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29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

21.09. - 23.09.2012, Bonn

Revision des Elternfragebogens zur Wortschatzentwicklung im frühen Kindesalter: ELAN -R

Vortrag

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bonn, 21.-23.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12dgppV39

doi: 10.3205/12dgpp75, urn:nbn:de:0183-12dgpp751

Veröffentlicht: 6. September 2012

© 2012 Kiese-Himmel.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Ziel war es, eine Revision des Fragebogens „Eltern Antworten“ [1] zu entwickeln: den ELAN-R, um sprachretardierte Kinder zu erkennen, die einer weiterführenden Diagnostik (und ggf. anschließenden Interventionsmaßnahmen) zuzuweisen sind.

Material und Methoden: Studienkollektive: Die theoretisch basierte und empirisch abgeleitete Revision (n=73 Wortprotokolle gem. 1-wöchiger, elterlicher Tagebuchaufzeichnungen; Nennhäufigkeit der ELAN-Wörter gem. einer Evaluationsstudie: n=123) sowie Angabe der weiteren Wörter, die ein Kind spricht) wurde bundesweit testtheoretisch geprüft (n=138) und schließlich bundesweit normiert (n=512).

Ergebnisse: Der ELAN-R (gekürzter Anamneseteil; Wortschatz-Checkliste mit 319 Wörter, verteilt auf 18 Wortklassen bzw. lexikalische Sachfelder; Angaben zum Wortlernen bzw. zur Syntax) ist augenscheinlich und inhaltlich valide. Seine Konstruktvalidität konnte anhand der empirisch gewonnenen Ergebnisse auf dem Hintergrund verschiedener theoretischer Konstrukte erhärtet werden. Konkurrente Validität der Wortschatz-Checkliste mit dem SETK-2 Subtest „Produktion Wörter“: .63 (p=.000); mit dem SETK-2 Subtest „Produktion Sätze“: .69 (p=.001). Der ELAN-R ist reliabel (Cronbachs Alpha:.99; Split-Half: r=.97; MIC: r=.42). Aufgrund seiner Standardisierung inkl. der schriftlichen Instruktionen im Bogen ist von einer hohen Durchführungsobjektivität auszugehen. Die Auswertung der Wortschatz-Checkliste durch Summation der mit „Ja“ angekreuzten Wörter ist objektiv. Interpretationsobjektivität liegt durch den individuellen Ergebnisvergleich mit aktuellen geschlechtsspezifischen Altersnormen (in 3-Monatsabständen) vor. Der Altersanwendungsbereich wurde auf 18 bis 26 Monate eingeengt. Nützlichkeit, Zumutbarkeit, Fairness, Ökonomie (Nebengütekriterien) sind gegeben.

Diskussion: Aufgrund der psychometrischen Eigenschaften empfiehlt sich der Einsatz des ELAN-R gleichermaßen für klinische wie auch forschungsbezogene Aufgaben.


Text

Einleitung

Der Elternfragebogen ELAN [1] besteht aus einem Anamneseteil, einer standardisierten Wortschatz-Checkliste und Fragen zu Mehrwort-Kombinationen. Er findet in phoniatrisch/pädaudiologischen Abteilungen, kinderärztlichen, psychologischen, logopädischen/sprachtherapeutischen Praxen, sozialpädiatrischen Zentren und Frühförder- bzw. Beratungsstellen Anwendung. Da diagnostische Instrumente der regelmäßigen Aktualisierung bedürfen und die einzelnen Entwicklungsschritte des ELANs bis in das Jahr 2000 zurückgehen, sollte die Wortschatz-Checkliste hinsichtlich ihrer Aktualität empirisch überprüft werden. Damit wurde im Jahr 2008 begonnen. Auch sollten die Normen auf ihre Gültigkeit hin untersucht, ggf. aktualisiert, werden.

