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25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 14.09.2008, Düsseldorf

Entwicklung der Lokalisationsgenauigkeit bei hörgesunden sechs- bis zwölfjährigen Kindern für Rauschsignale im horizontalen Halbkreis

Vortrag

  • author presenting/speaker Sonja Kühnle - Universität Leipzig, Abteilung für Stimm-, Sprach- und Hörstörungen, Leipzig, Deutschland
  • corresponding author Michael Fuchs - Universität Leipzig, Abteilung für Stimm-, Sprach- und Hörstörungen, Leipzig, Deutschland
  • author Sylvia Meuret - Universität Leipzig, Abteilung für Stimm-, Sprach- und Hörstörungen, Leipzig, Deutschland
  • author Claudia Schubert - Universität Leipzig, Institut für Biologie II, Leipzig, Deutschland
  • author Rudolf Rübsamen - Universität Leipzig, Institut für Biologie II, Leipzig, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Düsseldorf, 12.-14.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. Doc08dgppV29

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2008/08dgpp36.shtml

Veröffentlicht: 27. August 2008

© 2008 Kühnle et al.
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Zusammenfassung

Einleitung: Die Lokalisation akustischer Objekte im Raum stellt bereits im Kindesalter eine grundlegende Fähigkeit dar und wird beispielsweise im Straßenverkehr, in der Unterrichtssituation oder beim Spiel benötigt. Münchner Studien konnten eine größere Sicherheit in der Schallquellenzuordnung mit einer maximalen Abweichung von 5° zur tatsächlichen Schallquelle bei gesunden, normalhörigen Kindern im Vergleich zu Kindern mit einer AVWS ohne Einfluss des Alters zeigen [1]. Ziel dieser aktuellen Studie ist es zu untersuchen, mit welcher Genauigkeit hörgesunde Schulkinder Schallquellen im frontalen und lateralen horizontalen Halbkreis lokalisieren können und welchen Einfluss die Signalfrequenz und das Alter auf diese Leistung haben.

Methode: In einem echogedämmten Raum wurden 67 hörgesunden Kindern (Alter 6–12 Jahre, Median 8 Jahre 6 Monate) aus 15 Referenzrichtungen im azimuthalen Hemifeld kurze (250 ms), überschwellige (35 dB SL) hoch- (2–8 kHz) oder tieffrequente (0,250–1,2 kHz) Breitband-Rauschsignale präsentiert. Aufgabe des Kindes war es, mit einem Laserpointer auf einer Winkelskala den Ort des subjektiv wahrgenommenen Hörereignisses anzuzeigen. Basierend auf einer Sechsfachbestimmung wurden für jede der 15 Referenzrichtungen (0°, ±4°, ±26°, ±30°, ±60°, ±64°, ±86°, ±90°) der mediane Zeigewert sowie die mediane Streuung errechnet.

Ergebnisse: Die Lokalisationsgenauigkeit nahm ab, je weiter lateral die Schallquelle lag (p<.001). Dies galt sowohl für die medianen Zeige- als auch die Streuungsmaße. Des Weiteren konnte eine signifikant genauere Lokalisationsleistung für tieffrequente Rauschsignale für die Richtungen ±86° und ±90° im Vergleich zu hochfrequenten Rauschsignalen festgestellt werden (p<.01). Eine altersabhängige Zunahme der Lokalisationsgenauigkeit konnte nicht für alle Referenzwinkel beobachtet werden: Eine statistisch signifikante Verbesserung der medianen Zeigewerte zeigte sich nur für die Richtungen ±4° sowie für +60°, +64° und +86° (p<.01. r~.36, Spearman rank order). Dabei fiel auf, dass jüngere Kinder bei zentralen Richtungen eine Tendenz zur Mitte (0°) aufwiesen, während sie periphere Signale eher weiter lateral lokalisierten als ältere Kinder.

