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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Untersuchung der Häufigkeit spezifischer Beschwerden und Darstellung von Risikoprofilen professioneller Sänger/-innen

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Philipp Mathmann - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • Dirk Deuster - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • Antoinette am Zehnhoff-Dinnesen - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocP22

doi: 10.3205/13dgpp50, urn:nbn:de:0183-13dgpp501

Veröffentlicht: 5. September 2013

© 2013 Mathmann et al.
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Zusammenfassung

Professionelle Sänger stellen sich oft erst bei akuten Beschwerden vor stimmlichen Belastungsphasen ärztlich vor. Um berufsspezifische Beschwerden besser nachvollziehen und bestenfalls präventiv arbeiten zu können, ist eine quantitative und qualitative Erhebung typischer Symptomkomplexe und Beschreibung von Risikoprofilen dieser Gruppe sinnvoll. Dieser Beitrag ist Teilergebnis einer größeren Erhebung zum Gesundheits- und Krankheitsverhalten professioneller Sänger.

Auf der Basis einer Pilotstudie wurde mit Hilfe etablierter Fragebögen und klinischer Erfahrungen ein Online-Fragebogen mit der open source Software LimeSurvey entwickelt. Neben allgemeinen Angaben zu Alter, Geschlecht und Stimmfach beinhaltet er auch Fragen zu beruflicher/gesundheitlicher Situation, Noxen, sowie Krankheitsbildern und Beschwerden. Die Auswertung erfolgte deskriptiv.

360 Sänger, davon 233 Frauen und 127 Männer, nahmen teil. 14,7% der Probanden gaben an, regelmäßig oder gelegentlich zu rauchen. 69,1% der Frauen und 39,4% der Männer gaben an, regelmäßig oberhalb der geschlechtsspezifischen Risikogrenze Alkohol zu konsumieren. Die Häufigkeit von Allergien betrug 54,4%, davon 82,7% mit inhalativen Allergenen. Die Frage nach Beschwerden vor Stimmbelastung beantworteten 66,1% der Befragten mit „regelmäßig“, es dominierten neuromuskuläre und dyspeptische Beschwerden. 37,8% gaben an, „manchmal“, „häufig“ oder „meistens“ Beschwerden nach dem Singen zu haben, hier überwiegten unspezifische Ermüdungserscheinungen.

Sowohl die Häufigkeit als auch die Symptome vor/nach Stimmbelastung entsprechen überwiegend psychovegetativen Beschwerden. Der Alkoholkonsum oberhalb der Risikogrenze lag – im Gegensatz zum unterdurchschnittlichen Nikotinkonsum – über dem der Normalbevölkerung. Beide Aspekte lassen es sinnvoll erscheinen, Sänger vor und während ihrer Laufbahn mit gesundheitspräventiven Programmen zu unterstützen.


Text

Hintergrund

Die Zahl der Sängerinnen und Sänger, die sich kurz vor Auftritten oder Probenphasen mit akuten Beschwerden ärztlich vorstellen, steigt kontinuierlich an und scheint Resultat von steigendem Leistungsdruck und Erschöpfung der Musiker zu sein. Auffällig ist hierbei zu beobachten, dass die Beschwerden an dieser Stelle stark heterogen sind. Auch Gesundheits- und Krankheitsverhalten unter Sängerinnen und Sängern divergieren stark voneinander. Zur Analyse dieser Dynamik, sowie zur qualitativ-quantitativen Erfassung von möglicherweise hilfreichen wie auch dysfunktionalen Verhaltensweisen dieser Patientengruppe ist eine breit angelegte Studie in unserer Klinik durchgeführt worden. Ziel des Forschungsprojektes ist es, berufsspezifische Beschwerden besser nachvollziehen und bestenfalls präventiv arbeiten zu können. Der präsentierte Beitrag ist Teilergebnis der deskriptiven Erfassung und beschränkt sich auf das Risikoprofil professioneller Sängerinnen und Sänger im Bezug auf Noxen und Allergien, sowie auf Beschwerden vor und nach stimmlichen Belastungsphasen.

Methode

Für die prospektive Studie wurde zunächst ein den Zielsetzungen der Arbeit unter statistischen Gesichtspunkten angemessenes Instrument (Fragebogen) entwickelt und etabliert. Dies erfolgte auf der Basis verschiedener bereits veröffentlichter Fragebögen [z.B. Fragebogen zur Selbstmedikation von James DH & French DP, 2008], sowie selbst entwickelter sängerspezifischer Fragen. Nach einer interdisziplinären Evaluation wurde der Fragebogen in einer ersten Pilotstudie getestet. Im Rahmen eines semi-strukturierten Interviews mit den teilnehmenden Sängerinnen und Sängern (n=20) wurde der Fragebogen mehrfach überarbeitet, um ihn den spezifischen Bedürfnissen und gesundheitlichen Problemen des Probandenkollektivs optimal anzupassen. Der Fragebogen umfasst 385 Fragen und wurde in seiner Endversion als Online-Tool auf Basis der open source Software LimeSurvey etabliert.

