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29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

21.09. - 23.09.2012, Bonn

Objektiver Nachweis interauraler Fusionsleistungen bei binauraler Cochlea Implantat-Versorgung

Vortrag

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  • corresponding author Stefan Gräbel - Universitätsmedizin Berlin – Charité, Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Berlin, Deutschland
  • author presenting/speaker Philipp Caffier - Universitätsmedizin Berlin – Charité, Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Berlin, Deutschland
  • author Manfred Gross - Universitätsmedizin Berlin – Charité, Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Berlin, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bonn, 21.-23.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12dgppV3

doi: 10.3205/12dgpp03, urn:nbn:de:0183-12dgpp034

Veröffentlicht: 6. September 2012

© 2012 Gräbel et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die beidohrige Cochlea Implantat-Versorgung hat sich in den letzten Jahren zur Standardversorgung bei beidseitiger hochgradiger Innenohrhörstörung entwickelt. Zu den Vorteilen der beidseitigen CI-Versorgung zählt neben der garantierten Versorgung des „besseren“ Ohres und der Ansprechbarkeit von beiden Seiten die Fähigkeit zum Richtungshören und richtungsselektiven Heraushören in Störschall, Leistungen, die aber erheblich vom Zustand der Hörbahn und der zentralen Verarbeitung abhängig sind. Daraus leitete sich die Fragestellung ab, ob die Fähigkeit zu interauralen Fusionsleistungen objektiv nachweisbar ist, was mit Hilfe der von McPherson und Starr 1995 publizierten binauralen Interaktionspotentiale (BIC) überprüft werden sollte.

Material und Methoden: An 21 normalhörenden und 29 mittel- bis hochgradig hörgestörten Jugendlichen wurden bei akustischer Stimulation über Kopfhörer BIC abgeleitet sowie bei 12 bilateral mit Cochlea Implantaten versorgten Probanden bei elektrischer Stimulation über die Implantate.

Verglichen wurden die BIC-Ergebnisse mit den Ergebnissen von Untersuchungen zur Lateralisationsfähigkeit infolge interauraler Pegel- und Zeitdifferenzen (ILD, ITD).

Ergebnisse: Von den 21 Normalhörenden ließen sich bei 20 BIC ableiten, 10 der 21 hörgestörten Probanden zeigten eindeutige BIC und 7 Anzeichen von BIC, während bei 4 Probanden mit Hinweis auf retrochochleäre Hörstörung keine BIC gefunden wurden. Von den 12 bilateral CI-versorgten Probanden konnten bei acht BIC nachgewiesen werden. In beiden hörgestörten Probandengruppen waren die Probanden ohne BIC auch unfähig zur Lateralisation infolge ITD.

Diskussion: Die binauralen Interaktionspotentiale sind bei Hörgestörten und CI-Trägern ebenso ableitbar wir bei Normalhörenden. Sie sind geeignet zum Nachweis der interauralen Fusionsleistungen, da es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von BIC und der Fähigkeit zur Lateralisation infolge ITD gibt. Für eine suffiziente Prognosestellung vor bilateraler CI- Versorgung wäre die Möglichkeit, BIC präoperativ ableiten zu können, interessant.


Text

Einleitung und Hintergrund

Die beidohrige Cochlea Implantat (CI)-Versorgung hat sich in den letzten Jahren zur Standardversorgung bei beidseitiger hochgradiger Innenohrhörstörung entwickelt. Zu den Vorteilen der beidseitigen CI-Versorgung zählen neben der garantierten Versorgung des „besseren“ Ohres und der Ansprechbarkeit von beiden Seiten die Fähigkeit zum Richtungshören und richtungsselektiven Heraushören in Störschall. Ferner führt sie aufgrund der binauralen Lautheitssummation zur Verringerung der zum Erreichen einer angenehmen Lautheit benötigten Stimulations-Ladung, was wiederum eine selektivere Stimulation und die Vermeidung unerwünschter Nebeneffekte wie z.B. Fazialismiterregung zur Folge haben kann.

Wagner et al. [1] zeigten, dass der auf binauraler Signalfusion basierende Nutzen beidseitiger Versorgung mit Hörgeräten oder Innenohrprothesen allerdings in erheblichem Maße von der Fähigkeit der Patienten zur Auswertung interauraler Zeitdifferenzen (ITD) und Pegeldifferenzen (ILD) abhängig ist. Bei vorhandener Fähigkeit können ITD und ILD wesentlich zur Wahrnehmung des Hörrichtungs-Azimuts beitragen und gegebenenfalls die Mithörschwelle bei Störgeräusch verbessern.

