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Technische Entwicklungen in der „Hör-Genetik“ – Genchips und andere Trends
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Veröffentlicht: | 6. September 2012 |
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Beginn einer neuen Ära: Umfassende genetische Abklärung angeborener Hörstörungen durch die diagnostische Anwendung neuer Sequenzierverfahren (next-generation sequencing)
Bis heute war eine umfassende genetische Abklärung angeborener Hörstörungen, die ja überwiegend genetisch bedingt sind, nicht denkbar: Mehr als 50 Gene sind allein für die nicht-syndromalen Formen bekannt. Lediglich Connexin-26-(GJB2)-Mutationen kommen relativ häufig vor (Mutationen bei 30–50% der Patienten), sodass eine initiale Analyse dieses Gens sinnvoll ist. Bei Patienten ohne GJB2-Mutationen sind ausgedehntere genetische Untersuchungen zumeist nicht sinnvoll, da die zahlreichen anderen Gene jeweils vermutlich nur für einen kleinen Teil der Erkrankungsfälle verantwortlich sind.
Die unter dem Begriff next-generation sequencing (NGS) zusammengefassten neuen Verfahren der Hochdurchsatz-DNA-Sequenzierung gestatten die simultane Analyse zahlreicher Gene bei einem Patienten und sind daher für die diagnostische Untersuchung genetisch extrem heterogener Erkrankungen wie Hörstörungen in hohem Maße geeignet. Darüber hinaus ermöglicht NGS die frühe Detektion übergeordneter Syndrome bei Patienten mit vermeintlich nicht-syndromaler Hörstörung.
Wir haben NGS für die Routinediagnostik der bekannten Hörstörungsgene einschließlich der Gene für die häufigsten und wichtigsten Syndrome (Usher-, Pendred-, Jervell und Lange Nielsen- und SANDD-Syndrom) etabliert (n=67). Die kodierenden Anteile dieser Gene (Exons) werden in Lösung angereichert, amplifiziert, simultan sequenziert (zunächst auf einer Roche 454 GS FLX-, jetzt auf einer Illumina MiSeq-Plattform) und mittels kommerzieller Software und einer eigens erstellten bioinformatischen „pipeline“ analysiert.
Wir identifizierten Mutationen in einer Vielzahl von Genen, darunter solche, die erst einmalig in der Literatur beschrieben wurden. Im Falle des Usher-Syndroms Typ 1 konnten wir krankheitsrelevante Mutationen vor dem Auftreten der Netzhautdegeneration detektieren. Die Sequenzierung auf der MiSeq-Plattform gestattete zudem durch die hohe Abdeckung (coverage) der Zielsequenzen über die Identifizierung von Punktmutationen hinaus die Detektion großer struktureller Mutationen (copy number variants, CNVs) in Usher-Genen, die der konventionellen Sequenzierung entgehen. Die Identifikation von Mutationen in mehreren Genen stellt eine besondere Herausforderung für die Interpretation dar: Hierzu werden verschiedene Strategien erläutert. Solche Konstellationen geben über die diagnostische Abklärung hinaus neue Einblicke in die Pathogenese hereditärer Hörstörungen.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass NGS mittlerweile für die genetische Routinediagnostik von Hörstörungen anwendbar und der herkömmlichen Sanger-Sequenzierung bzgl. der Zahl der analysierbaren Gene, Analysezeit, Kosten und Detektionsrate weit überlegen ist. Erstmals ist so die genetische Diagnosesicherung bei einem großen Teil der Patienten – und somit die frühe/präklinische Unterscheidung zwischen isolierter und syndromaler Hörstöung – möglich geworden, was eine verbesserte individuelle Betreuung der Patienten ermöglicht. Die Analyse des „Panels“ aller Hörstörungsgene erlaubt im wissenschaftlichen Kontext darüber hinaus die schnelle Identifizierung solcher Patienten/Familien, bei denen von Mutationen in noch unbekannten Hörstörungsgene auszugehen ist.