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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Auditive Aufmerksamkeit und auditive Wahrnehmung: Sind es zwei Paar Stiefel?

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Monika Brunner - Phoniatrie/Pädaudiologie der HNO-Klinik Heidelberg, Heidelberg, Deutschland
  • author Nicole Stuhrmann - Phoniatrie/Pädaudiologie der HNO-Klinik Heidelberg, Heidelberg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocV9

doi: 10.3205/13dgpp17, urn:nbn:de:0183-13dgpp175

Veröffentlicht: 5. September 2013

© 2013 Brunner et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Es fehlte bis dato ein kurzes, objektives und normiertes Prüfverfahren zur auditiven Aufmerksamkeit innerhalb der AVWS Diagnostik.

Material und Methoden: Zur Normierung wurde der Untertest „Auditive Aufmerksamkeit“ aus dem HVS an 73 Kindergartenkindern im Alter von 5 bis 7 Jahren durchgeführt. Für den Aufmerksamkeitstest müssen die Kinder aus einem Zahlenstrang, der auf Tonträger vorliegt, jeweils die „eins“ heraushören und markieren. Es handelt sich um eine Vigilanz-Aufgabe zur Prüfung der auditiven Daueraufmerksamkeit. Zur externen Validierung wurde mit dem „Fragebogen zu Stärken und Schwächen“ (SDQ) korreliert, ebenso mit Einschätzungen der Erzieher und Untersucher sowie mit Variablen zur Sprachverarbeitung und auditiven Wahrnehmung aus dem HVS.

Ergebnisse: Werte von unter 6 Items (richtig erkannte minus falsch markierte Einser) fallen in den Bereich der Auffälligkeit (<Prozentrang 16). Niedrige Werte korrelieren signifikant mit folgenden Eltern-Aussagen im SDQ: „Das Kind ist unruhig, überaktiv, kann nicht lange stillsitzen“, „Das Kind ist ständig zappelig“. Die Erzieherinnen beurteilten die im Test auffälligen Kinder als „anhaltend in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt“, und sahen bei den Kindern eher „Gesamtprobleme“. In der klinischen Stichprobe korrelierten die Testwerte signifikant mit den Einschätzungen der Untersucher.

Wir fanden keinen Zusammenhang zur „Auditiven Merkspanne“, „Reime Erkennen“, „Silben Segmentieren“ „Phonematische Differenzierung“. Auch gab es keine Korrelationen zum Sprachverständnis im SETK.

Diskussion: Schlussfolgerung: Die auditive Aufmerksamkeit, wie sie im HVS geprüft wird, ist eine eigenständige Variable. Bei Verdacht auf AVWS kann sie jetzt objektiv und normiert überprüft werden.


Text

Einleitung

Zur Beurteilung von auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung ist es differentialdiagnostisch wichtig, die auditive Aufmerksamkeit mit zu erfassen. Man unterscheidet in der Aufmerksamkeitsforschung „selektive Aufmerksamkeit“, “phasische Aufmerksamkeit“, „geteilte Aufmerksamkeit“ und „Daueraufmerksamkeit“. Letztere interessiert im Zusammenhang mit AVWS, da bei ungenügender Daueraufmerksamkeit die Werte aus der Testbatterie zu AVWS anders zu interpretieren sind.

Standardisierte Tests hierzu, z.B. CPT, D2, KITAP sind überwiegend visueller Art, eine Ausnahme bildet der CAPT (Starzacher 2006). Dieser prüft jedoch das Erkennen einer Abfolge von auditiven Reizen (von Tiergeräuschen) und weist somit eine Konfundierung mit der Hör-Merkspanne auf. Das heißt: auffällige Ergebnisse in diesem Test könnten auf die verkürzte Hör-Merkspanne zurückzuführen sein und wären dann wiederum nicht unabhängig von einem Bereich der AVWS zu erfassen. Somit bietet sich ein Test zur Daueraufmerksamkeit an, bei dem nicht auf eine Reihenfolge, sondern einen isolierten auditiven Stimulus reagiert werden muss. Ein solcher Test existiert bis jetzt schon innerhalb des Heidelberger Vorschulscreenings zur auditiven Wahrnehmung und Sprachverarbeitung (HVS). Es stand jedoch die Validierung und Normierung dieses Untertests aus dem HVS noch aus.

