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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Ist ein systematisches Sprachscreening mit dem SBE-3-KT sinnvoll? – Ergebnisse der PiK-Studie

Vortrag

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocV4

doi: 10.3205/13dgpp07, urn:nbn:de:0183-13dgpp070

Veröffentlicht: 5. September 2013

© 2013 Läßig et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Eine frühe Erkennung und Therapie von Sprachentwicklungsstörungen wird von vielen Arbeitsgruppen gefordert, u.a. um Suchodoletz [1]. Der Wert von Früherkennungsuntersuchungen i.S. von „Screenings“ wird jedoch kontrovers diskutiert. Valide Messinstrumente, um Sprachdefizite frühzeitig sicher diagnostizieren zu können, fehlen bislang.

Material und Methoden: Die Eltern einer Kohorte aus 4.343 Kindern aus den Einzugsgebieten Mainz, Worms, Kaiserslautern und Speyer wurden gebeten, den SBE-3-KT-Fragebogen auszufüllen. Es ergab sich ein Rücklauf von 1.127 Fragebögen. Das Ergebnis war bei 77,5% der Kinder unauffällig, 18,8% auffällig und 3,7% nicht auswertbar. Den Eltern aus Mainz, Worms und Kaiserslautern, bei deren Kind der SBE-3-KT auffällig war, wurde eine umfangreiche Sprachdiagnostik angeboten, die zunächst eine Zusatzvalidierung des SBE-3-KT ermöglichte. Bei 39 Kindern konnte die Sprachdiagnostik aus SETK 3-5 , PLAKSS-Screening sowie einer subjektiven Einschätzung des Kommunikationsverhaltens durch den Untersucher durchgeführt werden. Den Kindern, die in dieser Sprachuntersuchung keine altersentsprechende Sprachentwicklung zeigten und aus der Region Mainz stammten, wurde ein Therapieprogramm mit direkter, symptomspezifischer logopädischer Therapie und eingehender Elternberatung angeboten. Alle ursprünglich im SBE-3-KT auffälligen Kinder, unabhängig davon, ob sie im Rahmen der Studie behandelt oder nicht gezielt behandelt wurden, wurden um den 4. Geburtstag nachuntersucht.

Ergebnisse: Die Re-Diagnostik der therapierten Kinder weist auf eine Wirksamkeit sprachlicher Frühintervention hin. Die geringe Beteiligung an der ausführlichen Erstdiagnostik und der daraus resultierenden geringen Therapieteilnehmerzahl macht eine weitere Forschung zur Frühintervention nötig.

Diskussion: Sprachentwicklungsstörungen können bei 3-jährigen Kindern mit dem SBE-3-KT als preiswerte Screeningmethode erfasst werden. Für die Überprüfung der Wirksamkeit einer Frühintervention müssen weiter an größeren repräsentativen Stichproben Nacherhebung durchgeführt werden.


Text

Hintergrund

Eine frühe Erkennung und Therapie von Sprachentwicklungsstörungen wird von vielen Sprachexperten gefordert, u.a. durch die Arbeitsgruppe um von Suchodoletz [1]. Eine frühe Intervention könnte Entwicklungsdefizite abwenden, bzw. abmildern und somit Folgekosten/-schäden vermeiden. Der Wert von Früherkennungsuntersuchungen im Sinne von „Screenings“ wird dennoch kontrovers diskutiert. Außerdem fehlen bisher im deutschsprachigen Raum valide Messinstrumente, um Sprachdefizite frühzeitig sicher diagnostizieren zu können.

