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Psychische Auffälligkeiten bei Kindern mit spezifischer Sprachentwicklungsstörung
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Veröffentlicht: | 6. September 2012 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Hintergrund: Kinder mit spezifischer Sprachentwicklungsstörung (SSES) können mit einer Reihe krankheitsspezifischer Folgebelastungen wie erschwerten Zugängen zu sozialen Kontakten und Beeinträchtigungen in der Affektregulation konfrontiert sein [5]. Die Auftrittshäufigkeit psychischer Auffälligkeiten bei sprachentwicklungsgestörten Kindern wird mit etwa 50% angegeben. Damit sind sprachentwicklungsgestörte Kinder etwa dreimal stärker von psychischen Auffälligkeiten betroffen als Kinder ohne Sprachentwicklungsstörung [2].
Derzeit besteht ein Mangel an Untersuchungen zu dieser Thematik bei Schulkindern. Ziel der vorliegenden Studie ist daher die Untersuchung von Kindern mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen im Altersbereich zwischen 6;0 und 8;11 Jahren hinsichtlich psychischer Auffälligkeiten.
Material und Methoden: In die Querschnittsuntersuchung gingen bis dato 21 männliche und 10 weibliche Patienten mit SSES (MAlter = 7,1 ± 0,7) sowie 20 weibliche und neun männliche gesunde Probanden (MAlter = 6,7 ± 0,7) einer Kontrollgruppe (KG) ein. Neben einer Testbatterie zur Überprüfung der für die SSES charakteristischen sprachlichen Bereiche [6] wurde die Child Behavior Checklist (CBCL; [1]) zur Überprüfung psychischer Auffälligkeiten eingesetzt.
Ergebnisse: Die statistischen Berechnungen zeigen tendenziell signifikante Unterschiede zwischen Kontroll- und Patientengruppe hinsichtlich des CBCL-Gesamtwerts (p=0.069; SSES > KG) sowie signifikante Unterschiede hinsichtlich externalisierenden Verhaltens (p=0.045; SSES > KG). Keine Unterschiede konnten bezüglich internalisierenden Verhaltens beobachtet werden.
Diskussion: Die Resultate weisen auf psychische Belastungen bei Schulkindern mit SSES hin und stehen im Einklang zu Befunden bei jüngeren Patientinnen und Patienten mit SSES. Die Ergebnisse sprechen dafür, bei Kindern mit SSES auf psychische Auffälligkeiten ein besonderes Augenmerk zu richten und z. B. grundsätzlich auch den CBCL durchzuführen.
Text
Einleitung und Hintergrund
Sprachentwicklungsstörungen zählen zu den am häufigsten diagnostizierten Entwicklungsstörungen im Kindesalter. Von Suchodoletz [7] geht von einer Prävalenz zwischen 5% und 8% aus. Betroffene Kinder können mit einer Reihe krankheitsspezifischer Folgebelastungen wie schulischen Misserfolgen, Frustrationen in der alltäglichen Kommunikation, belasteten Eltern-Kind-Beziehungen, erschwerten Zugängen zu sozialen Kontakten sowie Beeinträchtigungen in der Affektregulation konfrontiert sein. Als Reaktion können oppositionelles Verhalten oder Rückzugstendenzen entstehen [8]. Relativ einheitlich wird die Auftrittshäufigkeit psychischer Auffälligkeiten bei sprachentwicklungsgestörten Kindern mit etwa 50% angegeben [5]. Damit sind sprachentwicklungsgestörte Kinder etwa dreimal stärker von psychischen Auffälligkeiten betroffen als Kinder ohne Sprachentwicklungsstörung [4].
Eine Vielzahl der berichteten Studien konzentriert sich auf den vorschulischen Altersbereich. Insbesondere aber die Entwicklungsphase während der Einschulung konfrontiert Kinder mit neuen und bedeutenden Herausforderungen im sozialen sowie schulischen Kontext und scheint so von besonderer Bedeutung für die Erfassung und Entwicklung psychischer Belastungen. Ziel der vorliegenden Studie ist daher die Untersuchung von Kindern mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen im Altersbereich zwischen 6;0 und 8;11 hinsichtlich psychischer Auffälligkeiten.
Material
Neben einer Testbatterie zur Überprüfung der für die SSES charakteristischen sprachlichen Bereiche [6] wurde die Child Behavior Checklist (CBCL; [1]) zur Überprüfung psychischer Auffälligkeiten eingesetzt. Des Weiteren erfolgte eine Überprüfung kognitiver Fähigkeiten mittels Coloured Progressive Matrices [3].
Methoden
In die Querschnittsuntersuchung gingen bis dato 21 männliche und 10 weibliche Patienten mit SSES (MAlter = 7,1 ± 0,7) sowie 20 weibliche und neun männliche gesunde Probanden (MAlter = 6,7 ± 0,7) einer Kontrollgruppe (KG) ein. Beide Gruppen wurden hinsichtlich Alter und IQ gematcht. Zur Überprüfung von Gruppenunterschieden hinsichtlich psychischer Auffälligkeiten erfolgte eine multivariate Varianzanalyse. Das Signifikanzniveau wurde a priori auf α=0.05 festgelegt.
Ergebnisse
Die statistischen Berechnungen zeigen bezüglich der Skalen „sozialer Rückzug“ (p=0.004), „Aufmerksamkeitsprobleme“ (p=0.005), „dissoziales Verhalten“ (p=0.043), „aggressives Verhalten“ (p=0.035) sowie „soziale Probleme“ (p=0.061) des CBCL signifikante bzw. tendenzielle Gruppenunterschiede mit durchgehend stärkerer Symptomausprägung bei der Patientengruppe. Einzig für die Skala „körperliche Beschwerden“ (p=0.088) ergab sich eine stärkere Symptomausprägung bei der Kontrollgruppe. Weiterhin offenbaren sich tendenzielle bzw. signifikante Gruppenunterschiede hinsichtlich des CBCL-Gesamtwerts (p=0.065; SSES > KG) sowie externalisierenden Verhaltens (p=0.022; SSES > KG). Keine Unterschiede konnten bezüglich internalisierenden Verhaltens beobachtet werden.
Diskussion
Die Resultate weisen auf psychische Belastungen bei Schulkindern mit SSES hin und stehen im Einklang zu Befunden bei jüngeren Patientinnen und Patienten mit SSES. Dabei scheinen Kinder mit SSES vormerklich externalisierende Symptomausprägungen im Sinne oppositionellen Verhaltens aufzuweisen, die ihre weitere (schulische oder soziale) Entwicklung mutmaßlich erschweren können.
Fazit
Die Ergebnisse sprechen dafür, bei Kindern mit SSES auf psychische Auffälligkeiten ein besonderes Augenmerk zu richten und z.B. grundsätzlich auch den CBCL durchzuführen. Weiterhin erscheint eine multiprofessionelle Behandlung und ggf. kinder- und jugendpsychiatrische Abklärung wünschenswert.
Literatur
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- von Suchodoletz W. Umschriebene Sprachentwicklungsstörungen. Monatsschrift Kinderheilkunde. 2003; 151:31-57.