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27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 19.09.2010, Aachen

Quantifizierung geringer Schallleitungsschwerhörigkeiten durch Messung der Distorsionsprodukte Otoakustischer Emissionen am Meerschweinchen

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Christoph Deppe - Ludwig-Maximilians-Universität München, Walter-Brendel-Zentrum, München, Deutschland
  • author Bernhard Olzowy - HNO-Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München, Deutschland
  • author Peter Kummer - Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie, Klinikum der Universität Regensburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Aachen, 17.-19.09.2010. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2010. Doc10dgppV10

doi: 10.3205/10dgpp16, urn:nbn:de:0183-10dgpp165

Veröffentlicht: 31. August 2010

© 2010 Deppe et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Bestimmung der Auslöseschwelle der Distorsionsprodukte Otoakustischer Emissionen (DPOAE) erlaubt eine frequenzspezifische Abschätzung der Hörschwelle [1].

Geringfügige Schallleitungsschwerhörigkeiten (SLS) beeinträchtigen die Genauigkeit der Methode möglicherweise erheblich. Nach modelltheoretischen Überlegungen eignet sich eine individuelle Optimierung der beiden Reizpegel L1 und L2, eine SLS zu erkennen und zu quantifizieren [5]. Sie baut darauf auf, dass Prinzipien einer optimalen Anregung des Innenohres, die durch die Gleichung L1=aL2+b beschrieben werden, bei einer SLS verletzt werden, wenn beide Reizpegel um denselben Betrag reduziert werden. Anhand der Änderung von L1, die notwendig ist, um eine optimale Anregung wiederherzustellen, lässt sich die SLS abschätzen.

Material und Methoden: Ziel dieser Untersuchung war es, die modelltheoretisch begründete Methode im Tiermodell zu überprüfen. An Meerschweinchen (n=11 Ohren) wurde experimentell eine SLS produziert und an Hand der compound action potentials (CAP) bei 8kHz quantifiziert (SLSCAP). Die Beträge der SLSCAP wurden mit den SLSDPOAE verglichen, die über eine individuell optimierte Auslösung der DPOAE abgeschätzt wurden.

Ergebnisse: SLS bis zu 12 dB konnten ausgewertet werden. SLSCAP und SLSDPOAE korrelierten gut (R=0,824, p=0,0018). Die mittlere Differenz betrug 4,1±2,6 dB.

Diskussion: Eine individuelle Reizpegeloptimierung hat das Potenzial, zu einer Verbesserung der objektiven Hörschwellenbestimmung mit DPOAE beizutragen.


Text

Einleitung und Hintergrund

Distorsionsprodukte otoakustischer Emissionen (DPOAE) sind Schallsignale, welche durch eine Anregung des Innenohres mit zwei Reiztönen evoziert werden, die sich in ihrer Frequenz (f1 und f2) und ihrem Pegel (L1 und L2) geringfügig unterscheiden. Eine optimale Anregung des Innenohres wird dabei durch ein bestimmtes Verhältnis der Primärtonpegel L1 und L2 erreicht, welches durch die Gleichung L1=aL2+b [9] beschrieben werden kann. Die so genannte Pegelschere L1=0,4L2+39 dB beschreibt ein solch für den Menschen optimales Pegelverhältnis [3], [4]. Mit jeder Abweichung vom optimalen L1-Wert nimmt bei unverändertem L2 der Pegel des Distorsionsproduktes bei 2f1-f2 ab.

Die Bestimmung der Auslöseschwelle der DPOAE erlaubt eine objektive, frequenzspezifische Abschätzung der Hörschwelle [1]. Evaluationen der Methode ergaben eine allgemein hohe Übereinstimmung zu tonaudiometrischen Verfahren, jedoch mit erheblichen Abweichungen im Einzelfall [1], [8]. Solche Abweichungen könnten durch geringfügige Schallleitungsstörungen (SLS) bedingt sein [2].

Nach modelltheoretischen Überlegungen eignet sich eine individuelle Optimierung der beiden Reizpegel L1 und L2 zur Erkennung und Quantifizierung einer SLS [5]: Im Falle einer SLS wird das Innenohr nicht mehr optimal angeregt, da beide Reizpegel in gleichem Maße – also L1:L2=1:1 – um den Betrag der SLS reduziert werden. Entsprechend der Pegelschere müsste L1 bei abnehmendem L2 jedoch im Verhältnis 0,4:1 angepasst werden. Anhand der Änderung ΔL1, die notwendig ist, um eine optimale Anregung wiederherzustellen, lässt sich die SLS abschätzen (SLS=ΔL1/(1–0,4)). Unter Verwendung von normativen DPOAE Daten normal hörender Probanden [4] wurde der Einfluss einer SLS auf die DPOAE Erzeugung untersucht, indem numerisch eine SLS simuliert wurde. Die Abweichung der mittels DPOAE abgeschätzten SLS von den Werten der simulierten SLS war gering (Median: –1,7 dB, Interquartilsbereich: –5 bis 3,2 dB) [5].

