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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Zusammenhänge zwischen subjektiver Stimmbeurteilung und stimmanalytischen Parametern bei stimmgesunden Sängern und beeinflussende Faktoren

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  • corresponding author presenting/speaker Stephan Schöbel - Universitätsklinikum Dresden, Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Abteilung Phoniatrie und Audiologie / SCIC, Dresden, Deutschland
  • author Tadeus Nawka - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Berlin, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocP21

doi: 10.3205/13dgpp49, urn:nbn:de:0183-13dgpp493

Veröffentlicht: 5. September 2013

© 2013 Schöbel et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Inhalt der Untersuchung ist die Frage, ob ein Sänger die Veränderungen an seiner Stimme nach Stimmbelastung in gleichem Maße wahrnimmt, wie sie stimmanalytisch messbar sind und ob diese Beurteilung von der Befindlichkeit abhängig ist.

Material und Methoden: Zur Anwendung kommen ein selbstvalidierter Score zur Beurteilung der Stimme durch den Probanden (SSB), das Göttinger Heiserkeitsdiagramm zur Stimmanalyse (GHD) und der Mehrdimensionale Befindlichkeitsfragebogen (MDBF) von Steyer et al. Das Erheben der Daten erfolgt an 24 semiprofessionellen Sängern vor und nach einer 4,5-stündigen Chorprobe.

Ergebnisse: Die Subjektive Selbstbeurteilung der eigenen Stimme durch die Probanden fällt nach der Probe hoch signifikant schlechter aus als vor der Probe. Stimmanalytisch stellte sich bei den Messungen nach Abschluss der Probe eine Erhöhung der Grundfrequenz dar. Im Göttinger Heiserkeitsdiagramm kommt es zu einer Zunahme der Rauschmaße. Auch die Irregularität verringert sich signifikant. Die Untersuchung der Befindlichkeit mit Hilfe des MDBF ergab eine Veränderung der Einzelparameter des Scores in typischer Weise, doch im Gesamtscore lässt sich keine Signifikanz nachweisen.

Eine Korrelation zwischen den stimmanalytischen Parametern und der Subjektiven Selbstbeurteilung (SSB) lässt sich nicht nachweisen. Es zeigen sich Gleichsinnigkeiten zwischen der Befindlichkeit (MDBF) und der Subjektiven Stimmbeurteilung (SSB), jedoch nicht zu den Parametern Rauschen und der Irregularität des GHD.

Diskussion: In der Untersuchung lässt sich kein Zusammenhang zwischen der subjektiven Beurteilung der eigenen Stimme durch einen Sänger und den messbaren stimmanalytischen Parametern nachweisen. Die Selbstbeurteilung der Stimme nach einer chorischen Stimmbelastung ist abhängig von der Befindlichkeit des Sängers.


Text

Einleitung und Hintergrund

Eine Beurteilung der Stimmgüte erfolgt durch den Sprechenden bzw. den Sänger selbst, durch Dritte und im Rahmen von Stimmanalysen. Im klinischen Alltag und in vielen Studien kommen sowohl Selbstbefragungsbögen als auch Messungen physikalischer Parameter zur Beurteilung der Stimmgüte zur Anwendung. Basierend auf der täglichen klinischen Erfahrung wird angenommen, dass mit diesen Instrumenten die Stimme in gleichsinniger Weise beurteilt wird.

Am Anfang der Entwicklung einer Stimmstörung stehen häufig subtile Veränderungen, die vom Betreffenden selbst nur eingeschränkt wahrgenommen werden. Dennoch ist häufig auch der Zeitpunkt der Erstvorstellung beim Phoniater entscheidend für das Ausmaß der Stimmstörung und die Rekonvaleszenzdauer. Somit erscheint die sichere Selbstbeurteilung der Stimme elementar für die Stimmhygiene und das Verhindern von Belastungen zu sein, die auch bei geringen pathologischen Veränderungen chronisch werden können.

Informationen über die emotionale Befindlichkeit von Sprechenden erhält der Zuhörer unter anderem durch den Klang und die Prosodie der Stimme. Charakteristische Veränderungen an stimmanalytischen Parametern lassen sich mit Emotionen in Zusammenhang bringen. So sind z.B. nach Päschke et al. [1] die Richtung und die Steilheit des Grundfrequenzverlaufs beim Sprechen emotionsspezifisch.

Besonders der professionelle Sänger und Sprecher ist sensibel für den Klang und die Belastungsfähigkeit seiner Stimme. Zudem ist hier die Klangformung im Vokaltrakt in den meisten Fällen mit einer emotionalen Äußerung und körperlicher Anstrengung verbunden. Das Beurteilen der Stimme geschieht meist in diesen Situationen.

