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27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 19.09.2010, Aachen

Der Einfluss von Implantationsalter und Bildungsstand der Eltern auf die Sprachentwicklung bei Kindern mit Cochlea Implantat

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Gisela Szagun - University College London, Vereinigtes Königreich
  • author Barbara Stumper - Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie, Leipzig, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Aachen, 17.-19.09.2010. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2010. Doc10dgppV46

doi: 10.3205/10dgpp67, urn:nbn:de:0183-10dgpp678

Veröffentlicht: 31. August 2010

© 2010 Szagun et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Forschungsergebnisse, die zeigen, dass der Spracherwerb bei CI Kindern besser verläuft, je früher die Kinder innerhalb der ersten vier Jahre implantiert wurden, haben soziale Faktoren meistens nicht berücksichtigt. Das Ziel unserer Studie war es, den Einfluss des Implantationsalters und des elterlichen Bildungsstandes auf die Sprachentwicklung zu untersuchen.

Material und Methoden: Mit dem Elternfragebogen FRAKIS wurde eine Querschnittstichprobe von 140 deutschsprachigen Kindern hinsichtlich ihres Wortschatz- und Grammatikerwerbs untersucht. Das Implantationsalter lag zwischen 6 und 47 Monaten. Erhebungszeitpunkte waren 12, 18, 24 und 30 Monate nach Implantation. Innerhalb einer Gruppe waren die Kinder hinsichtlich ihres Implantationsalters gleich verteilt. Maß des elterlichen Bildungsstandes war der Bildungsabschluss der Mutter.

Ergebnisse: Der Einfluss von Implantationsalter, Zeitdauer seit Implantation und elterlichem Bildungsstand wurde mit varianzanalytischen und korrelativen Verfahren überprüft. Es zeigten sich signifikante Fortschritte mit fortschreitender Zeitdauer auf den Sprachmaßen Wortschatz (F=25.80, p<.001), Flexionsmorphologie (F=21.67, p<.001) und Satzkomplexität (F=18.96, p<.001). Das Implantationsalter hatte keinen Effekt. Der elterliche Bildungsstand korrelierte signifikant mit Fortschritten in allen drei sprachlichen Gebieten, (r=.39, .29, .36, p<.01). Je höher der Bildungsstand, desto besser die sprachlichen Fortschritte.

Diskussion: Das Ergebnis des entscheidenden Einflusses von elterlichem Bildungsstand und Zeitdauer seit Implantation, d.h. Erfahrung mit Sprache, bestätigt ähnliche Ergebnisse anderer Untersuchungen [1], [2].


Text

Hintergrund

Forschungsergebnisse, die zeigen, dass der Spracherwerb bei CI Kindern besser verläuft, je früher die Kinder innerhalb der ersten vier Jahre implantiert wurden, haben soziale Faktoren oft nicht berücksichtigt, oder Effekte von Implantationsalter und Dauer von Erfahrung mit Sprache konfundiert. Das Ziel unserer Studie war es, den relativen Einfluss des elterlichen Bildungsstandes, der Dauer der Erfahrung mit Sprache und des Implantationsalters zu untersuchen. Wir gehen davon aus, dass ein höherer Bildungsstand der Eltern mit einer besseren Sprachentwicklung einhergeht. Ein Effekt des Implantationsalters sollte sich zusätzlich zum Effekt der Zeit seit Implantation, die der Zeitdauer von Erfahrung mit Sprache entspricht, zeigen.

Materialien und Methode

Mit dem Elternfragebogen FRAKIS wurde eine Querschnittstichprobe von 140 deutschsprachigen Kindern hinsichtlich ihres Wortschatz- und Grammatikerwerbs untersucht. Das Implantationsalter lag zwischen 6 und 47 Monaten (Mittelwert=22.1, SD=11 Monate). Erhebungszeitpunkte waren 12, 18, 24 und 30 Monate nach Implantation, jeweils 33, 35, 36 und 37 Kinder per Gruppe. Innerhalb einer Zeitgruppe waren die Kinder hinsichtlich ihres Implantationsalters gleich verteilt. Maß des elterlichen Bildungsstandes war der Bildungsabschluss der Mutter.

