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29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

21.09. - 23.09.2012, Bonn

Funktionelle Kernspintomographie (fMRT) in der Hördiagnostik

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 29. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bonn, 21.-23.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12dgppV2

doi: 10.3205/12dgpp02, urn:nbn:de:0183-12dgpp022

Veröffentlicht: 6. September 2012

© 2012 Keilmann et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: In der Diagnostik komplexer Hörstörungen wie beispielsweise der auditorischen Synaptopathie/Neuropathie sind Verfahren wünschenswert, die eine Lokalisation der Hörleistungen auf allen Ebenen der Hörverarbeitung und Hörwahrnehmung erlauben.

Ziel unserer Studie war die Entwicklung und Erprobung eines geeigneten Untersuchungsparadigmas für die funktionelle Kernspintomographie (fMRT).

Material und Methoden: 20 junge erwachsene Frauen, die nach Maßgabe ihrer subjektiven Einschätzung, der Ton- und Sprachaudiometrie sowie des dichotischen Hörtests nach Feldmann normal hörten und subjektiv normal sahen, und eine jugendliche Patientin mit einer einseitigen auditorischen Synaptopathie/Neuropathie wurden untersucht. Sie hörten jeweils zunächst einen der Einsilber des Freiburger Sprachtests und sahen etwas später eine visuelle Präsentation desselben oder eines anderen Items und hatten die Aufgabe zu entscheiden, ob Text und Bild übereinstimmten. Die fMRT-Sequenzen wurden nach der akustischen und nach der visuellen Präsentation erfasst.

Ergebnisse: Im Bereich des auditorischen Cortex zeigte sich bei Präsentation auf beiden Ohren jeweils contralateral die stärkere Aktivierung. Bei der weiteren Verarbeitung zeigte sich eine Dominanz links. Es ergaben sich Unterschiede zwischen rechts und links beim Einsatz unterschiedlicher Präsentationslautstärken. Bei der Patientin war auf dem betroffenen Ohr mit stark reduziertem Verstehen von Sprache in der Audiometrie ein gravierenderer Unterschied zwischen geringer und höherer Lautstärke sichtbar als bei den Probandinnen.

Diskussion: Wegen der Schwierigkeit einer Schallpräsentation im MRT wurden vielfach PET-Untersuchungen eingesetzt. Mittlerweile wurden schon verschiedene fMRT-Paradigmen zur Beantwortung von verschiedenen Fragen zur auditorischen Stimulation entwickelt. Auch für die Untersuchung von Patienten mit auditorischer Synaptopathie/Neuropathie scheint die fMRT eine aufwändige, aber lohnende Option.


Text

Einleitung

In der Diagnostik komplexer Hörstörungen wie beispielsweise der auditorischen Synaptopathie/Neuropathie sind Verfahren wünschenswert, die eine Lokalisation der Hörleistungen auf allen Ebenen der Hörverarbeitung und Hörwahrnehmung erlauben.

Der Nachweis auditorischer Leistungen im fMRT ist durch das laute Scannergeräusch erschwert und erfordert MRT-kompatible Kopfhörer. Während der gesamten Untersuchungszeit muss die Aufmerksamkeit des Untersuchten erhalten bleiben. Ziel unserer Studie war die Entwicklung und Erprobung eines geeigneten Untersuchungsparadigmas für die funktionelle Kernspintomographie (fMRT).

Material und Methode

20 junge erwachsene Frauen, die Rechtshänderinnen waren, und eine jugendliche Patientin mit einer einseitigen auditorischen Synaptopathie/Neuropathie wurden untersucht. Es wurde eine klinische Untersuchung von Kopf und Hals incl. Ohrmikroskopie, durchgeführt und das subjektive Hörvermögen, die Ton- und Sprachaudiometrie und der dichotische Hörtests nach Feldmann erfasst. Bei keiner der Probandinnen lag eine Hör- oder Sehstörung vor (letztere ggf. korrigiert durch Kontaktlinsen für die MRT). Die Untersuchungen erfolgten mit einer 12-Kanalspule an einem 3T MR Scanner. Eine anatomische Darstellung wurde mit einer 3D-MPRAGE-Sequenz (TR=1900 ms, TE=2,52 ms, TI=900 ms, isotrope Ortsauflösung von 1 mm3) durchgeführt. Die funktionellen Messungen erfolgten mittels EPI sequence (TR=8,95 s, TE=30 ms), wobei 49 Schichten das gesamte Hirn mit einer isotropen Auflösung von 3 mm3 abdeckten. Die akustischen Stimuli wurden in der geräuschfreien Periode präsentiert, die Signalakquisition mittels BOLD-Effekt ermittelt. Im MRT hörten die Untersuchten zunächst einen der Einsilber des Freiburger Sprachtests und sahen etwas später eine visuelle Präsentation desselben oder eines anderen Items und hatten die Aufgabe zu entscheiden, ob Text und Bild übereinstimmten. 20 Einsilber wurden jeweils rechts und links in einer höheren (bequem verstehbaren) und niedrigeren (noch verstehbaren) Lautstärke präsentiert.

