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29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

21.09. - 23.09.2012, Bonn

Selbst- versus Fremdbeurteilung der Geschlechts-, Alterscharakteristik und Attraktivität der menschlichen Stimme

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Dirk Deuster - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, UKM, Münster, Deutschland
  • author Katja Sandmann - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, UKM, Münster, Deutschland
  • author Claus-Michael Schmidt - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, UKM, Münster, Deutschland
  • author Ken Roßlau - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, UKM, Münster, Deutschland
  • author Ruth Lang-Roth - Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Köln, Deutschland
  • author Arne Knief - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, UKM, Münster, Deutschland
  • author Peter Matulat - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, UKM, Münster, Deutschland
  • author Melanie Vauth - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, UKM, Münster, Deutschland
  • author Antoinette am Zehnhoff-Dinnesen - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, UKM, Münster, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bonn, 21.-23.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12dgppP14

doi: 10.3205/12dgpp34, urn:nbn:de:0183-12dgpp344

Veröffentlicht: 6. September 2012

© 2012 Deuster et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Unterschiede in der Selbst- und Fremdwahrnehmung der Stimme sind ein bedeutender Faktor bei Interventionen, die den Stimmklang verändern sollen wie der Stimmtherapie, -ausbildung und Phonochirurgie und gefährden bei fehlender Übereinstimmung den (subjektiven) Therapieerfolg.

Material und Methoden: Über Anzeigen in lokalen Zeitungen wurden Probanden ohne Stimmprobleme verschiedener Altersgruppen rekrutiert. Durchgeführt wurden eine Videostroboskopie und eine akustische Stimmschallanalyse einschließlich Tonaufzeichnung. Die Patienten füllten Fragebögen zur Selbsteinschätzung der Stimme gemäß der Fragestellung, den Voice Handicap Index, einen Depressions- (BDI) und Lebensqualitäts-Fragebogen (SF-12) aus. Die Tonaufzeichnungen wurden von 5 externen Ratern (3 Experten, 2 Laien; 3 Männer, 2 Frauen) beurteilt.

Ergebnisse: 26 Frauen und 21 Männer im Alter zwischen 20,1 und 81,7 Jahren (Mittelwert 50 J, Median 53) entsprachen den Einschlusskriterien. Das Geschlecht wurde von allen Ratern korrekt bestimmt. Das Altersrating zeigte bei allen Ratern hoch signifikante Korrelationen zum tatsächlichen Alter (r>0,6, p<0,01).

In der Rangkorrelation gab es bei den männlichen Probanden zwischen der Selbst- und Fremdeinschätzung der Attraktivität der Stimme signifikante Übereinstimmungen mit 4 Ratern, in der Beurteilung der „Männlichkeit“ mit 2 männlichen Ratern. Zwischen den Selbst- und Fremdeinschätzungen von Attraktivität und „Weiblichkeit“ der weiblichen Probanden gab es keine signifikanten Übereinstimmungen.

Diskussion: Während „objektive“ Parameter wie Alter und Geschlecht mit hoher Übereinstimmung geratet werden können, zeigen subjektive Stimmeigenschaften besonders weiblicher Stimmen deutliche Unterschiede in der Selbst- und Fremdbeurteilung. Entsprechend sollte bei Stimminterventionen das erreichbare und gewünschte „Stimmideal“ zwischen Therapeut und Patient vorab im Detail geklärt werden.


Text

Einleitung

Die Stimme ist mehr als ein Generator der Lautsprache, sondern sie vermittelt zusätzliche Inhalte wie Affekte und personenbezogene Informationen wie die Geschlechtszugehörigkeit und das Alter. Bei bestimmten Stimmstörungsbildern wird versucht, diese Eigenschaften des Stimmklangs zu modifizieren, beispielsweise bei inadäquater Sprechstimmlage bei Transsexuellen, Männern mit Mutationsstimmstörungen oder Presbydysphonien.

Unterschiedliche Studien haben die Stimme hinsichtlich der Geschlechts- und Alterscharakteristik sowie Attraktivität untersucht (z.B. [1], [2], [3]), wobei die Suche nach „objektiven“ Eigenschaften der Stimme im Vordergrund stand. Nun ist der Klang einer Stimme keine statische Eigenschaft und gerade dies ermöglicht es, mittels therapeutischer Interventionen Stimmparameter zu verändern.

Im Hinblick auf Interventionen zur Veränderung des Stimmklanges ist es wichtig, Unterschiede in der Selbst- und Fremdeinschätzung der Stimme zu erfassen, da diese bei fehlender Übereinstimmung den (subjektiven) Therapieerfolg gefährden können. Ziel dieser Studie war es daher, erstmals Unterschiede der Selbst- und Fremdbeurteilung der Stimme im Hinblick auf die Geschlechts-, Alterscharakteristik sowie Attraktivität zu untersuchen.

Methode

Über Anzeigen in lokalen Zeitungen wurden Probanden verschiedener Altersgruppen rekrutiert. Einschlusskriterien waren: keine Stimmprobleme im Alltag, keine depressive Störung, keine professionelle Stimmausbildung oder -therapie, kein chirurgischer Eingriff und keine Bewegungsstörungen im Bereich des Kehlkopfs. Durchgeführt wurden eine Videostroboskopie, eine Stimmfeldmessung und eine akustische Stimmschallanalyse mittels lingWave-System einschließlich Tonaufzeichnung. Die Patienten füllten Fragebögen zur Selbsteinschätzung der Stimme (Likert-Skala von 1 bis 7, 1=volle Zustimmung, 7=volle Ablehnung der Frage) gemäß der Fragestellung, den Voice Handicap Index (VHI), einen Depressions- (BDI) und Lebensqualitäts-Fragebogen (SF-12) aus. Die Tonaufzeichnungen wurden von 5 externen Ratern (3 Experten, 2 Laien; 3 Männer, 2 Frauen) beurteilt. Als Ablenker wurden den Ratern zu den anonymisierten Tonaufzeichnungen 24 Aufnahmen von Frau-zu-Mann- und Mann-zu-Frau-Transsexuellen hinzugefügt.