Diskussion: Die Genauigkeit, mit der Kinder Schallquellen lokalisieren, war im Wesentlichen von der Richtung des Rauschsignals abhängig; am höchsten war sie im zentralen Hörfeld, nahe 0°. Der Einfluss der Signalfrequenz war vor allem für laterale Richtungen nachweisbar, wobei tieffrequente Signale genauer lokalisiert wurden. Die Fähigkeit, auditiv genau zu lokalisieren unterliegt einer Entwicklungsdynamik, die sich mit zunehmendem Schulalter verbessert. Die ermittelten Werte können dem Vergleich mit hörgeschädigten und verhaltensauffälligen Kindern dienen.


Text

Einleitung

Die Lokalisation akustischer Objekte im Raum stellt bereits im Kindesalter eine grundlegende auditorische Fähigkeit dar und wird beispielsweise im Straßenverkehr, in der Unterrichtssituation oder beim Spiel benötigt. Münchner Studien konnten zeigen, dass gesunde, normalhörige Kinder mit einer maximalen Abweichung von 5° zur tatsächlichen Schallquelle eine größere Sicherheit in der Schallquellenzuordnung erreichen als Kinder mit einer AVWS. Das Alter hatte darauf keinen systematischen Einfluss [1]. Ziel der vorliegenden Studie war es zu untersuchen, mit welcher Genauigkeit hörgesunde Schulkinder Schallquellen im frontalen horizontalen Halbkreis lokalisieren können und welchen Einfluss die Signalfrequenz und das Alter auf diese Leistung haben.

Methode

Für die Untersuchung stand ein echogedämmter Raum zur Verfügung, in dem auf einer halbkreisförmigen Vorrichtung (Radius 2,3 m) in Ohrhöhe eines sitzenden Probanden 45 einzeln ansteuerbare Lautsprecher zwischen -94° (links-lateral) und +94° (rechts-lateral) montiert waren. Das Winkelintervall zwischen benachbarten Lautsprechern betrug 4,3°; die Boxen waren für den im Zentrum des Kreisbogens sitzenden Probanden nicht einsehbar. Eine bei 0°, d. h. in der Mitte des Kreisbogens angebrachte Leuchtdiode sowie ein Stuhl mit Kopflehne dienten der symmetrischen Kopfausrichtung. Zudem war der Kreisbogen mit einer Winkelskala ohne Beschriftung versehen. Als Stimuli wurden Gaußsche Breitband-Rauschsignale von 250 ms Dauer verwendet, die im tief- (0,25–1,2 kHz) bzw. hochfrequenten Hörbereich (2–8 kHz) lagen. Wir untersuchten 67 gesunde Schulkinder im Alter zwischen 6 und 12 Jahren (Median 8 Jahre 6 Monate), bei denen vor dem Experiment eine Otoskopie und ein Reinton-Schwellenaudiogramm durchgeführt wurden. Die Signalpräsentation erfolgte überschwellig bei etwa 35 dB SL. Nach drei Probesignalen zur Gewöhnung an die Methode wurde aus jeder der 15 untersuchten Referenzrichtungen (0°, ±4°, ±26°, ±30°, ±60°, ±64°, ±86°, ±90°) in zufälliger Reihenfolge je sechsmal ein tief- bzw. hochfrequentes Signal präsentiert. Aufgabe des Kindes war es, auf der Winkelskala mit einem Laserpointer den Ort jedes subjektiv wahrgenommenen Hörereignisses anzuzeigen. Die gezeigten Winkelwerte wurden von der Versuchsleiterin notiert. Je nach Alter, Konzentrationsfähigkeit und Pausenbedarf umfasste die Testung ein bis zwei Stunden pro Kind. Basierend auf der Sechsfachbestimmung wurden für jede Signalkonstellation (TF oder HF + Referenzwinkel) der mediane Zeigewert sowie die Streuung errechnet. Als systematisches Fehlermaß wurde die Distanz zwischen dem Median aus den sechs einzelnen Zeigewerten jeden Kindes und dem Referenzwinkel, also zur wahren Signalrichtung, bestimmt. Als Maß für den unsystematischen Fehler diente ebenfalls für jedes Kind und jeden Referenzwinkel das Ausmaß der Streuung der sechs einzelnen Zeigewerte um den Median aus diesen sechs Einzelwerten.

