gms | German Medical Science

28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
2. Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie; Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie

09.09. - 11.09.2011, Zürich, Schweiz

Beeinflussung der Öffnungsdynamik des oberen Ösophagussphinkters durch neuromuskuläre Elektrostimulation: eine hochauflösungsmanometrische Untersuchung

Vortrag

Suche in Medline nach

  • corresponding author presenting/speaker Michael Jungheim - Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Hannover, Deutschland
  • Alexander Janhsen - Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Hannover, Deutschland
  • Martin Ptok - Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Hannover, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), 2. Dreiländertagung D-A-CH. Zürich, 09.-11.09.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc11dgppV07

doi: 10.3205/11dgpp10, urn:nbn:de:0183-11dgpp105

Veröffentlicht: 18. August 2011

© 2011 Jungheim et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Gliederung

Zusammenfassung

Hintergrund: In der Dysphagietherapie werden u.a. neuromuskuläre Elektrostimulationsverfahren (NMES) angewendet. Zwar konnten verschiedene Studien bereits den therapeutischen Nutzen belegen, es fehlen allerdings Daten, welche Komponenten des Schluckvorgangs durch die NMES modifiziert werden. Ziel der vorliegenden Studie war es, mit Hilfe der Hochauflösungsmanometrie des oberen Ösophagussphinkters (oÖS-HRM) Einflüsse der NMES auf den dynamischen Ablauf des Schluckvorgangs im pharyngo-ösophagealen Segment zu untersuchen.

Material und Methoden: Im Rahmen einer prospektiven Kohortenstudie wurden an 26 gesunden Probanden Schluckuntersuchungen durchgeführt und die Parameter Ruhedruck, Residualdruck, Relaxationszeit und Maximaldruck bestimmt. Zunächst wurden Referenzwerte ermittelt und danach Schluckversuche unter NMES (simultaneous single pulse paradigma) durchgeführt. Die Stimulation erfolgte mit eigen- und fremdapplizierten Stromimpulsen überschwellig, schwellennah und als Scheinstimulation. Ermittelte Daten wurden hinsichtlich signifikanter Unterschiede verglichen.

Ergebnisse: Bei der Fremdstimulation konnte eine Verlängerung der Relaxationszeit nachgewiesen werden, tendenziell zeigte sich dies auch bei der Eigenstimulation. Bei den Parametern Residualdruck und Maximaldruck zeigten sich keine statistisch relevanten Unterschiede.

Diskussion: Mit Hilfe der oÖS-HRM konnte bei gesunden Probanden im oÖS ein Einfluss auf den Schluckvorgang durch eine NMES nachgewiesen werden. Die Werte zeigen, dass insbesondere die Relaxationszeit, also die Zeit, in der ein Bolus den Sphinkter passieren kann, durch die NMES verlängert wurde. Dies ist aus klinisch-therapeutischer Sicht bemerkenswert, weil ein vorzeitiger Verschluss des oÖS zur Speiseretention und damit zu Aspiration führen kann. Eine NMES-induzierte Verlängerung der Relaxationszeit könnte zur besseren Boluspassage beitragen.


Text

Hintergrund und Zielsetzung

Schluckstörungen werden aufgrund des demographischen Wandels zunehmen. Der Apoplex stellt eine der häufigsten Ursachen für eine Dysphagie dar, die am meisten gefürchtete Komplikation der Dysphagie ist die Aspirationspneumonie. Eine effiziente Therapie dysphagischer Patienten wird deshalb eine immer wichtigere Rolle spielen. Neben der traditionellen Dysphagietherapie werden Elektrostimulationsverfahren mit verschiedenen Stimulationsparadigmen angewendet. Ihre therapeutische Wirkung konnte in wissenschaftlichen Studien bereits teilweise nachgewiesen werden. Die physiologischen Grundlagen werden aber kontrovers diskutiert. Ziel der vorliegenden Studie war es, mit Hilfe der von unserer Arbeitsgruppe entwickelten Hochauflösungsmanometrie des oberen Ösophagussphinkters (oÖS-HRM) Einflüsse der neuromuskulären Elektrostimulation (NMES) auf den dynamischen Ablauf des Schluckvorgangs im Übergang von der pharyngealen zur ösophagealen Phase zu untersuchen.