Ziel dieser Untersuchung war es, die modelltheoretisch begründete Methode im Tiermodell zu überprüfen.

Material und Methoden

An Meerschweinchen (n=11 Ohren) wurde experimentell durch Einbringen von Kochsalzlösung in das Mittelohr eine SLS erzeugt. Diese wurde an Hand der compound action potentials (CAP) bei 8 kHz quantifiziert (SLSCAP), indem die Differenz der initialen CAP Hörschwelle und der CAP Hörschwelle nach Erzeugung der SLS gebildet wurde. Um die Stabilität der SLS über die Messzeit zu überprüfen, wurde am Ende des Experiments erneut eine Hörschwellenbestimmung durchgeführt.

Die Beträge der SLSCAP wurden mit den Beträgen der SLS verglichen, die über eine individuell optimierte Auslösung der DPOAE abgeschätzt wurden (SLSDPOAE). Durch Verwendung eines modifizierten Aufsatzes einer DPOAE-Messsonde konnten DPOAE- und CAP-Messungen vor und nach Erzeugung einer SLS durchgeführt werden, ohne den Sondensitz zu verändern.

Vor und nach Auslösung der SLS wurden die Distorsionsprodukte 2f1-f2 für f2=8 kHz und f1=f2/1,2 gemessen. Für zunehmende Reizpegel L2 von 50 bis 64 dBSPL wurde L1 jeweils von 44 bis maximal 86 dBSPL erhöht. Nach Erzeugung der SLS wurde der Messbereich von L2 bis 70 dBSPL erweitert. Die Pegel der DPOAE vor und nach Erzeugung der SLS wurden dreidimensional gegen L1 und L2 dargestellt. Eine Beschränkung auf allein 8 kHz war notwendig, da bei anderen Frequenzen (f2=2 und 4 kHz) das DPOAE-Wachstumsverhalten nichtmonoton war und, wie bei Nagern bekannt ist [6], deutliche Einkerbungen (Notches) aufwies, die eine Auswertung verhinderten. Aus den DPOAE-Messdaten jedes einzelnen Ohres wurde die SLSDPOAE aus der Änderung ΔL1 ermittelt, welche notwendig war, um eine optimale Anregung des Innenohres und Maximierung des DPOAE-Pegels wiederherzustellen. Optimale Pegelkombinationen L1 und L2, die maximale DPOAE-Pegel erzeugten, wurden dabei durch Anpassung einer Regressionsgeraden erfasst. Aus dem Abstand der Regressionsgeraden ΔL1 vor und nach Induktion einer SLS wurde die SLSDPOAE nach SLS=ΔL1/(1-a), wobei der Wert „a“ den normativen Daten der Pegelschere entnommen wird, abgeschätzt.

Das Tierversuchsvorhaben wurde durch die Regierung von Oberbayern genehmigt (Reg-Nr. 209.1/211-2531-89/08).

Ergebnisse

11 Ohren konnten ausgewertet werden, bei denen die SLSCAP 3 bis 12 dB (Mittelwert: 8,1±2,9 dB) betrug. Für SLS >12 dB verhinderte ein zu geringer DPOAE Signal-Rausch-Abstand eine Auswertung. Die mittlere Hörschwelle betrug initial –0,1±2,6 dBSPL, nach Erzeugung der SLS 8,0±3,8 dBSPL und nach Durchführung der finalen DPOAE Messungen 9,5±3,8 dBSPL.

SLSCAP und SLSDPOAE korrelierten gut (R=0,824, p=0,0018). Bei Verwendung einer frequenzspezifischen Pegelschere für Meerschweinchen [7] zur Abschätzung der Schalleitungsstörung übertraf die SLSDPOAE die nach CAP-Messung ermittelte SLSCAP um im Mittel 4,1±2,6 dB, während sich bei Verwendung einer nicht-frequenzspezifischen Pegelschere für Meerschweinchen [7] eine Differenz von 6,5±3,3 dB ergab.