Methode

Daten zur Revision der Wortschatz-Checkliste wurden aus verschiedenen Quellen gewonnen:

1.
Informelle Elternangaben (Wortprotokolle von 1-wöchigen Tagebuchaufzeichnungen zu 73 Kindern (35 Jungen, 38 Mädchen im mittl. Alter von 20,8; SD 2,2 Monaten) aus Norddeutschland. Da die Rekrutierung von Eltern für Tagebuchprotokolle einem Selektionseffekt unterliegen kann, wurde eine weitere Datenquelle genutzt:
2.
die Nennhäufigkeit der Wörter in der ELAN-Wortschatz-Checkliste zu 123 Kindern aus dem süddeutschen Raum (68 Jungen, 55 Mädchen im mittl. Alter von 21,8; SD 3,3 Monaten) der Evaluationsstudie von Kiese-Himmel et al. [2] und
3.
die von den Eltern dieses Kollektivs ergänzten Wörter, die ihr Kind spricht (Kriterium zur Aufnahme eines Worts: Nennhäufigkeit von mindestens 10% in jeder Stichprobe). Derart überprüft konnten für die Revision 249 Wörter aus dem ELAN übernommen und 70 weitere Wörter hinzugefügt werden, verteilt auf 8 Wortkategorien und 10 nominale Sachfelder.

Die Revisionsform ELAN-R

Der entwicklungs- und sozial-anamnestische Fragebogenteil wurde verkürzt, einige Fragen wurden überarbeitet und die schriftlichen Instruktionen gem. der Vorschläge von Eltern aus der o.g. Evaluationsstudie von Kiese-Himmel et al. [2] optimiert.

Die Wortliste des ELAN-R unterscheidet sich vom ELAN durch die Hinzunahme der Kategorien „Soziale Routinen/Interjektionen/Antwortpartikel“ sowie „Umstands-, Binde- und Verhältniswörter“. Gelöscht wurden die unspezifische Kategorie „Sonstige Wörter“, die Kategorien „Wörter über die Zeit“ und „Bindewörter“, da sie keine Wörter mehr enthielten sowie das nominale Sachfeld „Gebäude und Orte“. Die Abfolge der Wortkategorien bzw. Sachfelder orientiert sich an der Nennhäufigkeit von „hoch“ zu „niedrig“.

Die Kategorie „Hilfs- und Modalverben“ wurde optisch neu gestaltet, da der Wechsel im Antwortformat im ELAN vom Ankreuzen zum Unterstreichen (der gesprochenen Hilfs- und Modalverben) Probleme bereitet hatte.

Nach der Wortschatz-Checkliste folgt eine Frage zur Kontinuität der Wortschatzentwicklung und die nächste Frage gilt der üblichen Äußerungslänge eines Kindes. Weiter sind drei typische Äußerungen eines Kindes zu notieren (aus denen die „mittlere Äußerungslänge“ berechnet werden kann).

Deckblatt und Auswertungsseite wurden gegenüber der Originalvorlage anwenderfreundlich überarbeitet.

Die Revision wurde bundesweit an 138 Kindern erprobt (mit Schwerpunkt Bundesland Niedersachsen). 18% der Kinder waren im Alter von 18–22 Monaten, 24% waren 23 Monate alt, 39% 24 Monate und 19% 25–26 Monate. 44% der Kinder waren Einzelkinder, der Rest hatte Geschwister.

Ergebnisse

Der Gesamtwortschatz betrug im Mittel 157,3 (SD 99,4) Wörter (Min 2; Max 319).

Der Mittelwert von Mädchen (157,2; SD 96,7; Min 4; Max 319) unterschied sich unwesentlich von dem der Jungen (156,1; SD 102,8; Min 2; Max 318).

Itemstatistiken: Die Schwierigkeitsindizes P der Wort-Items streuten von 13–99 mit einem mittleren Schwierigkeitsindex von 50 (SD 16,5). Der Großteil der Items hatte einen Schwierigkeitsindex zwischen P=20 und P=80. Die meisten Wörter hatten eine Trennschärfe von rpbis>.30, der mittlere Trennschärfekoeffizient rpbis betrug .65 (SD 0,14). „Fragewörter“, „Hilfs- und Modalverben“ sowie „Fürwörter und Artikel“ waren am schwersten, „Interjektionen/Antwortpartikel/Soziale Routinen“, das nominale Sachfeld „Leute“, die Kategorie „Umstands-, Binde- und Verhältniswörter“ sowie das Sachfeld „Spielzeuge, Spielplatz, Symbolfiguren“ am leichtesten.

