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Gemeinsame Grundlagen von Tast- und Hörsinn – erste klinische Ergebnisse
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Veröffentlicht: | 28. August 2007 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Die durch Myosinproteine gesteuerten sensorischen Haarzellen des Innenohres entsprechen nach neuesten Erkenntnissen der Myosinaktivität in den mechanosensorischen Ganglienzellen, die die normale Adaptionsleistung der sensorischen Transduktion in Hautrezeptoren („Tastsinn“) betreffen. Es wird angenommen, dass sich bei bestimmten Hörstörungen auch Auffälligkeiten im Bereich des Tastsinns nachweisen lassen. Um die sensorische Qualität „tasten“ zu überprüfen und Normwerte zu erheben, wurden zunächst hörgesunde und sehende Probanden (n=34) mit hörgesunden blinden Probanden (n=38) verglichen. Die Überprüfung der taktilen Wahrnehmung und die Bestimmung der Wahrnehmungsschwelle erfolgten mit dem Tactile acuity cube. Weiterhin wurde in der Gruppe der hörgesunden und sehenden Probanden die Auflösungsschwelle von Vibrationen detektiert. Die beiden Gruppen wurden anschließend im Hinblick auf die Wahrnehmungsschwelle: a.) kleiner Finger der dominanten Hand, b.) Zeigefinger der dominanten Hand untersucht. Weiterhin wurde in der Gruppe der sehbehinderten Probanden der dominante Finger, der zum Lesen der Brailleschrift verwendet wurde, mit dem anderen Zeigefinger verglichen. Die Ergebnisse zeigen in der Gruppe der hörgesunden und sehenden Probanden eine hochsignifikante Korrelation im Bereich der taktilen Wahrnehmungsschwelle mit dem Tactile acutiy cube im Vergleich zur erhobenen Vibrationsdetektionsschwelle. Der sensorische Vergleich der beiden Gruppen mit dem Tactile acuity cube zeigt keine signifikanten Unterschiede im Bereich der untersuchten Eigenschaften.
Text
Einleitung
Das erste Neuron des mechano- und nozizeptiven Systems, funktionell eine primäre Sinneszelle, befindet sich als pseudounipolare Nervenzelle im Spinalganglion. Die Entstehung mechano- und nozizeptiver Signale findet zunächst in freien Nervenendigungen statt, wo die entsprechenden Reize Ionenströme und somit Membranpotentialänderungen hervorrufen. Die durch mechanische Stimuli ausgelöste Transduktion erfolgt jedoch nicht nur allein im Sinnessystem „Tasten“ oder „Schmerz“, sondern auch bei der mechanoelektrischen Transduktion in der Cochlea bei der Verarbeitung von Schallwellen. Obgleich der Tast- und Hörsinn eine unterschiedliche embryonale Herkunft aufweisen, finden sich viele Gemeinsamkeiten in der Transduktion des Signals und der Signalverarbeitung; so benutzen die sensorischen Rezeptoren u. a. den gleichen Typ von Ionenkanälen, die Transient Receptor Potential-Kationenkanäle oder TRP-Kanäle. Parallelen lassen sich ebenfalls in der Myosinaktivität der cochleären Haarzellen und der mechanosensorischen Aktivität in den Spinalganglien der Mechanorezeptoren der Haut nachweisen. So kann die Mutation von Myosinproteinen neben hochgradigen Hörverlusten auch zu einer eingeschränkten sensorischen Transduktion in kutanen Mechanorezeptoren, wie sie in Mausmodellen nachgewiesen wurde, führen. Die sensorische Beeinträchtigung des Tast- und Hörsinns ließ sich in den Mutationen von Myo7a und Myo6 nachweisen. Interessanterweise finden sich bei USH1, einer der Usher-Formen, Mutationen im Myo7a, das für ein unkoventionelles Myosin kodiert. Für einen Teil der Hörstörungen muss davon ausgegangen werden, dass sie in Verbindung zu somatosensorischen Leistungen der Haut stehen. Genauere Angaben zur somatosensorischen Leistung der taktilen Wahrnehmung von sehenden und sehbehinderten Menschen mit unauffälligem Hörvermögen fehlen.
