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Stationäre Intensivtherapie bei schwerer Sprachentwicklungsstörung
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Veröffentlicht: | 28. August 2007 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Fragestellung: In der Klinik für HNO und Kommunikationsstörungen der Universität Mainz werden traditionell Kinder, die trotz ambulanter logopädischer Therapie unter einer schweren Sprachentwicklungsstörung leiden, stationär behandelt.
Methode: In der Eingangsdiagnostik wurden anhand von IDIS [Ref. 1] ausführliche anamnestische und biographische Daten und umfangreiche Informationen in den Bereichen Sprache (Phonetik/Phonologie, Grammatik, Semantik, Pragmatik), Sprechablauf und Stimme, Intelligenz, Informationsverarbeitungskapaziät (auditiv und visuell), Grob- und Feinmotorik sowie Hörvermögen anhand von medizinischen, logopädischen, psychologischen und audiologischen Untersuchungsverfahren erfasst.
Bei 92 Kindern wurden die Ergebnisse der Eingangsdiagnostik mit denen nach einer stationären Behandlung über 6 Wochen verglichen, davon waren 12 lernbehindert.
Ergebnisse: Sowohl Kinder mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen als auch lernbehinderte Kinder zeigten Fortschritte beim Sprachverständnis, beim produktiven Lexikon, beim Dysgrammatismus und in Hinblick auf die Hörgedächtnisspanne, jedoch meist keine messbare Besserung der Artikulation, die jedoch auch nur selten relevanter Therapieinhalt war.
Zusammenfassung: Eine intensive Sprach- und Wahrnehmungstherapie bei Kindern mit schweren Sprachentwicklungsstörungen führt zu messbaren Besserungen der Sprachleistungen.
Text
Fragestellung
Die Übungsbehandlung von Sprach- und Sprechstörungen im Kindesalter wird schon seit dem vorletzten Jahrhundert durchgeführt, doch erst in den letzten Jahren wird die Notwendigkeit einer Evaluation deutlich. So berichtet der GEK-Heil- und Hilfsmittelreport [Ref. 2] nicht nur von erheblichen Ausgabensteigerungen, sondern beklagt auch mangelnde Transparenz hinsichtlich der Effektivität und Effizienz der verordneten Maßnahmen. Unter anderem wird unter Hinweis auf eine Studie, in der die behandelten Kinder im Mittel 8 Therapieeinheiten in 8 Monaten erhielten und kein Effekt nachweisbar war [Ref. 3], die Wirksamkeit von Sprachtherapie überhaupt in Frage gestellt. Dabei empfehlen die Heil- und Hilfsmittelrichtlinien bei Sprachentwicklungsstörungen eine zumindest 2 mal wöchentlich stattfindende Therapie.
In der Klinik für HNO und Kommunikationsstörungen der Universität Mainz werden traditionell Kinder, die trotz ambulanter logopädischer Therapie unter einer schweren Sprachentwicklungsstörung leiden, stationär behandelt, überwiegend Kinder mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen, aber auch solche, bei denen Hörstörungen oder eine geringe intellektuelle Beeinträchtigung vorliegen.
Wir gingen der Frage nach, welche Fortschritte des Spracherwerbs auf den einzelnen Sprachebenen erzielt werden und ob sich auch bei sprachentwicklungsgestörten lernbehinderten Kindern Fortschritte erreichen lassen.
Methode
In der Eingangsdiagnostik wurden anhand von IDIS [Ref. 1] ausführliche anamnestische und biographische Daten und umfangreiche Informationen in den Bereichen Sprache (Phonetik/Phonologie, Grammatik, Semantik, Pragmatik), Sprechablauf und Stimme, Intelligenz, Informationsverarbeitungskapaziät (auditiv und visuell), Grob- und Feinmotorik sowie Hörvermögen anhand von medizinischen, logopädischen, psychologischen und audiologischen Untersuchungsverfahren erfasst.
Bei 92 Kindern, davon waren 12 lernbehindert, wurden die Ergebnisse der Eingangsdiagnostik mit denen nach einer stationären Behandlung über 6 Wochen verglichen. Das Durchschnittsalter der Kinder betrug bei Aufnahme 5;11 Jahre.