Hauptgütekriterium Validität: Die Wortschatz-Checkliste des ELAN-R ist augenscheinlich valide, weil Wort-Items sich ganz offensichtlich auf das Zielmerkmal „Wortschatz“ beziehen. Aufgrund seiner theoretisch und empirisch fundierten Konstruktion ist der ELAN-R inhaltlich valide. Konstruktvalidität konnte anhand der empirisch gewonnenen Ergebnisse auf dem Hintergrund verschiedener theoretischer Konstrukte erhärtet werden, z. B. ansteigender Alterstrend. Zu weiteren Konstruktvalidierungen wird auf das Manual verwiesen, das noch 2012 erscheinen wird. Konkurrente Validität der Wortschatz-Checkliste liegt statistisch signifikant vor mit dem Kriterium FRAKIS-Wortschatz (n=17): r = 0.98 (p<.001); FRAKIS-K-Wortschatz (n=17): r = 0.93 (p<.01); SBE-2-KT (n=13): r = 0.93 (p<.001); SETK-2 „Produktion Wörter“ (n=34): r = 0.63 (p=.000); SETK-2 „Produktion Sätze“ (n=17): r= 0.69 (p=.001). Hauptgütekriterium Reliabilität: Cronbachs α beträgt in der Erprobungsstichprobe .99, was eine sehr hohe Reliabilitätsschätzung bedeutet. Zur Berechnung der Halbierungs-Reliabilität wurde die Wortschatzliste in zwei Testhälften geteilt (160 vs. 159 Items) und die Ergebnisse der Gesamtstichprobe dieser beiden Testhälften wurden miteinander korreliert (r=.97, Spearman-Brown). Cronbachs α aus Daten der Normierungsstichprobe (n=512) beträgt ebenfalls .99, sowohl für Jungen, für Mädchen als auch bei Aufteilung des Studienkollektivs in 3 Altersgruppen (18–20 Monate; 21–23 Monate; 24–26 Monate). Bei Aufteilung des Studienkollektivs in 5 Altersgruppen (18–19; 20–21; 22–23; 24–25; 26 Monate) änderte sich nichts in der Werteausprägung. Guttmans Split-Half Koeffizient beläuft sich für Jungen, Mädchen sowie für alle Kinder ebenfalls auf .99. Die Reliabilität blieb auch bei missing values erhalten. Hauptgütekriterium Objektivität: Aufgrund seiner Standardisierung und der Bereitstellung schriftlicher Instruktionen ist von einer hohen Durchführungsobjektivität auszugehen. Die Auswertung der Wortschatz-Checkliste ist durch Summation der mit „Ja“ angekreuzten Wörter objektiv. Interpretationsobjektivität liegt durch den individuellen Ergebnisvergleich mit Normen vor (aktuellen geschlechtsspezifischen Altersnormen in 3-Monatsabständen). Nebengütekriterien: Der ELAN–R ist nützlich, zumutbar hinsichtlich seiner Bearbeitungsdauer, enthält keine intimen Fragen und darf als fair bezeichnet werden. Er ist ökonomisch, denn er beansprucht in Durchführung, Auswertung und Interpretation relativ wenig Zeit und verursacht niedrige Kosten.

Daten für eine nahezu bundesweite Normierung (14 deutsche Bundesländer) wurden in Kitas, Krippen, Spielkreisen sowie in kinderärztlichen Praxen im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung U7 in dörflichen, klein-, mittel- und großstädtischen Einzugsgebieten gewonnen. Als Normen wurden Prozentrangplätze für drei Altersgruppen, getrennt nach dem Geschlecht, berechnet.

Mit dem ELAN-R liegt ein aktualisiertes psychodiagnostisches Instrument vor, das die Qualitätsanforderungen aus Konstruktionsperspektive erfüllt und gleichsam in Klinik, Frühförder- und Beratungsstellen wie auch in der Forschung Anwendung finden kann.


Literatur

1.
Bockmann AK, Kiese-Himmel C. Eltern Antworten (ELAN). Elternfragebogen zur Wortschatzentwicklung im frühen Kindesalter. Göttingen: Beltz; 2006.
2.
Kiese-Himmel C, Bockmann AK, Buschmann A, Jooss B. Der Elternfragebogen ELAN zur Wortschatzentwicklung im frühen Kindesalter im Urteil der Eltern. Prax Kinderpsychol Kinderpsychiatr. 2010;59:372-88.
3.
Bockmann AK, Kiese-Himmel C. Eltern Antworten - Revision (ELAN-R). Elternfragebogen zur Wortschatzentwicklung im frühen Kindesalter. Göttingen: Beltz; 2012.