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25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 14.09.2008, Düsseldorf

Auswirkung einer Defektversorgung nach Gewebeverlust infolge Tumoroperationen im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich auf die Sprache

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Düsseldorf, 12.-14.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. Doc08dgppV41

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2008/08dgpp53.shtml

Veröffentlicht: 27. August 2008

© 2008 Müller et al.
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Zusammenfassung

Einleitung: Durch Tumoroperationen im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich entstehen oftmals Defekte an den Sprechwerkzeugen und damit eine Beeinträchtigung der Sprache bis zur Unverständlichkeit. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist die Beurteilung der Sprache vor und nach Deckung der Defekte mittels Resektionsprothesen bzw. Epithesen.

Material und Methode: Die Sprache von 32 Patienten (16 Frauen,16 Männer) wurde unter Verwendung der Vokale, von einer Wortliste und eines Textes mit einem DAT-Recorder vor und nach defektprothetischer Versorgung im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich nach Tumoroperation aufgenommen. Es erfolgte eine auditive Beurteilung des nasalen Sprachklangs nach dem Klassifizierungsschema von Mühler und der Bildung der Laute s/sch/ch.

Ergebnisse: Die Patienten hatten folgende Defekte: Oberkiefer-Alveolarfortsatz-Defekt (6), Oberkiefer-Palatum-Defekt (8), Unterkiefer-Alveolarfortsatz-Defekt (5), Unterkieferkontinuitätstrennung (4), Zungenteilresektion (4), Orbitadefekt (3), Nasendefekt (3). 6 Patienten wiesen einen Mehrfachdefekt auf. Die Anzahl der Patienten mit einer Verständlichkeit der Umgangssprache (Grad 0 und 1) erhöhte sich von 17 auf 30, mit einer korrekten s/sch/ch-Bildung von 5 auf 18 Patienten. Die Anzahl der Patienten mit einer Rhinophonia aperta verminderte sich von 10 auf 3.

Diskussion: Mittels einer defektprothetischen Versorgung im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich nach Tumoroperation kann eine deutliche Verbesserung der Sprechleistung und der Sprachverständlichkeit erzielt werden.


Text

Einleitung

Durch radikalchirurgische Tumoroperationen im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich zur Lebenserhaltung entstehen oftmals Defekte an den Sprech-Werkzeugen wie Gaumen, Ober- und Unterkiefer, Zähnen, Zunge, Wange und Lippen mit der Folge einer Beeinträchtigung der Sprache bis zur Unverständlichkeit. Die Betroffenen sind z.T. deutlich entstellt und schweren psychischen Belastungen ausgesetzt [1], [2]. Es besteht stets – auch bei hoch betagten Patienten – ein ausgeprägtes Bedürfnis zur Korrektur. Bei der Versorgung mit Resektionsprothesen oder Epithesen stehen meistens Ästhetik, Kau- und Schluckfunktion und Tragekomfort im Vordergrund [3]. Sprechfunktionen und Sprachklang werden oftmals nicht ausreichend beachtet und therapiert. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist die Beurteilung der Sprache vor und nach Deckung der Defekte mittels Resektionsprothesen oder Epithesen.

Material und Methodik

Die Sprache von 32 Patienten (16 Frauen, 16 Männer) im Alter von 34–94 Jahren (Durchschnittsalter 68 Jahre) wurde mit und ohne defektprothetischer Versorgung als DAT-Aufnahme mit einem D-5 Digital Master Recorder der Firma „Fostex“ auf Fuji-Dat-Kassetten registriert. Die Aufnahme umfasste eine Wortliste mit 54 sinnvollen Wörtern sowie sinnbaren Lautkombinationen nach definierten phonetischen Kriterien, den Lesetext „Die Ameise und das Weizenkorn“ und eine freie Unterhaltung. Die auditive Beurteilung des nasalen Sprachklangs nach dem Klassifizierungsschema von Mühler und der Bildung der Laute s/sch/ch erfolgte anhand der DAT-Aufnahmen durch 2 Logopädinnen. Weiterhin erhielten 42 Patienten einen nicht standardisierten Fragebogen zur sprachlichen Selbsteinschätzung hinsichtlich Sprechbelastung, Zufriedenheit mit der erzielten Sprechleistung und der Beurteilung der erfolgten Sprachtherapie. Diese Einschätzung nahm der Patient mittels einer siebenstufigen numerischen Skala ohne Hilfestellung vor.