Um negative Auswirkungen auf den Stimmapparat früher zu entdecken, soll in dieser Untersuchung geprüft werden, ob die vom Sänger an seiner Stimme wahrgenommenen Veränderungen den in der Stimmanalyse gemessenen Werten entsprechen und ob diese Wahrnehmung von seiner Befindlichkeit abhängig ist.

Bei den in der Literatur belegten Untersuchungen, in denen parallel Selbstbefragungsbögen und Stimmanalysen zur Anwendung kamen, erfolgte in der Regel keine Erfassung der Befindlichkeit der Probanden. Gelegentlich wird, wie bei Hanschmann et al. [2], ein Fragebogen zur subjektiven Befindlichkeit in Form einer visuellen Analogskala mitgeführt. Häufiger wird beim Probanden das stimmliche Befinden über längere Zeiträume erfragt (z.B. Forschungsprojekt „Stimmbelastbarkeit bei schulischer Lehrtätigkeit“, Wien 2012). Vielfach ließ sich, wie bei Laukkanen et al. [3], ein Zusammenhang zwischen den Beschwerden und den Stimmanalyseparametern nicht feststellen. Andere Autoren dagegen geben solche Zusammenhänge an, die folglich keiner Regelmäßigkeit zu unterliegen scheinen.

Material und Methoden

25 stimmgesunde semiprofessionelle Sänger (14 Männer und 11 Frauen, Durchschnittsalter 37,9 Jahre) beurteilten selbst in einer „Subjektiven Selbstbeurteilung“ (SSB) ihre Stimme. Dieser Fragebogen hat sich in Voruntersuchungen als Test mit guter Reliabilität (Cronbachs α=0,77/0,86 vor/nach der Probe) und im Vokabular zielgruppenorientierte Explorationsmöglichkeit herausgestellt. Hohe Werte stehen für eine durch den Sänger gering empfundenen Beanspruchung der Stimme. Als objektive Methode zur Stimmbeurteilung wird das Göttinger Heiserkeitsdiagramm (GHD) von Michaelis et al. im Stimmanalyseprogramm rpSzene® verwendet. Parallel dazu wird die Befindlichkeit der Sänger mit dem Mehrdimensionalen Befindlichkeitsfragebogen (MDBF) von Steyer et al. erhoben. Hohe Skalenwerte deuten auf eine gute Stimmungslage einer wachen und ruhigen Person hin. Nach einer Chorprobe von ca. 4,5 Stunden Dauer mit einer Pause von ca. 30 Minuten nach zwei Stunden wird das Untersuchungsprogramm mit SSB, GHD und MDBF wiederholt.

Ergebnisse

Die Beurteilung der eigenen Stimme durch die Sänger fällt nach der Probe (37,8) hoch signifikant (p=0,002) schlechter aus, als vor der Probe (46,4). Nach der Stimmbelastung lassen sich in der Stimmanalyse mit dem GHD eine deutliche Zunahme der Rauschmaße (p=0,073) und Abnahme der Irregularität (p=0,010) nachweisen (Tabelle 1 [Tab. 1]).

Auch die Tendenz der Werte im MDBF entspricht der Erfahrung der Sänger, die nach der Probe ruhiger und müde sind, sich aber besser fühlen. Im Gesamtscore ist diese Veränderung nicht signifikant (p=0,338) (Tabelle 2 [Tab. 2]).

Alle Parameter erscheinen stimmig und Abbild der Stimmbelastung zu sein. Dennoch zeigt sich in der Prüfung der Korrelation, dass es eine Signifikanz nur zwischen der Selbsteinschätzung der Sänger (SSB) und den Ergebnissen des MDBF gibt. Bei einer 2-seitigen Signifikanz beträgt der Korrelationskoeffizient rs 0,460 (a=0,05), wobei insbesondere die beruhigende Wirkung des Singens in die Beurteilung der Stimme einfließt (rs=0,527). Zwischen den Parametern aus dem GHD und dem MDBF kann keine Korrelation (Rauschen rs=0,078, Irregularität rs=–0,270) nachgewiesen werden. Bemerkenswert ist das Fehlen einer Korrelation zwischen GHD und SSB (Rauschen rs=–0,065, Irregularität rs=–0,139).

