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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Elternbeurteilung des Münsteraner Elternprogramms zur Kommunikationsförderung von Säuglingen und Kleinkindern mit Hörschädigung

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Reinhild Glanemann - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, UKM, Münster, Deutschland
  • Karen Reichmuth - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, UKM, Münster, Deutschland
  • Antoinette am Zehnhoff-Dinnesen - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, UKM, Münster, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocP10

doi: 10.3205/13dgpp27, urn:nbn:de:0183-13dgpp270

Veröffentlicht: 5. September 2013

© 2013 Glanemann et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Das Münsteraner Elternprogramm (MEP) [12] ist eine familienzentrierte Frühintervention direkt nach Diagnosestellung einer Hörschädigung im Neugeborenen-Hörscreening. Es wurde an der o.g. Klinik entwickelt und wird dort seit 2009 durchgeführt. Dass das Elternprogramm das Kommunikationsverhalten hörender Eltern gegenüber ihrem hörgeschädigten Kind nachhaltig positiv verändert, konnte in der begleitenden wissenschaftlichen Interventionsstudie belegt werden [5]. Hier berichten wir über die Beurteilung der Eltern zur Qualität des MEP.

Material und Methoden: Allen Teilnehmern des MEP (N=23) wurden direkt nach Abschluss des Programms folgende zwei Fragebögen ausgehändigt: (1) der normierte Fragebogen zur Zufriedenheit mit der Behandlung (FBB, Mattejat & Remschmidt) und (2) der selbst entwickelte Fragebogen zur Beurteilung des Münsteraner Elternprogramms (FB-MEP).

Ergebnisse: Die Elternzufriedenheit im FBB beträgt 3,39 (M, SD=0,48; Skala 0–4) und im FB-MEP 3,31 (M, SD=0,51; Skala 0–4). Die Korrelation zwischen den beiden Fragebögen beträgt r=0.691, p<.0005 (Pearson). In den offenen Fragen wurden insbesondere der Kontakt und Austausch mit anderen betroffenen Eltern sowie die konkrete Hilfestellung für die Kommunikation mit dem hörgeschädigten, noch vorsprachlichen Kind von den Eltern positiv herausgestellt.

Diskussion: Teilnehmende Eltern bewerten das MEP bezüglich Inhalt, Durchführung und individuellem Nutzen sehr positiv. Damit erfüllt das MEP das Bedürfnis der Eltern nach früher qualifizierter Unterstützung bei Diagnosestellung im UNHS [13].


Text

Hintergrund

Nach der Diagnose einer Hörstörung im Rahmen des Neugeborenen-Hörscreenings wünschen sich betroffene Eltern eine zeitnahe, qualifizierte und familienzentrierte Unterstützung. Bleibt diese aus, wachsen die Sorgen der Eltern, dass der Vorteil der frühen Entdeckung verspielt wird [13]. Auch Studien zeigen, dass – neben der frühen Diagnose und der Versorgung des Kindes mit technischen Hörhilfen – der frühe Förderbeginn und eine hohe Elternbeteiligung im Förderprozess wesentliche Einflussfaktoren für eine erfolgreiche Hör-Sprachentwicklung hörgeschädigter Kinder darstellen [10], [6]. Empfohlen werden daher familienzentrierte Ansätze, die die Eltern in ihren intuitiven Fähigkeiten und der Beziehung zu ihrem hörgestörten Kind stärken [6], [2].

Für Eltern ohne familiäre Vorbelastung kommt die Diagnose einer Hörstörung meist unerwartet. Sie empfinden die Situation oft als belastend und äußern neben dem Wunsch nach spezifischer Information und individueller Förderung auch das Bedürfnis nach Austausch mit anderen Müttern und Vätern in vergleichbarer Situation [7]. Eltern bewerten Frühförderung als besonders hilfreich, wenn die Förderinhalte ihren alltäglichen Umgang mit ihrem Kind innerhalb der Familie berücksichtigen [4].

Nach Einführung des Neugeborenen-Hörscreenings ist eine Anpassung der bestehenden Hörfrühförderkonzepte an die Bedürfnisse der Eltern mit Säuglingen im vorsprachlichen Entwicklungsstadium notwendig geworden, s.a. [8]. Vor diesem Hintergrund wurde das Münsteraner Elternprogramm (MEP) an der Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie des UKM entwickelt und wird dort seit 2009 durchgeführt.