Methoden

Im Rahmen einer prospektiven Kohortenstudie wurden an 26 gesunden Probanden Schluckuntersuchungen durchgeführt und mit der oÖS-HRM die Parameter Ruhedruck, Restitutionsdruck, Relaxationszeit und maximaler Druck in der peristaltischen Welle bestimmt. Für die Messungen wurde das Solar GI HRM Messsystem der Firma Medical Measurement Systems mit einer nach unserer Maßgabe modifizierten Software und einem von uns entworfenen Solid-state Katheter der Firma Attikon (2 mm Durchmesser) verwendet. Die Elektrostimulation erfolgte mit dem VocaStim-Gerät der Firma Physiomed. Zunächst wurden Referenzwerte ermittelt und danach Schluckversuche unter NMES (simultaneous single pulse paradigm, niederfrequenter Impulsstrom, 5 ms Dauer) durchgeführt. Die motorische Schwelle wurde laryngoskopisch kontrolliert und die Stimulation mit eigen- und fremdapplizierten Stromimpulsen überschwellig, schwellennah und als Scheinstimulation durchgeführt. Die Schluckversuche erfolgten mit einem 2 ml Wasserbolus und wurden je Versuchsreihe 10-mal wiederholt. Die Mittelwerte der Messwerte wurden hinsichtlich signifikanter Unterschiede (Varianzanalyse für Messwertwiederholungen; SSPS 18.0) verglichen.

Ergebnisse

Die Referenzwertmessungen ergaben für den Ruhedruck 38,92 (±13,87) mmHg, für die Relaxationszeit 777,5 (±197) ms, für den Residualdruck -0,73 (±5,69) mmHg und für den maximalen Druck in der peristaltischen Welle 138,37 (±48,73) mmHg.

Bei den Versuchsreihen unter NMES zeigte sich bei der überschwelligen Fremdstimulation mit 817,72 ms eine signifikant längere Relaxationszeit als bei der Scheinstimulation mit 744,61 ms. Bei der Eigenstimulation zeigte sich in der Tendenz ebenfalls eine längere Relaxationszeit als bei der Scheinstimulation, der Unterschied war aber nicht signifikant. Bei den Parametern Residualdruck und Maximaldruck zeigten sich durch die Elektrostimulation keine statistisch relevanten Unterschiede. Eine große Variabilität fand sich bei den Ruhedrücken, die durch den allgemeinen Versuchsaufbau bedingt aber nicht direkt auf die Einflüsse der neuromuskulären Elektrostimulation zurückzuführen war.

Diskussion

In der hier vorgelegten Studie konnte durch ein objektives Messverfahren (oÖS-HRM) ein Einfluss auf den Schluckakt im Übergang von der pharyngealen zur ösophagealen Phase durch eine NMES bei gesunden Probanden nachgewiesen werden. Unseres Wissens ist dieses der erste hochauflösungsmanometrische Nachweis einer Beeinflussung des unwillkürlich ablaufenden Teils des Schluckvorgangs durch eine NMES. Die Werte zeigen, dass insbesondere die Relaxationszeit, also die Zeit, in der der Bolus den oberen Ösophagussphinkter passieren kann, durch die NMES mit dem hier gewählten Paradigma signifikant verlängert wurde. Dies ist aus klinisch-therapeutischer Sicht deshalb bemerkenswert, weil ein (relativ) zu früher Verschluss des oÖS zu einer Retention von Speise führen und damit einer Penetration und Aspiration Vorschub leisten kann. Eine Verlängerung der Relaxationszeit dagegen kann zumindest theoretisch zu einer besseren Boluspassage bei Dysphagiepatienten beitragen.

Da der gewählte Stromimpuls mit 5 ms sehr kurz war und auf das Kommando zum Abschlucken appliziert wurde, war eine exakte Koordination des Impulses auf die Öffnungs- bzw. die Verschlussphase des oÖS nicht möglich. Eine Beeinflussung des Residualdrucks bzw. des Maximaldrucks durch den Stromimpuls konnte deshalb nicht nachgewiesen werden. Die Untersuchungen machen folglich auch deutlich, dass das Problem der genauen schlucksynchronen Stromimpulsgabe noch nicht gelöst ist.

In weiteren Studien wird nun zu klären sein, bei welchen Dysphagietypen diese Art von NMES therapeutisch sinnvoll eingesetzt werden kann und in wie weit die Stimulationsparadigmen angepasst werden können, um gewünschte Effekte zu erzielen. Die Ergebnisse ermutigen aber auch, die Hochauflösungsmanometrie weiterhin zur Beurteilung von Einflüssen der NMES auf den Pharynx und den oÖS einzusetzen.