Daraus leitete sich die Fragestellung ab, ob die Fähigkeit zu binauraler Fusion objektiv nachweisbar ist. Da die binauralen Interaktionskomponenten in den frühen akustisch evozierten Potentialen (BIC) als unmittelbare elektrophysiologische Reaktion auf interaurale Fusion anzusehen sind [2], sollte deren Verwendbarkeit als objektiver Nachweis interauraler Fusion bei beidseitig CI-versorgten Patienten geprüft werden.

Material und Methoden

An 21 normalhörenden und 29 mittel- bis hochgradig hörgestörten Jugendlichen wurden bei akustischer Stimulation über Kopfhörer sowie bei 12 bilateral mit Cochlea Implantaten versorgten Patienten bei elektrischer Stimulation über die Implantate frühe akustisch evozierte Potentiale bei unilateraler Stimulation jeder Seite einzeln und bei synchroner bilateraler Reizgebung abgeleitet. Durch Differenzbildung der Summe der Reizantworten bei unilateraler Stimulation und der Antwort bei bilateraler Stimulation ergibt sich eine Kurve, die etwa im Zeitbereich der Jewett Welle V eine Interaktionskomponente enthält [3]. Dabei wurden die Stimuli mittels kategorialer Lautheitsskalierung auf mittellaute, seitengleiche Empfindung eingestellt.

Verglichen wurden die BIC-Ergebnisse mit den Ergebnissen von Untersuchungen zur Lateralisationsfähigkeit infolge interauraler Pegel- und Zeitdifferenzen (ILD, ITD).

Die Bestimmung der Lateralisationsfähigkeit erfolgte durch beidohrige Darbietung von Reizen mit interauralen Pegel- bzw. Zeitdifferenzen, während der Patient die empfundene Hörrichtung angab.

Ergebnisse

Von den 21 Normalhörenden ließen sich bei 20 Probanden BIC ableiten, in einem Fall waren die Potentiale so artefaktbehaftet, dass die Frage nach dem Vorhandensein von BIC nicht eindeutig beantwortet werden konnte. Alle 21 Probanden waren in der Lage zur Lateralisation infolge interauraler Pegel- und Zeitdifferenzen.

Zehn der 21 hörgestörten Probanden zeigten eindeutige BIC und sieben Anzeichen von BIC, während bei vier Probanden mit Hinweis auf retrochochleäre Hörstörung keine BIC gefunden wurden.

Von den zwölf bilateral CI-versorgten Probanden konnten bei acht BIC nachgewiesen werden.

In beiden hörgestörten Probandengruppen waren die Probanden ohne BIC auch unfähig zur Lateralisation infolge ITD, während alle Probanden zur ILD bedingten Lateralisation in der Lage waren.

Diskussion

Die Fähigkeit zum Richtungshören ist bei CI-Patienten grundsätzlich gegeben, da alle Probanden in der Lage waren, infolge interauraler Pegeldifferenzen zu lateralisieren. Es gibt aber sicher graduelle Unterschiede in Abhängigkeit von der Fähigkeit, auch infolge interauraler Zeitdifferenzen zu lateralisieren, was offensichtlich nicht allen Patienten möglich ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ortungsfähigkeit ausschließlich aufgrund von interauralen Pegeldifferenzen durch die Signalvorverarbeitung im Sprachprozessor nur bedingt nutzbar sein dürfte.

Es besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Auftreten binauraler Interaktionspotentiale und der Fähigkeit zur Lateralisation infolge interauraler Zeitdifferenzen.

Fazit

Die binauralen Interaktionspotentiale sind bei Hörgestörten und CI-Trägern ebenso ableitbar wir bei Normalhörenden. Sie sind geeignet zum Nachweis der interauralen Fusionsleistungen, da es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von BIC und der Fähigkeit zur Lateralisation infolge ITD gibt.

Für eine suffiziente Prognosestellung vor bilateraler CI- Versorgung wäre die Möglichkeit, BIC präoperativ ableiten zu können, interessant.


Literatur

1.
Wagner H, Gräbel S, Olze H. Sensorineurale Hörstörung und binaurale Wahrnehmung horizontaler Hörrichtungen. Z Audiol. 2008;47(2):52-9.
2.
Furst M, Levine RA, McGaffigan PM. Click lateralization is related to the ß component of the dichotic brainstem auditory evoked potentials of human subjects. J Acoust Soc Am. 1985;78(5):1644-51. DOI: 10.1121/1.392802 Externer Link
3.
McPherson DL, Starr A. Auditory time-intensity cues in the binaural interaction component of the auditoryevoked potentials. Hear Res. 1995;89:162-71. DOI: 10.1016/0378-5955(95)00134-1 Externer Link