Diskussion

Eine objektive und frequenzspezifische Abschätzung der Hörschwelle über die Bestimmung der DPOAE-Auslöseschwelle kann durch eine individuelle Reizpegeloptimierung möglicherweise verbessert werden [5]. Der Reizpegel L1 wird dazu nicht fest nach der Pegelschere eingestellt, sondern im Einzelfall so optimiert, dass maximale Emissionspegel erzeugt werden. Eine optimale Anregung des Innenohres könnte so regelhaft erreicht bzw. wieder hergestellt werden, unabhängig davon, ob diese im Einzelfall durch eine SLS gestört ist. Eine SLS kann dabei erkannt und die Hörschwellenbestimmung korrigiert werden.

Grundlagen für die Anwendung dieser Methode wurden hier im Tiermodell experimentell mittels Induktion einer SLS überprüft. Die Korrelation der SLSCAP und der SLSDPOAE war gut (R=0,824, p=0,0018). Die Ergebnisse der Untersuchung bestätigen die modelltheoretisch begründeten Überlegungen.

Die mittlere Abweichung zeigte dagegen eine deutliche Abhängigkeit von der zur Abschätzung verwendeten Pegelschere (frequenzspezifische Pegelschere: 4,1±2,6 dB, nicht-frequenzspezifische Pegelschere: 6,5±3,3 dB). Um die Genauigkeit zu verbessern, müssen frequenzspezifische Daten von Pegelscheren beim Menschen in umfassenden normativen Untersuchungen erhoben werden.

Ob sich die Methode eignet, die Genauigkeit der Hörschwellenschätzung aus der Bestimmung der DPOAE-Schwelle zu verbessern, sollte dann bei Menschen, bei denen eine Hörschwellenbestimmung mit DPOAE auf eine erhöhte Hörschwelle deutet, überprüft werden.


Literatur

1.
Boege P, Janssen T. Pure-tone threshold estimation from extrapolated distortion product otoacoustic emission I/O-functions in normal and cochlear hearing loss ears. J Acoust Soc Am. 2002;111(4):1810-8. DOI: 10.1121/1.1460923 Externer Link
2.
Janssen T, Gehr DD, Klein A, Muller J. Distortion product otoacoustic emissions for hearing threshold estimation and differentiation between middle-ear and cochlear disorders in neonates. J Acoust Soc Am. 2005;117(5):2969-79. DOI: 10.1121/1.1853101 Externer Link
3.
Kummer P, Janssen T, Arnold W. The level and growth behavior of the 2 f1-f2 distortion product otoacoustic emission and its relationship to auditory sensitivity in normal hearing and cochlear hearing loss. J Acoust Soc Am. 1998;103(6):3431-44. DOI: 10.1121/1.423054 Externer Link
4.
Kummer P, Janssen T, Hulin P, Arnold W. Optimal L(1)-L(2) primary tone level separation remains independent of test frequency in humans. Hear Res. 2000;146(1-2):47-56. DOI: 10.1016/S0378-5955(00)00097-6 Externer Link
5.
Kummer P, Schuster EM, Rosanowski F, Eysholdt U, Lohscheller J. [The influence of conductive hearing loss on DPOAE-threshold. The effect of an individually optimized stimulation]. HNO. 2006;54(6):457-64, 466-7.
6.
Lukashkin AN, Russell IJ. Modifications of a single saturating non-linearity account for post-onset changes in 2f1-f2 distortion product otoacoustic emission. J Acoust Soc Am. 2002;112(4):1561-8. DOI: 10.1121/1.1502903 Externer Link
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Michaelis CE, Gehr DD, Deingruber K, Arnold W, Lamm K. Optimum primary tone level setting for measuring high amplitude DPOAEs in guinea pigs. Hear Res. 2004;189(1-2):58-62. DOI: 10.1016/S0378-5955(03)00373-3 Externer Link
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Schmuziger N, Patscheke J, Probst R. Automated pure-tone threshold estimations from extrapolated distortion product otoacoustic emission (DPOAE) input/output functions. J Acoust Soc Am. 2006;119(4):1937-9. DOI: 10.1121/1.2180531 Externer Link
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Whitehead ML, Stagner BB, McCoy MJ, Lonsbury-Martin BL, Martin GK. Dependence of distortion-product otoacoustic emissions on primary levels in normal and impaired ears: II. Asymmetry in L1,L2 space. J Acoust Soc Am. 1995;97(4):2359-77. DOI: 10.1121/1.411960 Externer Link