Ergebnisse

Im Bereich des auditorischen Cortex zeigte sich bei Präsentation auf beiden Ohren jeweils contralateral die stärkere Aktivierung. Bei der weiteren Verarbeitung zeigte sich eine Dominanz links. Der Unterschied zwischen der leiseren und der lauteren Lautstärke zeigte sich bei Beschallung des rechten Ohres vor allem im Heschlschen Gyrus auf der linken Seite in dem Sinn, dass die stärkere Reizung mehr Aktivität erzeugte. Mit der hohen Lautstärke auf dem rechten Ohr wurde die maximale Aktivierung im linken Heschl-Gyrus, im linken Planum temporale und im angrenzenden Gyrus angularis (Wernicke), im Gyrus frontalis inferior (Broca), in supplementären motorischen Arealen und dem anterioren Zingulum erreicht. Homologe Regionen auf der rechten Hemisphäre wurden ebenfalls, aber geringer aktiviert. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Lautstärken zeigte sich im Heschl-Gyrus und dem angrenzenden Planum temporale. Die Stimulation des linken Ohres führte zu einer Stimulation in den contralateralen frühen akustischen Regionen, hingegen einer links stärkeren Aktivierung im Wernicke und Broca-Areal, wobei die Seitendifferenz geringer war.

Bei der Patientin war auf dem betroffenen Ohr mit stark reduziertem Verstehen von Sprache in der Audiometrie ein gravierenderer Unterschied zwischen geringer und höherer Lautstärke sichtbar.

Diskussion

Wegen der Schwierigkeit einer Schallpräsentation im MRT wurden vielfach PET-Untersuchungen eingesetzt. So zeigten Scott et al., dass phonologische Informationen im linken oberen temporalen Sulcus repräsentiert werden, dessen vorderer Teil nur aktiviert wird, wenn der Stimulus als sinnvolles Wort verstanden wird [1]. Gierek et al. (2007) beschrieben, dass sich das fMRT bei Cochlea-Implant-Kandidaten zum Nachweis einer Hörempfindung eigne, andererseits auch ohne tatsächliches Hören nur mit der Vorstellung Aktivierungen im auditorischen Cortex im fMRT nachgewiesen werden können [2]. Andere Untersucher [3] verzichteten auf eine akustische Stimulation und ließen Probanden verschiedenen Alters (20 bis 82) im MRT Bilder benennen. Sie sahen bei älteren Probanden eine stärkere Aktivierung im Broca- und Wernicke-Areal wie auch in der rechten homologen Region zum Wernicke-Areal.

Unsere Ergebnisse unterstützen die “right ear advantage”-Hypothese, d.h. dass das rechte Ohr eine engere Ankopplung an die höheren Verarbeitungszentren aufweist. Dies muss bei Patienten mit einseitigen Hörstörungen in der Interpretation von fMRT-Befunden berücksichtigt werden.

Die fMRT wurde ebenfalls zur Lokalisation bestimmter auditorischer Hirnleistungen eingesetzt. Hara et al. (2007) identifizierten im linken temporalen Cortex drei Regionen, die phonologische Information verarbeiten, davon eine für sprachspezifische Eigenschaften, z.B. für Laute, die nicht in allen Sprachen als verschieden gehört werden, wie das /r/ und /l/ für Japaner [4]. Die Gruppe um Wong [5], [6] untersuchten englisch sprechende Erwachsene, die lernen sollten, die Tonhöhe als Information bei tonalen Sprachen zu nutzen und fanden unterschiedliche Aktivierungen in der fMRT in Abhängigkeit davon, wie leicht die Individuen lernten. Bartel-Friedrich und ihre Gruppe [7] schlugen fMRT-Untersuchungen für Kinder mit AVWS vor.

Aufgrund unserer Untersuchung schließen wir, dass die auditorische Stimulation im MRT eine aufwändige, aber lohnende Option für die weiterführende Untersuchung komplexer Hörstörungen ist.


Literatur

1.
Scott SK, Blank CC, Rosen S, Wise RJ. Identification of a pathway for intelligible speech in the left temporal lobe. Brain. 2000 Dec;123 Pt 12:2400-6. DOI: 10.1093/brain/123.12.2400 Externer Link
2.
Gierek T, Paluch J, Kazmierczak B, Szyfter W, Klimczak-Golab L. Auditory functional MR imaging. 9th European Symposium on pediatric Cochlear implantation, Warsaw 14.-17.05.2007. Abstracts, p.27.
3.
Fridriksson J, Morrow KL, Moser D, Baylis GC. Age-related variability in cortical activity during language processing. J Speech Lang Hear Res. 2006 Aug;49(4):690-7. DOI: 10.1044/1092-4388(2006/050) Externer Link
4.
Hara NF, Nakamura K, Kuroki C, Takayama Y, Ogawa S. Functional neuroanatomy of speech processing within the temporal cortex. Neuroreport. 2007 Oct;18(15):1603-7. DOI: 10.1097/WNR.0b013e3282f03f39 Externer Link
5.
Wong PC, Perrachione TK, Parrish TB. Neural characteristics of successful and less successful speech and word learning in adults. Hum Brain Mapp. 2007 Oct;28(10):995-1006. DOI: 10.1002/hbm.20330 Externer Link
6.
Chandrasekaran B, Kraus N, Wong PC. Human inferior colliculus activity relates to individual differences in spoken language learning. J Neurophysiol. 2012 Mar;107(5):1325-36. DOI: 10.1152/jn.00923.2011 Externer Link
7.
Bartel-Friedrich S, Broecker Y, Knoergen M, Koesling S. Development of fMRI tests for children with central auditory processing disorders. In Vivo. 2010 Mar-Apr;24(2):201-9.