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27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

17.09. - 19.09.2010, Aachen

TEOAE auffällig, AABR unauffällig – Warnung oder Entwarnung?

Vortrag

  • corresponding author Peter Böttcher - Hessisches Kindervorsorgezentrum, Bereich Neugeborenen-Hörscreening, Frankfurt am Main, Deutschland
  • author Matthias Gramß - Hessisches Kindervorsorgezentrum, Bereich Neugeborenen-Hörscreening, Frankfurt am Main, Deutschland
  • Barbara Hofmann - Schwerpunkt für Phoniatrie und Pädaudiologie, Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Deutschland
  • author Katrin Neumann - Schwerpunkt für Phoniatrie und Pädaudiologie, Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Aachen, 17.-19.09.2010. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2010. Doc10dgppV01

doi: 10.3205/10dgpp01, urn:nbn:de:0183-10dgpp018

Veröffentlicht: 31. August 2010

© 2010 Böttcher et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die vom GB-A verabschiedete Kinder-Richtlinie sieht ein einstufiges Screening mittels eines AABR-Verfahrens oder ein zweistufiges Screening von TEOAE und – beim Ausbleiben des Nachweises von Emissionen – von AABR vor. Kontroll-Untersuchungen erfolgen immer beidseitig und immer mit dem AABR-Verfahren.

Material und Methoden: Im Zeitraum von ca. 2,5 Jahren (2005 bis 2008) wurden im hessischen Neugeborenen-Hörscreening-Programm insgesamt 92.963 Kinder mit dem zweistufigen Verfahren untersucht. Aus der Gruppe der insgesamt 264 konnatal hörgestörten Kinder trat innerhalb des Untersuchungsverlaufs bei 26 Kindern (9,9%) die Konstellation von kontrollbedürftigen TEOAE- und unauffälligen AABR-Ergebnissen auf dem jeweils gleichen Ohr auf (5 Kinder einseitig und 21 Kinder beidseitig hörgestört, insgesamt 47 Ohren).

Ergebnisse: Innerhalb der Kinder-Richtlinie wären diese Kinder nicht weiter untersucht worden. Das Einschlusskriterium erfüllten im primären Screening insgesamt sogar 2.401 Kinder. Bezogen auf die tatsächlich weiter untersuchten und als hörgestört diagnostizierten 12 Kinder ergibt sich eine Quote von 0,5%, oder 13 von 100.000 gescreenten Kindern, in Hessen von 6–7 Kindern pro Jahr, die trotz einer Hörstörung das primäre klinische Screening bestanden hätten. Werden zusätzlich auch die Fälle berücksichtigt, bei denen nur im Follow-up das Einschlusskriterium erfüllt wurde, verdoppelt sich diese Zahl.

Diskussion: Als Resultat müsste die Forderung nach einem generellen Kombi-Verfahren aus TEOAE und AABR, zumindest bei den Kontroll-Untersuchungen erhoben werden. Im Konsensuspapier der DGPP zum UNHS in Deutschland ist eine TEOAE-Messung im Rahmen einer Kontroll-Untersuchung nur optional vorgesehen.

Schlüsselwörter: Neugeborenen-Hörscreening, TEOAE, AABR, Kinder-Richtlinie


Text

Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss verabschiedete Kinder-Richtlinie zum Neugeborenen-Hörscreening sieht die Möglichkeit eines einstufigen Screenings mittels eines AABR-Verfahrens (automated auditory brainstem response) bei 35 dB oder eines zweistufigen Screening von TEOAE (transitorisch evozierten otoakustischen Emissionen) und – beim Ausbleiben des Nachweises einer Emission – von AABR vor. Kinder mit Risiko-Faktoren für konnatale Hörstörungen müssen grundsätzlich mit dem AABR-Verfahren untersucht werden. Eine unauffällige AABR-Kontrolle bedeutet immer, dass das Neugeborenen-Hörscreening bestanden wurde, unabhängig vom Resultat der TEOAE-Ergebnisse.

In einem Zeitraum von drei Jahren (04/2005 bis 04/2008) wurden vom Neugeborenen-Hörscreening in Hessen insgesamt 95.140 Kinder erfasst, von denen 92.963 Kinder (97,7%) mit dem zweistufigen Verfahren untersucht wurden. Aus dieser Gruppe wurde bei 264 Kindern (0,28%) eine angeborene und behandlungsbedürftige Hörstörung diagnostiziert.

Bei 26 Kindern (9,9%) aus der Gruppe der Kinder mit einer Hörstörung trat innerhalb des Untersuchungsverlaufs die Konstellation von kontrollbedürftigen TEOAE- und unauffälligen AABR-Ergebnissen auf dem jeweils gleichen Ohr auf (Einschlusskriterium). Bei 12 Kindern war diese Konstellation bereits im primären klinischen Screening erfüllt, bei 14 Kindern erst im Laufe einer Follow-up-Untersuchung.

Unter Einhaltung der Kinder-Richtlinie wären diese Kinder nicht weiter untersucht und ihre Hörstörung nicht diagnostiziert worden. Danach gilt ein unauffälliges AABR-Ergebnis gegenüber einem kontrollbedürftigen TEOAE-Ergebnis als höherwertig und erübrigt weitere Messversuche.