Ergebnisse

Zunächst wurde untersucht, ob innerhalb der Probandengruppe eine Altersabhängigkeit der Daten vorlag. Eine statistisch signifikante altersabhängige Zunahme der Lokalisationsgenauigkeit zeigte sich jedoch nur für die Referenzwinkel ±4° sowie für +60°, +64° und +86° (p<.01, r~.36, Spearman rank-order correlation). Daher wurden die Ergebnisse aller Probanden gemeinsam ausgewertet, ohne eine Unterteilung in Altersgruppen vorzunehmen. Allerdings fiel auf, dass sechs- und siebenjährige Kinder bei frontalen Richtungen eine Tendenz aufwiesen, die Signale weiter zur Mitte (0°) hin zu lokalisieren als ältere Kinder, während sie laterale Signale eher weiter lateral wahrnahmen als ältere Kinder. Eine signifikant genauere Lokalisationsleistung für tieffrequente Rauschsignale konnte insbesondere für die am weitesten lateral liegenden Referenzwinkel ±86° und ±90° festgestellt werden (p < .01, Wilcoxon matched-pairs signed-rank test).

Des Weiteren nahm die Lokalisationsgenauigkeit in systematischer Weise ab, je weiter lateral die Schallquelle lag (p<.001, Friedman Repeated Measures ANOVA on ranks). Dies galt für beide Streuungsmaße: Der mediane systematische Fehler lag für die frontalen Referenzwinkel (0°, ±4°, ±26°, ±30°) sowohl für tief- als auch für hochfrequente Signale bei 2,5°, lateral (±60°, ±64°, ±86°, ±90°) betrug er 4,75° bzw. 5,5°. Die Streuung um den medianen Zeigewert (unsystematischer Fehler) betrug frontal 1,0° bzw. 1,5°; lateral war sie für beide Frequenzbänder ebenfalls signifikant höher (3,0° bzw. 3,5°) (Abbildung 1 [Abb. 1]).

Diskussion

Die Genauigkeit, mit der Kinder Schallquellen lokalisieren, war im Wesentlichen von der Richtung des Rauschsignals abhängig; am höchsten war sie erwartungsgemäß frontal, nahe 0°. Der Einfluss der Signalfrequenz war vor allem für laterale Richtungen nachweisbar, wobei tieffrequente Signale genauer lokalisiert wurden. Die Fähigkeit, auditiv genau zu lokalisieren unterliegt vermutlich auch im Schulalter noch einer Entwicklungsdynamik, auch wenn diese in der vorliegenden Studie nicht in systematischer Weise statistisch signifikant nachgewiesen werden konnte. Von einer Verbesserung der Lokalisationsgenauigkeit ist jedoch auch deshalb auszugehen, weil die verwendeten psychoakustischen Testverfahren von einer mit dem Schulbesuch verbundenen Zunahme der Konzentrationsfähigkeit positiv beeinflusst werden. Denkbar wäre, die Untersuchungen mit einer größeren Zahl von Kindern fortzusetzen, um verlässlichere Aussagen über die Altersabhängigkeit treffen zu können. Ein Vorteil der verwendeten Methode ist die – im Vergleich zur Literatur – höhere Auflösung der Signalpräsentation, mit der sehr feine Abweichungen detektierbar sind (so z. B., wenn zwischen 0° und +4° unterschieden werden muss). Nachteilig wirkt sich dies auf die Dauer des Testverfahrens aus, die insbesondere für jüngere Kinder eine Herausforderung darstellt. Die ermittelten Daten stehen gut in Übereinstimmung mit den Ergebnissen, die von Grube mit den gleichen Verfahren an erwachsenen Probanden erhoben wurden [2], und können dem Vergleich mit hörgeschädigten und verhaltensauffälligen Kindern im Rahmen der AVWS-Diagnostik dienen.


Literatur

1.
Kunze S, Nickisch A. Pilotstudie zum Richtungshörvermögen bei Kindern mit und ohne Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS). In: Gross M, Kruse E. Aktuelle phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte 2006. Norderstedt: Books on Demand; 2006. S. 23-25 Externer Link
2.
Grube M. The Where and When of Auditory Space in the Brain: Evidence from Patients with acquired Brain Lesions. University of Leipzig, Dissertation; 2005.