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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Exekutivfunktionen bei mehrsprachigen und sprachentwicklungsgestörten Vorschulkindern

Vortrag

  • corresponding author Lea Sarrar - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Berlin, Deutschland
  • author Laura Bastian - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Berlin, Deutschland
  • author Katrin Reichenbach - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Berlin, Deutschland
  • author Jochen Rosenfeld - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Berlin, Deutschland
  • author Manfred Gross - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Berlin, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocV10

doi: 10.3205/13dgpp19, urn:nbn:de:0183-13dgpp196

Veröffentlicht: 5. September 2013

© 2013 Sarrar et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Es existieren zunehmend Anhaltspunkte dafür, dass Kinder mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen (SSES) eingeschränkte Exekutivfunktionen (EF) zeigen (u.a. [3]). Bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern weisen Studien auf einen Vorteil in Bezug auf EF hin (u.a. [1]). Bislang fehlen bei Kindern mit SSES neuropsychologische Untersuchungen, die den Schwerpunkt auf eine valide, systematische Identifikation der SSES legen und die Patientengruppe über eine homogene Altersgruppe explorieren. Sowohl bei Kindern mit SSES als auch bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern ist zudem nur wenig zu speziellen EF, wie der kognitiven Flexibilität oder Verarbeitungsgeschwindigkeit, bekannt.

Material und Methoden: Gegenstand der Studie ist eine neuropsychologische Querschnittsuntersuchung zu EF bei Vorschulkindern mit SSES im Vergleich zu bilingual aufwachsenden Kindern (deutsch/englisch) und einer monolingual aufwachsenden gesunden Kontrollgruppe (KG) im Alter zwischen 4;00–5;11 Jahren. Neben einer sprachlichen Testbatterie [7] wird die Zweitfähigkeit bei den bilingualen Kindern erfasst und eine neuropsychologische Testbatterie zur Erfassung der Verarbeitungsgeschwindigkeit (HAWIVA-III), kognitiven Flexibilität (DCCS) und Inhibitionsprozessen (BISC) eingesetzt.

Ergebnisse: Bislang konnten 10 Kinder mit SSES, 17 bilinguale Kinder sowie 14 Kinder einer KG in die laufende Studie eingeschlossen werden. Die Daten befinden sich im Eingabe- und Auswertungsprozess.

Diskussion: Es sollen erste Ergebnisse vorgestellt und diskutiert werden. Wir nehmen an, dass mehrsprachig aufwachsende Kinder bessere EF zeigen als die beiden anderen Gruppen und dass Kinder mit SSES die stärksten Einschränkungen in den EF aufweisen.


Text

Hintergrund

Es existieren zunehmend Anhaltspunkte dafür, dass Kinder mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen (SSES) eingeschränkte Exekutivfunktionen (EF) zeigen (u.a. [3]). Bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern weisen Studien auf einen Vorteil in Bezug auf EF hin (u.a. [1]). Bislang fehlen bei Kindern mit SSES neuropsychologische Untersuchungen, die den Schwerpunkt auf eine valide, systematische Identifikation der SSES legen und die Patientengruppe über eine homogene Altersgruppe explorieren. Sowohl bei Kindern mit SSES als auch bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern ist zudem nur wenig zu speziellen EF, wie der kognitiven Flexibilität oder der Verarbeitungsgeschwindigkeit bekannt.

Material

Gegenstand der Studie ist eine neuropsychologische Querschnittsuntersuchung zu EF bei bilingualen Kindern (deutsch/englisch) im Vergleich zu einer monolingual aufwachsenden gesunden Kontrollgruppe (KG) im Alter zwischen 4;00-5;11 Jahren. Zusätzlich werden erste Daten zu neuropsychologischen Parametern bei Patienten mit SSES erhoben. Neben einer sprachlichen Testbatterie [7] wurde die Zweitsprachfähigkeit bei den bilingualen Kindern mittels Peabody Picture Vocabulary Test [2] sowie Expressive Vocabulary Test [8] erfasst. Ferner wurde eine neuropsychologische Testbatterie eingesetzt. Die Gruppen wurden hinsichtlich der Verarbeitungsgeschwindigkeit (Untertests aus Wechsler Preschool and Primary Scale of Intelligence-III, deutsche Version; [6]), der kognitiven Flexibilität (Dimensional Change Card Sort; [9]) sowie dem Arbeitsgedächtnis (Untertest aus Kaufman-Assessment Battery for Children, deutsche Version; [5]) vergleichend exploriert. Bei den bilingualen Kindern und der KG erfolgte zusätzlich eine Untersuchung von Inhibitionsprozessen (Untertest aus Bielefelder Screening zur Früherkennung von Lese- Rechtschreibschwierigkeiten; [4]).