Methode

Es wurden ca. 1200 Kindergartenkinder im Alter von 5 bis 7 Jahren getestet, sowie Untersucher, Eltern und Erzieher befragt. Die Normierung und Validierung fand im Zuge der Studie der Gesundheitsämter zur Neukonzeption der Einschulungsuntersuchung in BW 2007–2009 statt.

Für den Test müssen die Kinder aus einem Zahlenstrang jeweils die „eins“ heraushören und markieren. Es handelt sich um eine Vigilanz-Aufgabe zur Prüfung der auditiven Daueraufmerksamkeit. Zur externen Validierung wurde mit dem „Fragebogen zu Stärken und Schwächen“ (SDQ) korreliert, ebenso mit Einschätzungen der Erzieher und Untersucher sowie mit Variablen zur Sprachverarbeitung und auditiven Wahrnehmung aus dem Heidelberger Vorschulscreening zur auditiven Wahrnehmung und Sprachverarbeitung (HVS).

Ergebnisse

Werte von unter 6 Items (richtig erkannte minus falsch markierte Einser) fallen in den Bereich der Auffälligkeit (<Prozentrang 16).

Niedrige Werte korrelieren mit folgenden Eltern-Aussagen im SDQ: „Das Kind ist unruhig, überaktiv, kann nicht lange stillsitzen“, r=0,248 p=0,04, „das Kind ist ständig zappelig“ r=0,218 p=0,05

Die Erzieherinnen beurteilten die im Test auffälligen Kinder als „anhaltend in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt“, und sahen bei den Kindern eher „Gesamtprobleme“.

Wir fanden keinen Zusammenhang

  • zum auditiven Kurzzeitgedächtnis aus HVS, r=0,011, p=0,72,
  • zur phonematischen Differenzierung aus HVS, r=0,050, p=0,68.

Ein signifikanter positiver Zusammenhang zeigte sich zu folgenden Bereichen der Phonologischen Bewusstheit:

    • Silben Klatschen aus HVS r=0,237 p=0,001,
    • Reime Erkennen aus HVS, r=0,246, p=0,001.

Schlussfolgerung

Die Erfassung der auditiven Aufmerksamkeit in Abgrenzung zur auditiven Wahrnehmung ist mit den Test „Einser Heraushören“ aus dem HVS möglich. Die Testergebnisse sind unabhängig von der auditiven Diskrimination (Lautdifferenzierung) und dem auditiven Kurzzeitgedächtnis. Somit wird eine eigenständige Variable erfasst, welche mit dem Elternurteil durch den SDQ übereinstimmt. Es zeigen sich lediglich Zusammenhänge zu Bereichen der phonologischen Bewusstheit. Dieses muss bei der Interpretation der Werte berücksichtigt werden. Mit dieser Untersuchung ist der Test für das Vorschulalter normiert. Eine Erweiterung der Normen im Hinblick auf Schulkinder ist in Planung.


Literatur

1.
Brunner M, Pfeiffer B, Pröschel U. Entwicklung und Erprobung des Heidelberger Vorschulscreenings zur auditiven Wahrnehmung und Sprachverarbeitung (HVS). Folia Phoniatr Logop. 2005 Jan-Feb;57(1):48-58. DOI: 10.1159/000081961 Externer Link
2.
Brunner M, Pfeiffer B, Schlüter K, Steller F, Möhring L, Heinrich I, Pröschel U. Heidelberger Vorschulscreening zur auditiv-kinästhetischen Wahrnehmung und Sprachverarbeitung, (HVS). CD-Rom und Testhandbuch zur Testanweisung und Auswertung. Wertingen: Westra Elektroakustik GmbH; 2001.
3.
Starzacher E. Untersuchung modalitätsspezifischer Aufmerksamkeit bei gesunden Kindern und bei Kindern mit auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung mittels des Continuous Attention Performance Tests. [Inaugural-Dissertation]. Berlin: Charite – Universitätsmedizin; 2006.
4.
Schönweiler R, Nickisch A. Am Zehnhoff-Dinnesen A. Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen – Vorschlag für Behandlung und Management bei AVWS. HNO. 2012;60:359-68. DOI: 10.1007/s00106-011-2412-y Externer Link