Ergebnisse
Sowohl Kinder mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen als auch sprachentwicklungsgestörte lernbehinderte Kinder zeigten Fortschritte beim Sprachverständnis, beim produktiven Lexikon, beim Dysgrammatismus und in Hinblick auf die Hörgedächtnisspanne, jedoch meist keine messbare Besserung der Artikulation, die jedoch auch nur selten relevanter Therapieinhalt war.
Das Spracherwerbsalter gemessen mit den Reynell-Skalen lag im Mittel bei 4;00 Jahren, also fast zwei Jahre unter dem Lebensalter. Bis zur Entlassung besserte sich das Sprachverständnis bis auf 5;00 Jahre. In der Gesamtgruppe besserte sich das Sprachverständnis im Mittel also um 12 Monate, die lernbehinderten Kinder erreichten nur eine Besserung um 6 Monate im Mittel. Im aktiven Wortschatz (AWST) verbesserten sich die Kinder im Mittel von einem Rohwert von 33 auf einen Rohwert von 42 (Verbesserung um 9 Rohwertpunkte), bei einer Lernbehinderung wurde eine Verbesserung von einem Rohwert von 27 auf einen Rohwert 34 (Verbesserung um 7 Rohwertpunkte) erreicht. Auch in Syntax und Morphologie fanden sich deutliche Verbesserungen. Anhand des Ravensburger Dysgrammatikermaterials wurden die grammatischen Leistungen überprüft, bei Bewertung anhand der Clahsen-Klassifikation ergab sich im Durchschnitt eine Verbesserung um mehr als 4 Monate.
Diskussion
Eine Cochrane Studie im Jahr 2003 ergab, dass sich aus randomisierten Studien eine Effektivität von Sprachtherapie bei phonologischen Störungen und Wortschatzdefiziten ableiten lässt, für die Behandlung grammatischer Störungen ergab sich ein uneinheitliches Bild [Ref. 4]. Die Wirksamkeit der Therapie bei Sprachverständnisstörungen konnte nicht gezeigt werden. In den referierten Studien wurden die Kinder überwiegend sehr selten therapiert. Barrett et al. [Ref. 5] fanden in einer randomisierten Studie, dass eine tägliche Therapie bei gleicher Anzahl von Therapieeinheiten effektiver war als die einmal wöchentlich durchgeführte Therapie. Im Gegensatz zur Cochrane Studie konnten wir in unserer Untersuchung Verbesserungen im Sprachverständnis zeigen, darüber hinaus fanden sich auch in den anderen Sprachbereichen deutliche Fortschritte. Obwohl Kinder mit Lernbehinderungen in allen Sprachebenen geringere Leistungen zeigen als Kinder mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen [Ref. 6], erzielen auch sie messbare Fortschritte durch die stationäre Therapie.
Literatur
- 1.
- Schöler H. IDIS - Inventar diagnostischer Informationen bei Sprachentwicklungsauffälligkeiten. Heidelberg: Edition S im Universitätsverlag Winter; 1999.
- 2.
- Deitermann B, Kemper C, Hoffmann F, Glaeske G. GEK-Heil- und Hilfsmittel-Report. Auswertung der GEK-Heil- und Hilfsmitteldaten aus den Jahren 2004 und 2005. Vorabdruck. In: Gemünder Ersatzkasse, Hrsg. Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse, Band 49. Bremen/Schwäbisch Gmünd: Asgard.
- 3.
- Glogowska M, Roulstone S, Enderby P, Peters TJ. Randomised controlled trial of community based speech and language therapy in preschool children. BMJ. 2000;321:923-6.
- 4.
- Law J, Garrett Z, Nye C. Speech and language therapy interventions for children with primary speech and language delay or disorder. Cochrane Database of Systematic Reviews. 2003. Issue 3. Art. No.: CD004110. DOI: 10.1002/14651858. CD004110.
- 5.
- Barrett J, Littlejohns P, Thomson J. Trial of intensitive compared to weekly speech therapy in preschool children. Archives of Disease in Childhood. 1992;671:106-8.
- 6.
- Keilmann A, Braun L, Schöler H. Welche Rolle spielt das Merkmal Intelligenz bei der Diagnostik und Differenzierung sprachentwicklungsgestörter Kinder? HNO. 2005;53:268-84.