Material und Methode

Im Zeitraum von 2009 bis 2011 wurden im Rahmen der Studie „Prävention im Kindesalter“ (PIK) aus den Einzugsgebieten Mainz, Worms, Kaiserslautern und Speyer die Eltern einer Kohorte aus 4.343 Kindern gebeten, den Elternfragebogen zur Beurteilung der frühen sprachlichen Fähigkeiten ihres Kindes (SBE-3-KT [1]) auszufüllen (Abbildung 1 [Abb. 1]). Bei unauffälligem Ergebnis im Fragebogen wurde den Eltern lediglich dieses Ergebnis mitgeteilt. Den Eltern, bei deren Kind der SBE-3-KT auffällig war, wurde eine umfangreiche Sprachdiagnostik angeboten. Dies ermöglichte zum Einen eine Zusatzvalidierung des SBE-3-KT und zum Anderen eine detaillierte Untersuchung der sprachlichen Entwicklung des Kindes durch geschultes Fachpersonal. Bei 55 der auffällig gescreenten Kinder wurde somit eine standardisierte, spezifische Sprachdiagnostik bestehend aus SETK 3-5 [2], PLAKSS-Screening [3] sowie einer subjektiven Einschätzung des Kommunikationsverhaltens durch den Untersucher angeboten. Den Kindern, die in dieser Sprachuntersuchung keine altersentsprechende Sprachentwicklung zeigten und aus der Region Mainz stammten, wurde ein Therapieprogramm mit direkter, symptomspezifischer logopädischer Therapie und eingehender Elternberatung in unserer Einrichtung vorgeschlagen. Bei allen ursprünglich im SBE-3-KT auffällig gescreenten Kindern, unabhängig davon, ob sie im Rahmen der Studie behandelt wurden oder nicht, wurde um den 4. Geburtstag eine Nachuntersuchung angeboten.

Ergebnisse

Für den SBE-3-KT ergab sich ein Rücklauf von 1.127 Fragebögen. Die Auswertung ergab, dass 77,5% der Kinder im Screening sprachlich unauffällig erschienen, 18,8% auffällig und 3,7% der Fragebögen nicht auswertbar waren.

Bei 39 Kindern, die ein auffälliges Ergebnis im SBE-3-KT hatten, konnte die ausführliche Diagnostik durchgeführt werden. Bei 5 Kindern gelang aufgrund mangelnder Kooperation keine ausreichende Diagnostik. Bei weiteren 11 Kindern wurde der zunächst vereinbarte Termin vonseiten der Eltern nicht wahrgenommen (Abbildung 2 [Abb. 2]). Von den 39 im SBE-3-KT auffälligen Kindern waren 11 im Untertest des SETK 3-5 „Verstehen von Sätzen“, 8 Kinder bei der „Enkodierung grammatischer Strukturen“, 15 Kinder bei der „Morphologischen Regelbildung“ und 24 Kinder beim Untertest „Phonologisches Arbeitsgedächtnis“ auffällig. 18 Kinder hatten in der PLAKSS ein auffälliges Ergebnis. Insgesamt die Hälfte der untersuchten Kinder wäre in dieser klinischen Untersuchung als unauffällig eingeschätzt worden. Insgesamt 20 Kinder, die im SBE-3-KT auffällig waren, konnten im Alter von 3 und 4 Jahren getestet werden. Von diesen waren 5 bei beiden Untersuchungen auffällig, 7 bei beiden unauffällig. 4 Kinder waren im Alter von 3 Jahren auffällig, im Alter von 4 Jahren unauffällig, bei 4 weiteren Kindern war es umgekehrt. Bei den in Mainz therapierten Kindern zeigten sich 4 der 7 im Alter von 4 Jahren sprachlich altersgerecht. 3 Kinder blieben sprachlich auffällig, zeigten aber Verbesserungen verglichen mit der ersten Testung.

Diskussion

Sprachentwicklungsstörungen können bei 3-jährigen Kindern mit dem SBE-3-KT als kostenökonomische Screeningmethode erfasst werden. Ob wir mit dem SBE-3-KT alle sprachlich auffälligen Kinder erfasst haben, lässt sich aufgrund des Untersuchungsdesigns nicht sicher beantworten. Mit dem SBE-3-KT wurden auch Kinder erfasst, die bei der klinischen Untersuchung wenig später im Alter von 3 Jahren unauffällig waren. Dies mag zum Teil dadurch bedingt sein, dass teilweise einige Wochen zwischen dem Ausfüllen des Fragebogens und der klinischen Untersuchung verstrichen und nach Angaben der Eltern in dieser Zeit große sprachliche Fortschritte, im Sinne von „Late-Bloomers“, erreicht wurden.