Ergebnisse

Die 32 Patienten wiesen folgende Defekte auf: Oberkiefer-Alveolarfortsatz-Defekt (6), Oberkiefer-Palatum-Defekt (9), Unterkiefer-Alveolarfortsdatz-Defekt (5), Unterkiefer-Kontinuitätsdurchtrennung (4), Zungenteilresektion (5), Orbitadefekt (4), Nasendefekt (3), Ohrdefekt (1). 5 Patienten wiesen einen Mehrfachdefekt auf.

Die Anzahl der Patienten mit einer Verständlichkeit der Umgangssprache Grad 0 (einwandfreie Umgangssprache) und 1 (nur gering auffällige, gut verkehrsfähige Umgangssprache) erhöhte sich nach defektprothetischer Versorgung von 17 auf 30. 2 Patienten behielten eine zwar verständliche, aber pathologisch auffällige Umgangs-sprache. Der nasale Durchschlag (nasales Luftentweichen bei der Lautbildung) konnte bei den 12 betroffenen Patienten (D1=3, D2=8, D3=1) verbessert werden, sodass nach defektprothetischer Versorgung nur 5 Patienten einen geringen Durchschlag (D1) noch aufwiesen, während bei 7 Patienten kein Durchschlag mehr festgestellt werden konnte. Bei 3 Patienten normalisierte sich, bei 9 Patienten verbesserte sich die Resonanz des Sprachschalls nach defektprothetischer Versorgung. Eine regelrechte Rhinophonia wiesen 21 Patienten nach im Vergleich zu 15 Patienten vor defektprothetischer Versorgung auf. Die Anzahl der Patienten mit einer Rhinophonia aperta verminderte sich von 10 auf 3. Von 27 Patienten mit einer fehlerhaften s/sch/ch-Lautbildung vor defektprothetischer Versorgung konnten 13 Patienten nach Versorgung die Laute wieder korrekt bilden.

Die Befragung zur Zufriedenheit mit dem Sprechen ergab, dass die mit einer Prothese bzw. Epithese versorgte Gruppe im Vergleich zu den beiden Gruppen mit einem Oberkiefer- oder Unterkieferdefekt eine höhere Zufriedenheit ergaben. Nur 6 der 42 Patienten hatten eine Sprachtherapie erhalten.

Diskussion

Mittels einer defektprothetischen Versorgung im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich nach Tumoroperation kann eine deutliche Verbesserung der Sprachleistung und der Sprachverständlichkeit erzielt werden. Defektprothesen und Epithesen ermöglichen, die gestörte Funktion des orofazialen Systems gut wieder herzustellen. Die Patienten müssen darauf hingewiesen werden, dass eine logopädische Therapie stets sinnvoll ist und zu einer weiteren Verbesserung der Sprachergebnisse führen kann. Durch die umfassende Rehabilitation wird eine schnellere Eingliederung der Erkrankten in das berufliche und soziale Umfeld erreicht.


Literatur

1.
Federspil P, Bull HG, Federspil PA. Epithetische Wiederherstellung: im Gesicht. Dtsch Ärztebl. 1998;95(5):A-2006-213.
2.
Al-Khazraji J, Schröder M. Psychosozialer Belastungsstatus und psychologischer Interventionsbedarf bei Patienten mit prothetischen und epithetischen Versorgungen. Orthopädie-Technik. 2002;1:37-45.
3.
Karg HJ, Hansen CA. Customizing palatal contours of a denture to improve speech intelligibility. J Prosthet Dent. 2008;99:243-8.