Ergebnisse

Die Effekte von Implantationsalter und Zeitdauer seit Implantation wurden mit varianzanalytischen Verfahren überprüft. Dazu wurden die Kinder in 4 Implantationsaltersgruppen eingeteilt: 6–11 Monate: 29 Kinder; 12–23 Monate: 58 Kinder; 24–35 Monate: 33 Kinder; 36–47 Monate: 21 Kinder. Per Sprachmaß wurden dreifaktorielle ANCOVAs mit den Faktoren Zeitgruppe (4), Implantationsgruppe (4) und Geschlecht (4) mit Bildungsstand als Kovariate gerechnet. Der Faktor Zeitgruppe war für alle drei Sprachmaße signifikant. Mit fortschreitender Zeitdauer zeigten sich signifikante Fortschritte auf den Sprachmaßen Wortschatz (F=20.51, p<.001), Flexionsmorphologie (F=21.64, p<.001) und Satzkomplexität (F=18.05, p<.001). Implantationsalter und Geschlecht hatten keinen Effekt. Abbildung 1 [Abb. 1] stellt Mittelwerte mit Standardfehler (SF) per Sprachmaß dar. Signifikante Anstiege zwischen aufeinanderfolgenden Gruppen sind mit *, + und ° markiert (p<.05). Die Werte per Skala sind z-transformiert (für Rohwerte s. [3]).

Der relative Einfluss von elterlichem Bildungsstand und Implantationsalter wurde mit partiellen Korrelationen (Pearson) überprüft. Signifikante Korrelationen zeigen, dass höherer elterlicher Bildungsstand mit besseren sprachlichen Fortschritten der Kinder einhergeht (s. Tabelle 1 [Tab. 1]). Die signifikante negative Korrelation zwischen Bildungsstand und Implantationsalter zeigt, dass Kinder von Eltern mit höherem Bildungsstand bei Implantation jünger sind.

Diskussion

Unsere Ergebnisse zeigen, dass bei Kindern, die bis zum Alter von vier Jahren implantiert werden, die Dauer der Erfahrung mit Sprache und der elterliche Bildungsstand den entscheidenden Einfluss auf Fortschritte im Spracherwerb haben. Das Implantationsalter spielt dabei keine Rolle. Der starke Einfluss des elterlichen Bildungsstandes wird durch andere, neuere Untersuchungen bestätigt [1]. Bei Implantation innerhalb der sensiblen Phase für sprachliches Lernen spielt das Alter eine geringe Rolle [1], [2]. Unsere Ergebnissse sprechen für eine epigenetische Auffassung einer sensiblen Phase für sprachliches Lernen, nach der der Aufbau eines Verhaltenssystems von Faktoren der Reifung und der Erfahrung bestimmt wird. Die Stärke des sozialen Einflusses wird auch deutlich dadurch, dass Eltern mit höherem Bildungsstand ihre Kinder früher implantieren lassen und weiterhin ihr Bildungsstand den Spracherwerb direkt beeinflusst. Aus unseren Ergebnissen folgt, dass eine Einschätzung des Einflusses von Implantationsalter nicht ohne Berücksichtigung des sozialen Umfeldes der Kinder geschehen darf.

Die Studie wurde gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Sz 41/11-1 und Sz 41/11-2).


Literatur

1.
Geers A, Moog J, Biedenstein J, Brenner C, Hayes H. Spoken language scores of children using cochlear implants compared to hearing age-mates at school entry. Journal of Deaf Studies and Deaf Education. 2009;14(3):371-85. DOI: 10.1093/deafed/enn046 Externer Link
2.
Szagun G. Einflüsse auf den Spracherwerb bei Kindern mit Cochlea Implantat. Hörgeschädigte Kinder Erwachsene Hörgeschädigte. 2010;47:8-36.
3.
Szagun G, Stumper B, Schramm AS. Fragebogen zur frühkindlichen Sprachentwicklung (FRAKIS) und FRAKIS-K (Kurzform). Frankfurt: Pearson Assessment; 2009. Availbale from: http://www.pearsonassessment.de Externer Link