Methoden

In die Querschnittsuntersuchung gingen bis dato 16 bilinguale Kinder (MAlter=5,1±0,6) und 17 Kinder einer KG (MAlter=5,0±0,5) ein. Die bilingualen und die KG wurden hinsichtlich Alter und Intelligenz gematcht. Zusätzlich wurden erste Daten zu Patienten mit SSES erhoben (n=9; MAlter=5,2±0,4). Zur Überprüfung von Gruppenunterschieden in Bezug auf die untersuchten EF erfolgten T-Tests für unabhängige Stichproben bzw. univariate varianzanalytische Berechnungen. Das Signifikanzniveau wurde a priori auf α=0.05 festgelegt.

Ergebnisse

Die Analysen zeigen zwischen den bilingualen Kindern und der KG signifikante Unterschiede in der Verarbeitungsgeschwindigkeit (p=0,034) und dem Arbeitsgedächtnis (p=0,006) mit jeweils besseren Leistungen bei den bilingualen Kindern. Dahingegen konnten keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen hinsichtlich der Inhibitionsprozesse beobachtet werden.

Die Berechnungen zu den Patienten mit SSES lassen auf Einschränkungen im Arbeitsgedächtnis schließen. Zudem ergeben sich Hinweise auf eine langsamere Verarbeitungsgeschwindigkeit im Vergleich zu den bilingualen Kindern.

Bezüglich der kognitiven Flexibilität offenbaren sich bei den drei untersuchten Gruppen vergleichbare Leistungen.

Diskussion

Die Ergebnisse bezüglich besserer Leistungen in der Verarbeitungsgeschwindigkeit und dem Arbeitsgedächtnis bei bilingualen Kindern stehen im Einklang mit Befunden u.a. von Bialystok [1], wobei in diesen Studien insbesondere eine stärkere kognitive Flexibilität festgestellt werden konnte. Derartige Befunde können durch die vorliegende Studie derzeit nicht repliziert werden. Jedoch kann die Annahme gestützt werden, dass sich Bilingualität positiv auf einige kognitive Funktionen bei Vorschulkindern auswirken kann.

Die untersuchten Patienten mit SSES scheinen lediglich im Arbeitsgedächtnis Einschränkungen im Vergleich zur der KG aufzuweisen, nicht jedoch in anderen EF. Grundlegende exekutive Dysfunktionen, wie sie beispielsweise von Henry et al. [3] berichtet werden, können anhand der vorliegenden Daten bisher nicht beobachtet werden.

Fazit

Die Ergebnisse zu den Leistungen in den EF bei bilingual aufwachsenden Kindern könnten dafür sprechen, Bilingualität, unter bestimmten Voraussetzungen, als Ressource anzusehen und insbesondere im Bildungswesen entsprechend weiter zu fördern.

Es wird angestrebt die Fallzahl der Patienten mit SSES zu erhöhen, um vertiefende Analysen durchzuführen und so konkretere Aussagen bezüglich der Leistungen in den EF bei dieser Patientengruppe generieren zu können.


Literatur

1.
Bialystok E. Global-local and trail-making tasks by monolingual and bilingual children: beyond inhibition. Dev Psychol. 2010 Jan;46(1):93-105. DOI: 10.1037/a0015466 Externer Link
2.
Dunn LM, Dunn DM. Peabody Picture Vocabulary Test (PPVT). Bloomington, MN: Pearson Assessments; 2007.
3.
Henry LA, Messer DJ, Nash G. Executive functioning in children with specific language impairment. J Child Psychol Psychiatry. 2012 Jan;53(1):37-45. DOI: 10.1111/j.1469-7610.2011.02430.x Externer Link
4.
Jansen H, Mannhaupt G, Marx H, Skowronek H. Bielefelder Screening zur Früherkennung von Lese- Rechtschreibschwierigkeiten. Göttingen: Hogrefe Verlag; 2002.
5.
Melchers P, Preuß U. Kaufman Assessment Battery for Children (K-ABC). Frankfurt am Main: Pearson Assessment; 2009.
6.
Petermann F, Hrsg. Wechsler Preschool and Primary Scale of Intelligence-III (WPPSI-III), deutsche Version. Frankfurt am Main: Pearson Assessment; 2011.
7.
Rosenfeld J, Wohlleben B, Rohrbach-Volland S, Gross M. Phänotypisierung von Vorschulkindern mit spezifischer Sprachentwicklungsstörung. Laryngorhinootologie. 2010 Apr;89(4):216-23. DOI: 10.1055/s-0029-1242795 Externer Link
8.
Williams KT. Expressive Vocabulary Test. San Antonio, TX: Pearson Assessments; 2007.
9.
Zelazo PD. The Dimensional Change Card Sort (DCCS): a method of assessing executive function in children. Nat Protoc. 2006;1(1):297-301. DOI: 10.1038/nprot.2006.46 Externer Link