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29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

21.09. - 23.09.2012, Bonn

Hörstörungen bei MPS Patienten – Erprobung eines neuen Diagnostikkits

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Ulrich Jantzen - Universitätsmedizin Mainz, HNO-Klini, Schwerpunkt Kommunikationsstörungen, Mainz, Deutschland
  • author Christina Lampe - Universitätsmedizin Mainz, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, AG Lysosomale Speicherkrankheiten, Villa Metabolica, Mainz, Deutschland
  • author Jörg Reinke - Universitätsmedizin Mainz, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, AG Lysosomale Speicherkrankheiten, Villa Metabolica, Mainz, Deutschland
  • author Michael Beck - Universitätsmedizin Mainz, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, AG Lysosomale Speicherkrankheiten, Villa Metabolica, Mainz, Deutschland
  • author Annerose Keilmann - Universitätsmedizin Mainz, HNO-Klini, Schwerpunkt Kommunikationsstörungen, Mainz, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bonn, 21.-23.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12dgppP2

doi: 10.3205/12dgpp09, urn:nbn:de:0183-12dgpp097

Veröffentlicht: 6. September 2012

© 2012 Jantzen et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Hintergrund: Stoffwechselerkrankungen können Ursache einer kindlichen Hörstörung sein. Durch das Fehlen lysosomaler Enzyme zur Spaltung von Mukopolysacchariden kommt es zu einer Anhäufung der Mukopolysaccharide in den Zellen. Jüngere Kinder mit MPS entwickeln häufiger als gesunde Mittelohrprobleme, ab dem 2. Lebensjahrzehnt tritt häufig eine Innnenohrschwerhörigkeit auf. Bei der Erstvorstellung beim HNO-Arzt oder Phoniater und Pädaudiologen ist die Grunderkrankung meist noch nicht diagnostiziert.

Durch eine frühzeitige Diagnose der Erkrankung ist eine Behandlung der Erkrankung durch die intravenöse Gabe des fehlenden Enzyms oder durch eine Stammzelltransplantation möglich. Die Diagnose einer Mukoplysaccharidose wird durch eine Bestimmung der Enzymaktivität im Serum gestellt. Zum Screening ist die Untersuchung mit einer Trockenblutkarte möglich.

Derzeit wird die Mukopolysaccharidose oft erst spät diagnostiziert, weil keine Verdachtsdiagnose gestellt wird oder der Aufwand der Untersuchung überschätzt wird.

Material und Methoden: Geplant ist eine Mailingaktion an alle Fachärzte für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Phoniatrie und Pädaudiologie oder Sprach-, Stimm- und kindliche Hörstörungen. Zugesendet werden:

  • Eine Checkliste mit den häufigsten Symptomen
  • Ein Antwortfax mit der Möglichkeit Diagnostikkits anzufordern.

Das Diagnostikkit besteht aus einer Trockenblutkarte mit einem Anforderungsformular; Materialen zu Probenentnahme (Lanzette etc.) und einem voradressierten Rückumschlag.

Ergebnisse: Kurz nach Einreichen des Posters sollen alle HNO-Ärzte und Phoniater angeschrieben werden. Im Poster sollen Sinn und Zweck der Mailingaktion näher erläutert werden und ggf. schon Rückläufe berichtet werden.

Diskussion: Durch eine Steigerung des Bekanntheitsgrades der Erkrankung und den Einsatz von Trockenblutkarten könnte der Diagnosezeitpunkt einer MPS früher als bislang erfolgen und die Prognose der Betroffenen verbessert werden.


Text

Hintergrund

Seltene Stoffwechselerkrankungen wie Mukopolysaccharidosen können Ursache einer kindlichen Hörstörung sein. Durch einen genetisch bedingten Enzymdefekt kommt es zu einem Fehlen lysosomaler Enzyme und folglich zu einer Anhäufung von Mukopolysacchariden in den Zellen. Bei jüngeren Kindern, die an einer Mukopolysaccharidose (MPS) erkrankt sind, treten Mittelohrprobleme häufiger auf als bei Gesunden. Ab dem 2. Lebensjahrzehnt kommt häufig noch eine Innnenohrschwerhörigkeit hinzu.

Der Verdacht auf eine Mukopolysaccharidose besteht insbesondere bei der Symptom-Kombination aus:

  • rezidivierenden Infekten der oberen Atemwege
  • Leisten- und/oder Nabelhernien
  • auffälligen (vergröberten) Gesichtszügen (Abbildung 1 [Abb. 1])

Bei der Erstvorstellung beim HNO-Arzt oder Phoniater und Pädaudiologen ist die Grunderkrankung meist noch nicht diagnostiziert. Eine frühzeitige Diagnose der Erkrankung

ermöglicht auch eine frühzeitige Behandlung der Erkrankung durch entweder die intravenöse Gabe des fehlenden Enzyms (für MPS I, II und VI) oder bei einigen MPS Typen durch eine Stammzelltransplantation (MPS I). Die Diagnose einer Mukoplysaccharidose wird durch eine Bestimmung der Enzymaktivität im Serum gestellt. Zum Screening ist eine Untersuchung mittels Trockenblutkarte möglich.

Derzeit wird eine Mukopolysaccharidose oft erst spät diagnostiziert, weil keine Verdachtsdiagnose gestellt oder der Aufwand der Untersuchung überschätzt wird.

