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25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 14.09.2008, Düsseldorf

Aktueller Stand der Neugeborenen-Hörscreenings in der Schweiz

Vortrag

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Düsseldorf, 12.-14.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. Doc08dgppV15

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2008/08dgpp16.shtml

Veröffentlicht: 27. August 2008

© 2008 Veraguth et al.
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Zusammenfassung

In den letzten zehn Jahren fand das Neugeborenen-Hörscreening in der Schweiz immer mehr Verbreitung. Die Empfehlungen zur Durchführung des Hörscreenings bei allen Neugeborenen wurden 1999 von einer Arbeitsgruppe der Kommission für Audiologie und Expertenwesen der Schweizerischen ORL-Gesellschaft im Zusammenarbeit mit den Schweizerischen Gesellschaften für Pädiatrie und Neonatologie erarbeitet. Bei den Neugeborenen auf den Wochenbettstationen wird eine Messung der otoakustischen Emissionen (OAE) durchgeführt, die im Bedarfsfall vor Spitalaustritt wiederholt wird. Das Screening gilt als bestanden, wenn der Nachweis der OAE auf mindestens einem Ohr positiv ist.

In einer multizentrischen Studie in verschiedenen Regionen des Landes zeigte sich bei über 50.000 Kinder, dass 2% der Kinder das Screening nicht bestehen und einer pädaudiologischen Nachuntersuchung zugeführt werden müssen. Die meisten Zentren haben eine gute Nachkontroll-Rate (98%). Eine aktuelle Umfrage bei allen 118 Kliniken, in denen landesweit Kinder geboren werden, ergibt, dass im Jahre 2008 bei mehr als 80% der Neugeborenen in der Schweiz ein Hörscreening durchgeführt wird. Noch nicht eingeführt ist das Hörscreening vor allem in kleineren Spitälern in ländlichen Regionen mit niedrigen Geburtenzahlen. Als Gründe für das noch fehlende Hörscreening-Programm werden vor allem knappe personelle Ressourcen und die fehlende finanzielle Abgeltung durch die Krankenkassen angegeben. Für eine flächendeckende Durchführung des Hörscreenings in der Schweiz muss in nächster Zeit die Übernahme der Untersuchungskosten als Pflichtleistung der Krankenkassen beantragt werden.


Text

Einleitung

Im Anschluss an die Europäische Konsensus-Konferenz in Mailand 1999 [1] hat eine Arbeitsgruppe der Schweizerischen Gesellschaft für Otorhinolaryngologie in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie und Neonatologie beschlossen, das Hörscreening für alle Neugeborenen in einem Pilotprojekt einzuführen. Die Arbeitsgruppe empfiehlt, das Screening mittels Messung der transient evozierten otoakustischen Emissionen (TEOAE) am zweiten oder dritten Lebenstag während der Hospitalisation auf der Wochenbettstation durchzuführen. Bei fehlendem Nachweis der TEOAE wird eine zweite Messung am gleichen oder folgenden Tag empfohlen. Das Resultat der Untersuchung wird im Gesundheitsheft, das jedes in der Schweiz geborene Kind erhält, eingetragen und ist dadurch allen Fachpersonen zugänglich. In der Schweizerischen Arbeitsgruppe wurde entschieden, dass die Screening-Untersuchung als bestanden gilt, wenn die TEOAE auf mindestens einen Ohr nachweisbar sind. In das Pilotprojekt sind sowohl kleine Regionalspitäler als auch große Zentrumskliniken und sowohl öffentliche als auch private Spitäler in allen Landesteilen eingeschlossen worden. In den letzten Jahren haben nach dem erfolgreichen Start in den Pilotkliniken immer mehr Geburtsabteilungen freiwillig ebenfalls das Hörscreening eingeführt. Da diese Untersuchung bis heute nicht zu den Pflichtleistungen der Krankenkassen gehört, erfolgt keine finanzielle Abgeltung und die einzelnen Kliniken müssen selber für die dadurch entstanden Kosten aufkommen. Eine zentrale Datenerhebung der Screening-Resultate erfolgt bisher nur aus einzelnen Pilotkliniken.

Material und Methode

In einer multizentrischen Studie wurden die Resultate der Hörscreening-Untersuchung sowie die Ergebnisse der Nachfolgeuntersuchungen zusammengestellt. Dazu wurden die Ergebnisse der Jahre 2000–2007 aus 11 unterschiedlichen Geburtskliniken in verschiedenen Regionen der Schweiz analysiert. Es stellte sich dabei die Frage nach Anzahl der Kinder mit falsch-positiven Screening-Ergebnissen, Anzahl der Kinder ohne Nachfolgeuntersuchungen sowie Anzahl der Kinder mit bestätigter beidseitiger, therapiebedürftiger Schwerhörigkeit.

Im Weiteren wurde im Frühling 2008 an alle 117 Geburtskliniken der Schweiz ein Fragebogen gesandt. Darin wurde nach der aktuellen Verbreitung des Hörscreenings in den einzelnen Kliniken sowie nach der Durchführungsart gefragt.