Interessant war für uns, dass einige dieser Kinder bei der Untersuchung im Alter von 4 Jahren dann doch auffällig waren, obwohl sie im Alter von 3 Jahren bei der klinischen Untersuchung als unauffällig eingestuft wurden. Ähnliche Beobachtungen wurden bei einer australischen Langzeitstudie von Reilly 2010 [4], [5] publiziert. 11,8% von insgesamt 1.188 Kindern hatten im Alter von 4 Jahren eine Sprachentwicklungsstörung, obwohl sie im Alter von 2 Jahren sprachlich unauffällig gewesen waren. Bei den zuvor als „Late Talker“ eingestuften Kindern hatten in dieser Untersuchung 46% im Alter von 4 Jahren eine Sprachentwicklungsstörung.

Die geringe Beteiligung an der ausführlichen Erstdiagnostik und die daraus resultierende geringe Therapieteilnehmerzahl machen eine weitere Forschung zur Intervention bei 3Jährigen nötig. Für die Wirksamkeit eines Elterntrainings bei „Late Talkern“ konnte Buschmann [6] bereits die Wirksamkeit nachweisen, ebenso wie es für Interventionen bei älteren Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen [7] gezeigt wurde.

Kinder im Alter von 3 Jahren stellen Therapeuten vor besondere Herausforderungen. Bei ihnen ist ein spielerisches Vorgehen in kleinen therapeutischen Abschnitten notwendig. Außerdem können sie die Aufmerksamkeit noch nicht so lange halten und brauchen daher eher indirekte Interventionen und häufiger eine Pause. Eine Wiederholung der Therapieinhalte und ein ritualisierter Ablauf stellten sich als sinnvoll heraus. Die Kombination von direkter Therapie und intensiver Elternarbeit scheint uns eine geeignete Vorgehensweise.


Literatur

1.
Suchodoletz W, Kademann S, Tippelt S. Sprachbeurteilung durch Eltern. Kurzttest für die U7a (SBE3KT). 2009. Verfügbar unter: http://www.kjp.med.uni-muenchen.de/download/SBE-3-KT.pdf Externer Link
2.
Grimm H. Sprachentwicklungstest für drei bis fünfjährige Kinder (SETK 3-5). Göttingen: Hogrefe; 2001.
3.
Fox AV. PLAKSS – Psycholinguistische Analyse kindlicher Sprechstörungen. Frankfurt: Harcourt-Test Services; 2005.
4.
Reilly S, Wake M, Ukoumunne OC, Bavin E, Prior M, Cini E, Conway L, Eadie P, Bretherton L. Predicting language outcomes at 4 years of age: findings from Early Language in Victoria Study. Pediatrics. 2010 Dec;126(6):e1530-7. DOI: 10.1542/peds.2010-0254 Externer Link
5.
Reilly S. The early language in Victoria Study: Outcomes at 4 and 5 years. Vortrag beim Child Language Seminar (CLS) 2011; Newcastle; June 12-14th.
6.
Buschmann A, Jooss B, Rupp A, Feldhusen F, Pietz J, Philippi H. Parent based language intervention for 2-year-old children with specific expressive language delay: a randomised controlled trial. Arch Dis Child. 2009 Feb;94(2):110-6. DOI: 10.1136/adc.2008.141572 Externer Link
7.
Law J, Garrett Z, Nye C. Speech and language therapy interventions for children with primary speech and language delay or disorder. Cochrane Database Syst Rev. 2003;(3):CD004110. DOI: 10.1002/14651858.CD004110 Externer Link