Das Einschlusskriterium wurde im primären Screening bei insgesamt 2.401 von 92.963 Kindern erfüllt (2,58%). Das sind 37,1% aller Kinder bei denen innerhalb des Screenings tatsächlich beide Messverfahren (TEOAE- und AABR-Messungen) in Anspruch genommen werden mussten. Der Großteil dieser Kinder wurde auf Grund der Screening-Strategie aber keiner weiteren Kontrolle unterzogen.

Die Quote der tatsächlich weiter untersuchten und nachfolgend als hörgestört diagnostizierten 12 Kinder lag bei 0,5%, das heißt bei 13 von 100.000 gescreenten Kindern. Die Verteilung nach dem Grad der Hörstörung ergab: gering bis mittelgradig – 1 Kind; mittelgradig – 9 Kinder; hochgradig – 1 Kind; hochgradig, an Taubheit grenzend – 1 Kind.

Für das Bundesland Hessen mit etwa 50.000 Geburten pro Jahr würden innerhalb dieser Screening-Strategie bereits 6–7 Kinder jährlich das primäre Neugeborenen-Hörscreening bestehen, obwohl eine behandlungsbedürftige Hörstörung vorläge. Unter Berücksichtigung auch der Fälle, bei denen das Einschlusskriterium erst innerhalb des Follow-up erfüllt wurde, erhöht sich die Gruppe um weitere 14 Kinder. Innerhalb der hessischen Follow-up-Untersuchungen müssen sowohl TEOAE als auch AABR regelhaft und vollständig abgeklärt werden.

In einer multizentrischen Studie stellten White et al. [1] vergleichbare Ergebnisse vor. In einer Grundgesamtheit von 86.634 Kindern erfüllten 3.462 Kinder (4,0%) das Kriterium kontrollbedürftiger TEOAE und unauffälliger AABR. Von den 973 dort systematisch nach untersuchten Kindern wurde bei 21 Kindern eine Hörstörung diagnostiziert. In Hessen waren nur 167 Kinder einer Kontrolluntersuchung unterzogen worden, von denen 26 Kinder eine Hörstörung aufwiesen.

In einem alleinigen AABR-Screening kann durch das Fehlen des TEOAE-Ergebnisses ein Hinweis für diesen Anfangsverdacht nicht entstehen. Als Resultat müsste die Forderung nach einem generellen Kombi-Verfahren aus TEOAE und AABR sowohl beim Primärscreening als auch bei den Kontroll-Untersuchungen erhoben werden. Die Umsetzbarkeit in die Praxis erscheint unter den gegenwärtigen Bedingungen des Neugeborenen-Hörscreenings in Deutschland allerdings fraglich. Zumindest beim Vorliegen von Risikofaktoren für eine konnatale Hörstörung sollte diese Strategie aber angestrebt werden, da 10 der oben beschriebenen 26 Kinder mindestens einen Risikofaktor für eine konnatale Hörstörung aufwiesen [2]. Unter Hinzunahme der im Follow-up noch mit dem Einschlusskriterium diagnostizierten Kinder lag die Quote insgesamt bei 28 von 100.000 Kindern, die vermutlich nicht zeitnah wieder einer ausführlichen Kontrolle ihre Hörsystems vorgestellt worden wären. Die Tatsache, dass trotz des bestandenen Screenings eine Nachuntersuchung eines mittels AABR unauffällig gemessenen Ohres erfolgte, lag mehrheitlich in einer Kontrollbedürftigkeit des Ohres auf der gegenüberliegenden Seite begründet. Daher hätte die Untersuchung auch mit einem seitenbezogenen Status der Ohren dargestellt werden können. Insgesamt sollte mit einer noch größeren Zahl unentdeckter Hörstörungen gerechnet werden, da sich die Verdachtsmomente für eine Kontrolle nie auf das Ohr mit dem unauffälligen Ergebnis bezogen hatten.

Im Konsensuspapier der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie zum universellen Neugeborenen-Hörscreening 2.0.1 [3] ist eine TEOAE-Messung im Rahmen einer Kontroll-Untersuchung lediglich optional vorgesehen. Nach den hier vorgelegten Ergebnissen erscheint es sinnvoll, diese zum obligatorischen Bestandteil einer Screening-Kontrolle zu machen. Generell empfiehlt sich die konsequente Abklärung fehlender TEOAE bei Kindern, sofern diese in der pädiatrischen, HNO-ärztlichen oder phoniatrisch-pädaudiologischen Sprechstunde festgestellt werden.


Literatur

1.
White K, et al. A Multisite Study to Examine the Efficacy of the Otoacoustic Emission/Automated Auditory Brainstem Response Newborn Hearing Screening Protocol. American Journal of Audiology. 2005;14:186-96.
2.
Joint Committee on Infant Hearing. Year 2007 position statement: Principles and guidelines for early hearing detection and intervention. Pediatrics. 2007;120:898-921. DOI: 10.1542/peds.2007-2333 Externer Link
3.
Wiesner Th, et al. Phoniatrisch-pädaudiologischer Konsensus zu einem universellen Neugeborenen-Hörscreening in Deutschland 2.0.1, Homepage DGPP. 2009.