Wir führen eine Mailingaktion an alle Fachärzte für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Phoniatrie und Pädaudiologie oder Sprach-, Stimm- und kindliche Hörstörungen durch. Zugesendet werden:

Eine Checkliste mit den häufigsten Symptomen:
Checkliste Mukopolysaccharidose:

HNO-Krankheiten, -Symptome und -Eingriffe:

□ Rezidivierende Infekte der oberen Atemwege
□ Vergrößerte Adenoide und Gaumentonsillen
□ Makroglossie
□ Vergröberung der Gesichtszüge
□ Otitis media, oft mit Trommelfellperforation, Otitis externa
□ Schallleitungsschwerhörigkeit, später auch Innenohrschwerhörigkeit, häufig kombinierte Schwerhörigkeit
□ Frühe operative Eingriffe (vor allem Adenoidektomie, Paukendrainagen, Tonsillotomie, Tonsillektomie)
□ Tracheotomie aufgrund erschwerter Extubation

Andere früh auftretende Symptome und körperliche Probleme:

□ Inguinal- und Umbilikalhernien
□ Minderwuchs
□ Gelenkkontrakturen
□ Störung der motorischen, sprachlichen und geistigen Entwicklung
Ein Antwortfax mit der Möglichkeit zur Anforderung von:
□ Diagnostikkits
□ weiteren Informationen zu MPS
□ Patientenbroschüren

Das Diagnostikkit (Abbildung 2 [Abb. 2]) besteht aus einer Trockenblutkarte mit einem Anforderungsformular; Materialen zu Probenentnahme (Lanzette etc.) und einem voradressierten Rückumschlag.

Mittels Trockenblutkarten wird auf die MPS-Typen I, II und VI getestet.

Ergebnisse

Alle niedergelassenen HNO-Ärzte und Phoniater in Deutschland werden angeschrieben werden.

Im Poster sollen Sinn und Zweck der Mailingaktion näher erläutert werden und ggf. schon über Rückläufe erster Ergebnisse berichtet werden.

Diskussion

Mukopolysaccharidosen zählen zwar mit einer Häufigkeit von 1 auf 22.500 Geburten [1] zu den seltenen Erkrankungen, aufgrund der rezidivierenden Infekte der Ohren und oberen Atemwege im frühen Kindesalter ist es aber doch wahrscheinlich, dass ein Facharzt für HNO oder Phoniatrie und Pädaudiologie einen solchen Patienten behandeln wird. Für die meisten Formen der MPS steht mittlerweile eine Enzymersatztherapie zur Verfügung, die zu einer Besserung verschiedener Symptome führt oder zumindest ein Fortschreiten der Erkrankung aufhalten kann [2]. Bei MPS I (M. Hurler) kann eine rechtzeitige Knochenmarkstransplantation eine Therapieoption sein.

Viele Patienten werden wegen der rezidivierenden Infekte und der Obstruktion der oberen Luftwege sowie der Mittelohraffektionen adenotomiert oder tonsillektomiert. Für MPS-II-Patienten (M. Hunter) ergaben sich sowohl für die Adenotomie als auch für die Diagnosestellung ein medianes Alter von 3;05 Jahren, sodass also die Hälfte der Patienten adenotomiert wird, bevor die Diagnose gestellt wird [3], [4]. Bei Patienten mit MPS besteht aufgrund einer Einengung der oberen Luftwege ein erhöhtes Narkoserisiko, nicht wenige Patienten müssen wegen Extubationsschwierigkeiten tracheotomiert werden. Auch aus diesem Grund sollte die Diagnose möglichst früh gestellt werden.

Durch eine Steigerung des Bekanntheitsgrades der Erkrankung und den Einsatz von Trockenblutkarten könnte der Diagnosezeitpunkt einer MPS früher als bislang erfolgen und die Prognose der Betroffenen verbessert werden.


Literatur

1.
Muenzer J. The mucopolysaccharidoses: a heterogeneous group of disorders with variable pediatric presentations. J Pediatr. 2004 May;144(5 Suppl):S27-34. DOI: 10.1016/j.jpeds.2004.01.052 Externer Link
2.
Muenzer J, Wraith JE, Beck M, Giugliani R, Harmatz P, Eng CM, Vellodi A, Martin R, Ramaswami U, Gucsavas-Calikoglu M, Vijayaraghavan S, Wendt S, Wendt S, Puga AC, Puga A, Ulbrich B, Shinawi M, Cleary M, Piper D, Conway AM, Conway AM, Kimura A. A phase II/III clinical study of enzyme replacement therapy with idursulfase in mucopolysaccharidosis II (Hunter syndrome). Genet Med. 2006 Aug;8(8):465-73. DOI: 10.1097/01.gim.0000232477.37660.fb Externer Link
3.
Keilmann A, Malm G. Erkrankungen im Kopf-Hals-Bereich bei Patienten mit M. Hunter (Mukopolisaccharidose II). 81. Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Wiesbaden, 12.-16.05.2010. DOI: 10.3205/10hnod334 und http://www.egms.de/en/journals/cpo/2010-6/cpo000553.shtml Externer Link
4.
Mendelsohn NJ, Harmatz P, Bodamer O, Burton BK, Giugliani R, Jones SA, Lampe C, Malm G, Steiner RD, Parini R, . Importance of surgical history in diagnosing mucopolysaccharidosis type II (Hunter syndrome): data from the Hunter Outcome Survey. Genet Med. 2010 Dec;12(12):816-22. DOI: 10.1097/GIM.0b013e3181f6e74d Externer Link