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27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 19.09.2010, Aachen

Neuronale Korrelate der spasmodischen Dysphonie vor und nach Botulinumtoxin-Therapie, dargestellt mit fMRI

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Katrin Neumann - Schwerpunkt für Phoniatrie und Pädaudiologie, Goethe-Universität, Frankfurt am Main, Deutschland
  • Christian Kell - Klinik für Neurologie, Goethe-Universität, Frankfurt am Main, Deutschland
  • Philippe Dejonckere - Institute of Phoniatrics, University Medical Centre, Utrecht, The Netherlands

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Aachen, 17.-19.09.2010. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2010. Doc10dgppV34

doi: 10.3205/10dgpp50, urn:nbn:de:0183-10dgpp501

Veröffentlicht: 31. August 2010

© 2010 Neumann et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Botulinumtoxininjektion in die Vocalismuskulatur gilt als Therapie der Wahl bei der spasmodischen Dysphonie vom Adduktortyp. Obwohl sie nur peripher wirkt, ist es von Interesse, ob die mit ihr einhergehenden hirnfunktionellen Änderungen zentrale Kompensationen dieser fokalen Dystonie anzeigen, die perspektivisch auch andere Therapieansätze zulassen. Eine diesbezügliche fMRI-Studie zeigte keine prä-posttherapeutischen Aktivierungsunterschiede, verwendete allerdings spasmodizitätsreduzierende gehaltene Vokale [1]. Die hier vorgestellte fMRI-Studie benutzte natürlichere Phonationsbedingungen.

Material und Methoden: 13 Patienten mit spasmodischer Dysphonie durchliefen fMRI-Untersuchungen mit einem event-related Design bei lautem und leisem Lesen, bei Flüstern und einer motorischen Aufgabe (Pressen). Die Patienten wurden vor und nach bilateralen Botulinumtoxininjektionen in den M. vocalis gescannt.

Ergebnisse: Prätherapeutisch waren Mehraktivierungen der Patienten beim lauten im Vergleich zum leisen Lesen in der cerebellären Vermis zu erkennen; posttherapeutisch waren die Aktivitäten in das rechte Cerebellum und den rechten Sulcus temporalis superior lateralisiert.

Diskussion: Die Aktivierungsverlagerungen waren phonationsspezifisch und traten nicht während des Pressens oder Flüsterns auf. Die Ergebnisse bestätigen eine zentrale Rolle des Cerebellums bei spasmodischer Dysphonie, das zusammen mit Thalamus und Baslaganglien die Koordination von Stimm- und Sprachprozessen moduliert.

Schlüsselwörter: fMRI, spasmodische Dysphonie, Botulinumtoxin, zerebrale Aktivierung


Text

Einleitung und Hintergrund

Die spasmodische Dysphonie (SD) ist eine seltene Stimmstörung, die zu den fokalen Dystonien zählt. Diese gelten als Erkrankung der Basalganglien, die zu kortikalen und subkortikalen Dysfunktionen führen. Eine abnorme Faserintegrität im sensorimotorischen Kortex, rechtshemisphärisch im Knie der Capsula interna sowie im Tractus corticobulbaris und corticospinalis, im Nucleus lentiformis und im ventralen Thalamus sowie Abberationen der weißen und grauen Substanz im Cerebellum wurden gezeigt [2]. Bei SD sollen der kortikospinale und der kortikobulbäre Trakt und ihre Input- und Output-Strukturen (Cerebellum, Basalganglien) betroffen sein und die laryngeale Willkürmotorik stören. Funktionelle Neuroimaging-Studien zu anderen Dystonie-Formen belegten motorische kortikale Fehlfunktionen, insbesondere des sensorimotorischen Kortex (SMC) und prämotorischer Regionen.

Therapie der Wahl der SD vom adduktorischen Typ ist die Injektion von Botulinumtoxin(Btx) A in die Stimmlippenmuskulatur. Deren negative Begleiterscheinungen sind: Die Injektion ist belastend für die Patienten, „sitzt“ nicht immer, ist gefolgt von einer längeren Dysphoniephase, muss in mehrmonatigen Abständen wiederholt werden und wird nicht regelhaft von den Krankenkassen bezahlt. In bis zu 5% entwickeln die Patienten neutralisierende Antikörper bei repetitiver Btx-Injektion und haben dann ein kürzeres Intervall zwischen den Injektionen, mehr "boosters", eine höhere Dosis über die Zeit und pro Einzelinjektion. Therapiealternativen wären daher wünschenswert.

Die vorgestellte Studie untersucht die hirnfunktionellen Korrelate der SD mit fMRT vor einer Btx-Therapie und im Vergleich mit stimmgesunden Probanden, um genauere Information über das ihr zugrunde liegende Störungsbild zu erhalten, und nach einer Btx-Therapie, um ihre indirekten Effekte auf die Hirnaktivierung zu untersuchen und so Informationen über eine effektive zerebrale Kompensation der Dysphonie und mögliche Zielstrukturen für Therapiealternativen zu erhalten.

Material und Methode

13 SD-Patienten und 13 gesunde Kontrollprobanden durchliefen fMRI-Untersuchungen. Die Patienten wurden bei maximaler Dysphonie direkt vor einer bilateralen BtxA-Injektionen gescannt und einige Wochen danach in einer Phase optimaler Stimmgebung. Alle Teilnehmer erhielten eine phoniatrische Untersuchung. Anamnestisch wurden weitere neurologische sowie Stimm- und Spracherkrankungen ausgeschlossen. Stimmaufnahmen von 40 syntaktisch gleichartigen, kurzen, Sätzen, die frei von stimmhaften Konsonanten waren, wurden angefertigt und perzeptiv und akustisch analysiert. Zudem wurden der Voice Handicap-Index und die Lesedauer erhoben.