Ergebnisse

In der multizentrischen Analyse konnten die Daten von 48.913 gesunden Neugeborenen ausgewertet werden. 1,8% dieser Kinder hatten das Hörscreening während der Wochenbettzeit nicht bestanden und mussten nachuntersucht werden. Die Nachkontrolle erfolgte in der Regel 4–6 Wochen nach der Geburt mit einer nochmaligen Messung der TEOAE, im Bedarfsfall mittels Messung der akustisch evozierten Potentiale. 1,3% aller untersuchten Kinder zeigten in der Nachkontrolle ein normales Hörvermögen. 0,3% der Kinder sind zur Nachuntersuchung nicht erschienen oder die Kontrolle wurde von den Eltern abgelehnt. Bei 0,17% aller Neugeborenen zeigte die pädaudiologische Untersuchung einen beidseitigen Hörverlust, bei 0,12% einen permanente Schwerhörigkeit und bei 0,05% einen beidseitigen chronischen Tubenmittelohrkatarrh.

Der an alle 117 Geburtsabteilungen der Schweiz versandte Fragebogen wurde von 113 Kliniken beantwortet, so dass die Rücklaufquote 97% beträgt. Dabei zeigte sich, dass im Frühling 2008 das Hörscreening bei 92% der total 75.098 Geburten in den Geburtsabteilungen der Schweiz durchgeführt wurde. 5% der Neugeborenen wurden nicht untersucht und bei 3% der Geburten ist es infolge fehlender Rückmeldung unklar. Bei etwa 40% der Kinder wird die TEOAE-Messung immer an beiden Ohren durchgeführt, bei den übrigen nur einseitig. 95 Spitäler (82%) haben ein Hörscreening-Programm eingeführt und in 18 Kliniken (15%) der Schweiz gibt es noch keine Screening-Untersuchungen. Wenn man die Spitäler, die kein Hörscreening durchführen, betrachtet, sind es mehrheitlich kleine Spitäler, meistens in ländlichen Regionen, und einige kleine Privatkliniken. Mit einer Ausnahme sind es Kliniken mit weniger als 1000 Geburten/Jahr. Davon haben 45% sogar weniger als 100 Geburten pro Jahr.

Diskussion

In den Resultaten der Pilotkliniken zeigt sich, dass die Anzahl der Kinder, die das Screening nicht bestehen, die Zahl der Kinder mit einem falsch-positiven Resultat und die Anzahl der Kinder mit der Diagnose einer permanenten Hörstörung vergleichbar sind mit anderen großen Studien [2]. Die Qualitätsmerkmale für ein gutes Screening-Programm (>95% der Kinder mit Hörscreening-Untersuchung, <4% Nachuntersuchungen, >95% Follow-up) werden in allen Pilotkliniken klar erreicht [3]. Die Anzahl der Kinder, welche zu den Nachuntersuchungen nicht erschienen sind oder bei denen dieses von den Eltern abgelehnt wurde, ist in den Pilotkliniken sehr gering. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass diese ausgewählten Kliniken sehr motiviert sind, möglichst gute Zahlen betreffend Nachkontrollen zu erreichen. Meistens sind es einzelne Personen und einzelne Teams der Pädaudiologie, die sich mit viel persönlichem Engagement und großem zeitlichen Aufwand dafür einsetzten, dass alle Kinder nachuntersucht werden. Um gesamtschweizerisch eine gute und für eine sinnvolle Screening-Untersuchung akzeptable Nachuntersuchungsrate zu erreichen, muss die Hörscreening-Untersuchung in den Pflichtleistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen werden und damit verbunden eine zentrale Datenregistrierung eingeführt werden.

Das Neugeborenen-Hörscreening ist in den letzten zehn Jahren in vielen Schweizer Spitälern als freiwillige Leistung eingeführt worden. Aktuell sind es nur 5% der Neugeborenen im Spital, die nicht untersucht werden. Zudem fehlt ein Programm für die Hausgeburten und die in einem von Hebammen geführten Geburtshaus geborenen Kinder (ca. 1000 Geburten pro Jahr). Ohne gesicherte finanzielle Abgeltung ist die Einführung vor allem in den in der Schweiz zahlreichen kleinsten Spitälern, meist in ländlichen Regionen schwierig, zu realisieren.


Literatur

1.
Welzl-Müller K. Neugeborenen-Hörscreening. Siebtest nach Hörstörungen bei Neugeborenen. Bericht über die European Consensus Development Conference on Neonatal Hearing Screening, Mailand, Mai 1998. HNO. 1998:704-7.
2.
Thompson DC, McPhillips H, Davis RL, Lieu TA, Homer CJ, Helfand M. Universal newborn hearing screening. Summary of Evidence. JAMA. 2006;286:2000-10.
3.
Joint Committee on Infant Hearing; American Academy of Pediatrics. Year 2007 Position Statement: principles and guidelines for early hearing detection and intervention programs. Pediatrics. 2007;120:898-921.