Probanden-Einschlusskriterium war, dass es sich bei den Probanden um professionelle Sängerinnen und Sänger handelt. Ein professioneller Sänger ist im Sinne der Untersuchung definiert als eine Person, die ein Studium mit dem Hauptfach Gesang abgeschlossen hat oder sich darin befindet und hauptberuflich als Sängerin/Sänger bzw. Gesangspädagogin/Gesangspädagoge tätig ist. Ausschlusskriterium war dabei aber das Hauptfach Gesang im Rahmen eines Lehramtsstudiums.

Der Fragebogen wurde online beantwortet. Im Vergleich zu einer Papierfassung bot diese EDV-basierte Lösung den Vorteil, dass zwischen einzelnen Fragen logische Verknüpfungen möglich waren. Durch einen individuellen 15-stelligen Zugangscode konnte die absolute Anonymität des Teilnehmers gewährleistet werden, welche in dieser Studie aufgrund der teilweise sehr persönlichen Fragen (z.B. zum Alkoholkonsum) notwendig war.

Ergebnisse

Insgesamt nahmen 360 Sänger, davon 233 Frauen und 127 Männer, an der Studie teil. In der Studienpopulation gaben 14,7% an, regelmäßig oder gelegentlich zu rauchen. 69,1% der Frauen und 39,4% der Männer gaben an, regelmäßig oberhalb der geschlechtsspezifischen Risikogrenze [1] von >30g/d für Männer und >20g/d für Frauen Alkohol zu konsumieren. Die Häufigkeit von Allergien betrug 54,4%, davon 82,7% mit inhalativen Allergenen wie Pollen, Hausstaub, Tierhaaren mit entsprechenden Atemwegsbeschwerden.

Weiter wurden die Beschwerdesymptomatiken in zeitlicher Assoziation zu stimmlichen Belastungsphasen analysiert. Die Frage nach Beschwerden vor Stimmbelastung beantworteten 66,1% der Befragten mit „regelmäßig“. An dieser Stelle dominierten neuromuskuläre und dyspeptische Beschwerden. Anders stellte es sich bei der Frage zu Beschwerden nach stimmlicher Belastung dar: 37,8% der Befragten gaben hierbei an, dass sie „manchmal“, „häufig“ oder „meistens“ Beschwerden nach dem Singen hätten. Eine Dominanz zeigte sich hier im Bereich unspezifischer Ermüdungserscheinungen wie Heiserkeit, paralaryngeale Verspannungen, etc.

Diskussion

Es fällt in der Analyse der Noxen auf, dass unter professionellen Sängerinnen und Sängern der Alkoholkonsum - im Gegensatz zu einem unterdurchschnittlichen Nikotinkonsum - über dem der Normalbevölkerung liegt. Dies könnte an Stress und beruflichem Druck liegen. Eher jedoch könnte eine allgemein höhere Akzeptanz von Alkohol unter Berufsmusikern zu vermuten sein, auch im Kontext mit gesellschaftlichen Verpflichtungen nach Auftritten.

Weiter ist die Anzahl der Allergiker innerhalb dieser Berufsgruppe bemerkenswert. Nicht sicher feststellbar ist allerdings, inwieweit diese Allergien sicher diagnostiziert wurden oder es sich lediglich um subjektiv empfundene, unspezifische Beschwerden mit „allergischem Charakter“ handelt.

Bei den belastungsassoziierten Symptomen zeigt sich insbesondere in der Qualität eine Dominanz psychovegetativer Beschwerden. Die Häufigkeit dieser Symptome deckt sich mit der in der Einleitung beschriebenen Krankheitstendenz professioneller Sängerinnen und Sänger. Dieser kurze Auszug unserer Ergebnisse zeigt bereits, dass das untersuchte Patientenklientel in vielerlei Hinsicht von dem durchschnittlichen Patienten der phoniatrischen Sprechstunde abweicht. Ergebnisse wie ein erhöhter Alkoholkonsum, wie auch die Neigung zu psychovegetativen Beschwerden lassen es sinnvoll erscheinen, Sängerinnen und Sänger vor und während ihrer professionellen Laufbahn mit gesundheitspräventiven Programmen zu unterstützen.


Literatur

1.
Herold G. Innere Medizin. Selbstverlag; 2010.