Bewertungsparameter des Perzeptionsratings waren Grade of dysphonia, Breathiness, Roughness, Intelligibility, Fluency, Voicing und Spasmodicity. Das Programm “Ampex” (Auditory Model Based Pitch Extractor) wurde für die akustische Analyse verwendet. Analysiert wurden: PVF/PVS, AVE, VL 90 parameter, Jitter, Corrected jitter, PFU, Tmax (Details s. [3]).

fMRT-Aufnahmen: Die visuell präsentierten Aufgaben bestanden (1) im lautem Lesen der oben beschriebenen Sätze (Präsentations- und Lesedauer 3 s, Interstimulus-Intervall 15,5 s), (2) dem geflüsterten Lesen der Sätze als Kontrastbedingung zu (1), (3) dem stillen Lesen der Sätze und (4) einem Pressen als sprachfreier motorischer Kontrastbedingung zur SD. Die fMRT wurde an einem 3T MR-Tomographen (Siemens Vision) mit einem event-related Design mittels schneller Echo-Planar Bildgebung durchgeführt. Nach der ersten Messung erhielten die Patienten eine BtxA-Injektion (3–10 IU Botox bzw. 5–20 MU Dysport je Stimmlippe).

Ergebnisse

Vorläufige Ergebnisse zeigen prätherapeutisch Mehraktivierungen der Patienten beim lauten im Vergleich zum leisen Lesen in der cerebellären Vermis. Posttherapeutisch waren die Aktivitäten in das rechte Cerebellum und den rechten Sulcus temporalis superior lateralisiert. Die Aktivierungsverlagerungen waren phonationsspezifisch und traten nicht während des Pressens oder Flüsterns auf.

Diskussion

Das Cerebellum ist in die Kontrolle motorischer Prozesse über den ventrolateralen Thalamus involviert. Es wirkt modulatorisch bei der Koordination von Stimm- und Sprachproduktion. Eine cerebellare Dysorganisation wird als kausal für Dystonien angenommen, was durch Befunde cerebellärer Dysfunktionen und Atrophie bei Dystonien belegt wird. Nagermodellen zufolge kann eine primäre cerebelläre Dysfunktion Dystonien hervorrufen. Andererseits kann eine Cerebellektomie und selektive Destruktion von Purkinjezellen Dystoniesymptome eliminieren. Simonyan et al. [2], die bei SD-Patienten eine erhöhte Diffusvität im mittleren Pedunculus cerebellaris und der tiefen cerebellären weißen und grauen Substanz sowie Mineralansammlungen post mortem fanden, nehmen an, dass mikrostrukturelle Abnormalitäten im Cerebellum und ventralen Thalamus den cerebello-thalamo-kortikalen modulatorischen Input schwächen.

In Basalganglien und Thalamus führt eine bei Dystonie vorliegende Reduktion des GABA-Metabolismus und der dopaminergen Rezeptorbindung zu einer Exzitation des Motorkortex. Basalganglienläsionen infolge von Dystonien wurden für 36% der Fälle beschrieben. Auch weisen Mineralakkumulationen in Putamen und Globus pallidus sowie Änderungen in der Diffusivität auf abnorme metabolische Prozesse in der Basalganglien-thalamo-kortikalen Schleife hin [2]. Dass wir keine Aktivitätsänderungen in den Basalganglia fanden, kann darin begründet sein, dass die Basalganglien lagebedingt keine besonders geeigneten Zielstrukturen für fMRI sind. Wie sich die posttherapeutischen Mehraktivierungen des rechten Sulcus temporalis superior erklären, ist noch unklar. Diese Region ist jedenfalls in die (meist visuelle) Perzeption biologischer Bewegungen einbezogen.

Die prä- zu posttherapeutischen Aktivierungsänderungen waren phonationsspezifisch und an phonierte Sprache gebunden. Insgesamt bestätigen die vorläufigen Ergebnisse eine zentrale Rolle des Cerebellums bei SD, das mit Thalamus und Baslaganglien die Koordination von Stimm- und Sprachprozessen moduliert.


Literatur

1.
Haslinger B, Erhard P, Dresel C, Castrop F, Roettinger M, Ceballos-Baumann AO. "Silent event-related" fMRI reveals reduced sensorimotor activation in laryngeal dystonia. Neurology. 2005;65:1562-9. DOI: 10.1212/01.wnl.0000184478.59063.db Externer Link
2.
Simonyan K, Tovar-Moll F, Ostuni J, Hallett M, Kalasinsky VF, Lewin-Smith MR, Rushing EJ, Vortmeyer AO, Ludlow CL. Focal white matter changes in spasmodic dysphonia: a combined diffusion tensor imaging and neuropathological study. Brain. 2008;131:447-9. DOI: 10.1093/brain/awm303 Externer Link
3.
Neumann KJ, Dejonckere PH. Voice related quality of life in spasmodic dysphonia: treatment effects and correlation with voice assessment. COST-Action 2103. Proceedings of the 3rd Advanced Voice Function Assessment International Workshop (AVFA2009), Madrid, May 18 to 20, 2009. Conference CD, ISBN: 978-84-95227-65-2, 2009.