Methode und Patientengut
Auffälligkeiten im Bereich der Sensibilität der Haut wurden mit dem Tactile acuity cube untersucht. Der 330 g schwere Würfel hat auf jeder Fläche eingefräste Rillen mit jeweils unterschiedlichen Abständen (0.75-6 mm). Die Würfelfläche wurde, für den Probanden nicht sichtbar, entweder horizontal oder vertikal auf die Fingerkuppe des untersuchten Fingers gelegt. Die Bestimmung des jeweiligen taktilen Auflösungsvermögens, d. h. die in ihrer horizontalen oder vertikalen Lage richtig erkannte Profilstärke der entsprechenden Würfelfläche, wurde zunächst in 13 Durchläufen in Form von Umkehrpunkten ermittelt. Aus den letzten 10 erhobenen und richtig erkannten Flächen wird der entsprechende Schwellen-Durchschnittswert errechnet.
Es wurde eine Gruppe von hörgesunden und sehenden Probanden (n=34) mit einer Gruppe hörgesunder und blinder Probanden (n=38) verglichen.
Bei der Gruppe der hörgesunden und sehenden Probanden wurden der Zeigefinger und der kleine Finger der dominanten Hand untersucht. Bei der Gruppe der hörgesunden und sehbehinderten Probanden wurden ebenfalls der Zeigefinger und der kleine Finger der dominanten Hand sowie der bei der Brailleschrift genutzte Finger untersucht.
Die Schwelle des Vibrationsempfindens wurde zusätzlich bei der Gruppe der hörgesunden und sehenden Probanden untersucht. Dabei wird auf dem Nagelbett des kleinen Fingers der dominanten Hand ein definiertes Gewicht von circa 30 g aufgebracht und bei wechselnden Vibrationen die Schwelle im forced choice-Verfahren bestimmt.
Ergebnisse
Die ermittelten Schwellen für den Tastsinn ergaben im Vergleich der Gruppe der Sehbehinderten und sehenden Probanden keinen signifikanten Unterschied beim Zeigefinger und kleinen Finger der dominanten Hand. Ebenfalls waren keine Unterschiede zwischen dem bei der Brailleschrift benutzten Finger und dem Zeigefinger der dominanten Hand bei den sehbehinderten Probanden zu finden. Eine hochsignifikante Korrelation fand sich lediglich im Bereich der ermittelten Vibrationsdetektionsschwelle und der taktilen Wahrnehmungsschwelle in der Gruppe der sehenden und hörgesunden Probanden.
Diskussion
Eine veränderte taktile Wahrnehmung wie sie beispielsweise bei Usher Patienten vermutet wird, bedarf eines sicheren Instruments zur Detektion des taktilen Auflösungsvermögens. Der bekannte Test der statischen Zwei-Punkt-Diskriminierung liefert laut Literatur im Vergleich zu dem hier eingesetzten tactile acuity cube keine zuverlässigen psychometrischen Daten. Der Focus der hier vorgestellten Untersuchung richtete sich zunächst auf zwei Gruppen, die sich im Merkmal ihrer Sehfähigkeit bei unauffälligem Hörvermögen (sehend versus blind) unterschieden und zur Grundlage weiterer Untersuchungen bei Usher-Patienten dienen soll. Die erhobenen Daten zeigen im Vergleich der beiden Gruppen keine signifikanten Unterschiede im Hinblick auf die taktile Wahrnehmungsschwelle. Die Gruppe der Sehbehinderten zeigte unabhängig von ihrer Ätiologie keinen signifikanten Unterschied zur Gruppe der sehenden Probanden. Die taktile Wahrnehmungsschwelle erscheint hier nicht als alleiniger Faktor die individuelle Lesekompetenz bei der Punktschrift zu erklären. Um die somatosensorischen Leistungen der Haut zu erfassen, sind weiterführende phänotypische Untersuchungen notwendig, um fundierte Aussagen zur postulierten mechanosensorischen Basis von Tast- und Hörsinn zu treffen.
Förderung
SFB 665. Entwicklungsstörungen im Nervensystem. Projekt: Gemeinsame genetische Mechanismen für die sensorische Mechanotransduktion bei Berührungsempfindung und Hören.