Ergebnisse

26 Frauen und 21 Männer im Alter zwischen 20,1 und 81,7 Jahren (Mittelwert 50 J, Median 53) entsprachen den Einschlusskriterien. Die mittlere Sprechstimmlage betrug 117,88 Hz (SD 22,85) bei den Männern und 196,61 Hz (SD 31,22) bei den Frauen. Der Stimmumfang umfasste 25,49 (SD 4,36) Halbtöne bei den Männern und 25,44 (SD 3,79) Halbtöne bei den Frauen.

66,7% der Männer und 57,7% der Frauen bejahten die Frage nach der Attraktivität der eigenen Stimme, 90,57% der Männer bejahten die „Männlichkeit“ ihrer Stimme und 76,9% der Frauen entsprechend die „Weiblichkeit“ (Angabe auf der Likert-Skala <4 bei „Meine Stimme klingt attraktiv/männlich/weiblich“). Die Grundfrequenz der Stimme korrelierte bei Männern mit der Selbsteinschätzung ihrer Stimme als „Männlich“ (τ=0.390, p=0,04, n=20) und „Attraktiv“ (τ=0.494, p=0,012, n=18), bei Frauen korrelierten diese Parameter nicht. 42,6% der Probanden schätzen das Alter ihrer Stimme als jünger ein als das Lebensalter.

Es zeigten sich keine Korrelationen zwischen der Einschätzung der Weiblichkeit der Stimme durch die Probandinnen selbst und die der Rater, wohingegen sich zwischen Selbsteinschätzung und Fremdeinschätzung der „Männlichkeit“ der Stimme bei den Männern signifikante Korrelationen bei 2 von 5 Ratern fanden, beide Rater waren männlich. Zwischen der Selbst- und Fremdeinschätzung der Attraktivität der Stimme bestanden zwischen den weiblichen Probanden und den Ratern keine, aber zwischen den männlichen Probanden und 4 der 5 Rater signifikante Korrelationen (Kendalls Tau Rangkorrelationen).

Das Rating des Alters korrelierte bei allen Ratern hoch signifikant mit dem tatsächlichen Alter (r>0,6, p<0,01). Probanden, die ihre Stimme als jünger als das Lebensalter einschätzten, wurden in der Fremdbeurteilung nicht signifikant häufiger jünger eingeschätzt.

Das Geschlecht wurde von allen Ratern korrekt bestimmt.

Diskussion

Während „objektive“ Parameter wie Alter und Geschlecht mit hoher Genauigkeit geratet werden können, zeigen subjektive Stimmeigenschaften besonders weiblicher Stimmen deutliche Unterschiede in der Selbst- und Fremdbeurteilung.

Bereits vorherige Untersuchungen ergaben, dass das Lebensalter anhand der Stimme gut eingeschätzt werden kann. Interessant bei unseren Ergebnissen ist, dass dies unabhängig davon geschieht, ob ein Proband seine Stimme als altersentsprechend oder jünger klingend einschätzt. Da es sich um ein Kollektiv ohne subjektive Stimmprobleme handelt, kann dieses Ergebnis nicht auf presbydysphone Patienten übertragen werden; es wäre daher interessant, entsprechende Untersuchungen zur Selbst- und Fremdeinschätzung bei dieser Patientengruppe durchzuführen.

Die Ergebnisse stützen die klinische Erfahrung in der Betreuung transsexueller Patienten: Frau-zu-Mann-Transsexuelle stellen sich nur selten wegen Stimmproblemen in der Stimmsprechstunde vor, Mann-zu-Frau-Transsexuelle regelmäßig. Die Absenkung der Sprechstimmlage durch die Testosterongabe scheint bei der ersten Gruppe „ausreichend“, ihre Stimme als männlich wahrzunehmen, wohingegen bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen selbst nach stimmerhöhenden Maßnahmen oft keine Zufriedenheit mit der eigenen Stimme besteht. Bei Männern und Frauen könnten daher unterschiedliche, möglicherweise auch nicht-akustische Faktoren für die Selbst- und Fremdeinschätzung der Stimme eine Rolle spielen.

Die Ergebnisse zeigen, dass bei Stimminterventionen das erreichbare und gewünschte „Stimmideal“ zwischen Therapeut und Patient vorab im Detail geklärt werden sollte.


Literatur

1.
Hillenbrand JM, Clark MJ. The role of f(0) and formant frequencies in distinguishing the voices of men and women. Atten Percept Psychophys. 2009 Jul;71(5):1150-66. DOI: 10.3758/APP.71.5.1150 Externer Link
2.
Brueckl M, Sendlmeier W. Junge und alte Stimmen. In: Sendlmeier W, Bartels A, eds. Stimmlicher Ausdruck in der Alltagskommunikation Mündliche Kommunikation. Bd 4. Berlin: Logos Verlag; 2005. p.135-63.
3.
Re DE, O'Connor JJ, Bennett PJ, Feinberg DR. Preferences for very low and very high voice pitch in humans. PLoS One. 2012;7(3):e32719. DOI: 10.1371/journal.pone.0032719 Externer Link