Diskussion und Fazit

Das gleichzeitige Auswerten von Selbstbeobachtungen und stimmanalytischen Parametern führt sowohl in wissenschaftlichen Untersuchungen als auch im klinischen Alltag zu einer Beurteilung der Stimmgüte. Zunächst wurde angenommen, dass die von Sängern wahrgenommenen und die messbaren Veränderungen im Stimmsignal im Zusammenhang stehen. Wie auch bei anderen Autoren korreliert kein stimmanalytischer Parameter mit der Selbstbeurteilung. Beide Tests sind in der Lage, Veränderungen nach einer Stimmbelastung eindeutig aufzuzeigen, bilden allerdings verschiedene Aspekte einer Stimmbelastung ab, zwischen denen kein nachweisbarer Zusammenhang besteht.

Aus der fehlenden Korrelation zwischen GHD und MDBF lässt sich ableiten, dass auch diese beiden Größen voneinander unabhängige Veränderungen einer Stimmbelastung beschreiben. Einerseits spiegeln gemessene Werte in der Stimmanalyse in objektiver Weise strukturelle Veränderungen wider. Die Befindlichkeit des Sängers ist nicht vom stimmanalytisch Messbaren abhängig. Andererseits hat die Befindlichkeit keinen nachweisbaren Einfluss auf die Stimmanalyseparameter. Die Unabhängigkeit der Stimmanalyse bestätigt die Eigenständigkeit dieser Methode im Rahmen der multidimensionalen Untersuchung der Stimme.

Die signifikante Korrelation zwischen Selbstbeurteilung und Befindlichkeit stellt einen wichtigen Zusammenhang dar. Die Probe wird von den Sängern als stimmlich wahrnehmbare Belastung empfunden. Zudem wird eine erhöhte Ist-Sollwert-Diskrepanz im bio-psychologischen Überwachungssystem des Sängers nach der Probe wahrgenommen, was sich in der Abnahme des Gesamtscores im MDBF abbildet. Offensichtlich ist das Beurteilen der Stimmgüte der eigenen Stimme sehr abhängig vom aktuellen, in das Bewusstsein gerückten inneren Erleben und Empfinden zum Zeitpunkt der Beurteilung. Das Ergebnis kann auch interpretiert werden als Nachweis einer Wirkung des Singens auf die Befindlichkeit des Sängers. Ohne daraus auf eine Kausaliät zu schließen lässt sich zumindest zeigen, dass es neben der Stimmbelastung selbst Faktoren gibt, die beeinflussend für die Einschätzung der eigenen Stimme sind und die es bei der Beurteilung der Stimme zu erkennen gilt. Diese Faktoren scheinen von großer Relevanz für die Selbstbeurteilung des Sängers im Hinblick auf die Stimmhygiene.


Literatur

1.
Päschke A, Sendlmeier WF. „Prosodic characteristics of emotional speech: Measurements of fundamental frequency movements". In: SpeechEmotion-2000. Speech and Emotion, ISCA Tutorial and Research Workshop (ITRW); September 5–7 2000; Newcastle, Northern Ireland, UK. ISCA Archive. S. 75-80. Vefügbar unter: http://www.isca-speech.org/archive_open/speech_emotion Externer Link
2.
Hanschmann H, Gaipl C, Berger R. Preliminary results of a computer-assisted vocal load test with 10-min test duration. Eur Arch Otorhinolaryngol. 2011 Feb;268(2):309-13. DOI: 10.1007/s00405-010-1428-3 Externer Link
3.
Laukkanen AM, Ilomäki I, Leppänen K, Vilkman E. Acoustic measures and self-reports of vocal fatigue by female teachers. J Voice. 2008 May;22(3):283-9. DOI: 10.1016/j.jvoice.2006.10.001 Externer Link
4.
Baroody MM, Barnes-Burroughs K, Rodriguez MC, Sataloff DM, Sataloff RT. Self-reported changes in the professional singing voice after surgical intervention treatment for breast cancer: a survey pilot study of female professional singers. J Voice. 2013 Mar;27(2):225-9. DOI: 10.1016/j.jvoice.2012.12.014 Externer Link
5.
Kankare E, Geneid A, Laukkanen AM, Vilkman E. Subjective evaluation of voice and working conditions and phoniatric examination in kindergarten teachers. Folia Phoniatr Logop. 2012;64(1):12-9. DOI: 10.1159/000328643 Externer Link
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Rantala L, Vilkman E, Bloigu R. Voice changes during work: subjective complaints and objective measurements for female primary and secondary schoolteachers. J Voice. 2002 Sep;16(3):344-55. DOI: 10.1016/S0892-1997(02)00106-6 Externer Link
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Remacle A, Finck C, Roche A, Morsomme D. Vocal impact of a prolonged reading task at two intensity levels: objective measurements and subjective self-ratings. J Voice. 2012 Jul;26(4):e177-86. DOI: 10.1016/j.jvoice.2011.07.016