Komponente des Erfolges der chirurgischen Revision anzusehen, eine entsprechende interdisziplinäre Betreuung der Patienten daher unverzichtbar. In Analogie zur Stimmtherapie bei organischen Läsionen könnte man für die Dysphagie ebenso von einer „Einbettung“ der chirurgischen Maßnahme in den prä- und postoperativen Kontext der Funktionellen Therapie sprechen.


Literatur

1.
Juutilainen M, Vintturi J, Robinson S et al. Laryngeal fractures: clinical findings and considerations on suboptimal outcome. Acta Oto-Laryngologica. 2008;128:213-8
2.
Porr J, Laframboise M, Kazemi M. Traumatic hyoid bone fracture – a case report and review of the literature. J Can Chiropr Assoc. 2012;56(4): 269-74
3.
Ramchand T, Choudhry OJ, Shukla P, et al. Management of Hyoid Bone Fractures: A Systematic Review. Otolaryngology - Head and Neck Surgery. 2012;174(2):204-8. DOI: 10.1177/0194599812451409 Externer Link