Das Münsteraner Elternprogramm

Das Münsteraner Elternprogramm (MEP) ist eine familienzentrierte Frühintervention direkt nach Diagnosestellung einer Hörschädigung im Neugeborenen-Hörscreening. Das drei-monatige Programm richtet sich an Eltern hörgeschädigter Kinder, die eine ein- oder beidseitige Hörstörung haben und sich auf vorsprachlichem Entwicklungsniveau befinden (Alter 3–18 Monate). Auch Eltern von Kindern mit zusätzlicher Entwicklungsverzögerung können teilnehmen. Ziel des MEP ist es, Eltern von hörgeschädigten Säuglingen und Kleinkindern in ihrem intuitiven Kommunikationsverhalten, insbesondere in ihrer Responsivität, zu stärken. Das MEP folgt dem Leitgedanken kommunikationsorientierter natürlich hörgerichteter Förderansätze für hörgeschädigte Kinder, die in Anlehnung an den normalen Spracherwerb die Wichtigkeit der natürlichen Eltern-Kind-Kommunikation im Alltag betonen, u.a. [2], [3]. Es kombiniert Gruppensitzungen (drei-sechs Elternteile) mit individuellen Einzeltrainings, in denen Video-Feedback eingesetzt wird. Einleitend und abschließend findet für jede Familie ein Beratungsgespräch statt, s.a. [12], [11]. Im Rahmen der Gruppensitzungen erhalten die Eltern die Möglichkeit zum Austausch mit anderen betroffenen Eltern. Ergänzend findet ein weiteres einmaliges Einzeltraining mit Video-Feedback während der frühen sprachlichen Phase (Auffrischungstraining zwischen 24 und 30 Monaten) statt.

Dass das Elternprogramm das Kommunikationsverhalten hörender Eltern gegenüber ihrem hörgeschädigten Kind nachhaltig positiv verändert und sich auch auf das vorsprachliche Lautieren der Kinder positiv auswirkt, konnte in der begleitenden wissenschaftlichen Interventionsstudie mittels videogestützter Interaktionsanalyse belegt werden [5].

Die vorliegende Studie untersuchte die Zufriedenheit der Eltern mit dem MEP als familienzentrierte Frühintervention nach UNHS. Wir berichten über die Beurteilung der Qualität des Elternprogramms aus der Elternsicht.

Material und Methoden

Allen Teilnehmern des MEP (N=23) wurden direkt nach Abschluss des Programms folgende zwei Fragebögen ausgehändigt: (a) der normierte Fragebogen zur Zufriedenheit mit der Behandlung: FBB [9] und (b) der selbst entwickelte Fragebogen zur Beurteilung des Münsteraner Elternprogramms (FB-MEP). Die Rücklaufquote betrug 100%. Die Daten von zwei Eltern mussten wegen inkonsequenter Beantwortung aufgrund nicht ausreichender schriftsprachlicher Deutschkenntnis ausgeschlossen werden.

Probanden

Die beiden Fragebögen wurden von 19 Müttern und 2 Vätern ausgefüllt, das Durchschnittsalter betrug zu Beginn des MEP 32,2 Jahre (SD=4,6). Die Akademikerrate beträgt 14,3%. Eine Mutter ist nicht muttersprachlich deutsch, in 4 Familien werden mindestens zwei verschiedene Sprachen gesprochen.

Bei den Kindern dieser Probanden lagen 3× eine leichtgradige, 11× eine mittelgradige und 7× eine hochgradige Hörschädigung vor. Bei 4 Kindern war diese Hörschädigung unilateral, bei 7 Kindern war eine Indikation zur Cochlea-Implantation gegeben. Das durchschnittliche Alter der Kinder betrug 11,5 Monate (SD=5,24), 4 Kinder hatten ein zusätzliches Risiko für eine Entwicklungsverzögerung.

Ergebnisse

Die Elternzufriedenheit im FBB beträgt 3,32 (SD=0,47; Skala 0–4) und im FB-MEP 3,23 (SD=0,48; Skala 0–4). Die Korrelation zwischen den Ergebnissen in beiden Fragebögen beträgt r= 0,70, p<.0005 (Pearson). In den offenen Fragen wurden insbesondere der Kontakt und Austausch mit anderen betroffenen Eltern sowie die konkrete Hilfestellung für die Kommunikation mit ihrem hörgeschädigten, noch vorsprachlichen Kind herausgestellt (incl. dem Video-Feedback). 88,9% der Eltern geben an, dass sich ihr Kommunikationsverhalten gegenüber ihrem Kind durch das MEP verändert hat, 95,7% würden das MEP anderen Eltern in einer vergleichbaren Situation weiterempfehlen. (Abbildung 1 [Abb. 1])

Diskussion

Die Elternurteile bestätigen die Wahl der didaktischen Mittel und des Settings des MEP, da die Eltern sowohl den Kontakt mit anderen betroffenen Eltern in der Gruppe als auch die individuelle Beratung im Einzeltraining besonders positiv bewerten. Die Eltern schätzen das Videoback als besonders hilfreich ein und unterstreichen damit aus Elternsicht die Bedeutung dieser Interventionstechnik, die bereits als effektive Maßnahme in anderen Elternprogrammen nachgewiesen wurde [1].

Das insgesamt positive Eltern-Feedback zu Durchführung und individuellem Nutzen zeigt, dass – neben dem nachgewiesenen Nutzen für förderliches Elternverhalten [5] – das MEP auch das Bedürfnis der Eltern nach früher qualifizierter und familienzentrierter Unterstützung bei Diagnosestellung im UNHS [13] erfüllt, auch vor und nach Cochlea- Implantation.


Literatur

1.
Bakermans-Kranenburg MJ, Van Ijzendoorn MH, Juffer F. Less is more: Meta-analyses of sensitivity and attachment interventions in early childhood. Psychol Bull. 2003;129(2):195. DOI: 10.1037/0033-2909.129.2.195 Externer Link
2.
Batliner G. Praxis der Frühförderung im ersten Lebensjahr. Sprache, Stimme, Gehör. 2008;32(01):26. DOI: 10.1055/s-2007-1004535 Externer Link
3.
Clark M. A Practical Guide to Quality Interaction with Children Who have a Hearing Loss. Plural Pub.; 2007.
4.
Dunst CJ, Bruder MB, Trivette CM, Hamby DW. Everyday activity settings, natural learning environments, and early intervention practices. Journal of Policy and Practice in Intellectual Disabilities. 2006;3(1):3-10. DOI: 10.1111/j.1741-1130.2006.00047.x Externer Link
5.
Glanemann R, Reichmuth K, Matulat P, am Zehnhoff-Dinnesen A. Muenster Parental Programme empowers Parents in Communicating with their Hearing-Impaired Infant.[eingereicht]
6.
Holzinger D, Fellinger J. Modern approaches of evidence-based family-centred early intervention for children who are deaf or hard of hearing. Sprache Stimme Gehör. 2013;37(1).
7.
Jackson CW. Family supports and resources for parents of children who are deaf or hard of hearing. Am Ann Deaf. 2011;156(4):343-362. DOI: 10.1353/aad.2011.0038 Externer Link
8.
Leonhardt A. Frühes Hören- Hörschädigungen Ab Dem Ersten Lebenstag Erkennen Und Therapieren. München: Ernst Reinhardt Verlag; 2012.
9.
Mattejat F, Remschmidt H. Fragebögen Zur Beurteilung Der Behandlung: FBB. Hogrefe Verlag für Psychologie; 1998.
10.
Moeller MP. Early intervention and language development in children who are deaf and hard of hearing. Pediatrics. 2000 Sep;106(3):E43.
11.
Reichmuth K, Embacher A J, Glanemann R. Münsteraner Elternprogramm zur Kommunikationsförderung bei Säuglingen und Kleinkindern mit Hörschädigung - Mein Kind ist hörgeschädigt!" Früh erkannt - und dann? Sprachförderung und Sprachtherapie in Schule und Praxis. 2013;2(2):140-142.
12.
Reichmuth K, Embacher AJ, Matulat P, am Zehnhoff-Dinnesen A, Glanemann R. Responsive parenting intervention after early diagnosis of hearing-impairment by UNHS – the concept of the Muenster Parental Programme.
13.
Young A, Tattersall H. Universal newborn hearing screening and early identification of deafness: Parents' responses to knowing early and their expectations of child communication development. Journal of Deaf Studies and Deaf Education. 2007;12(2):209-220. DOI: 10.1093/deafed/enl033 Externer Link