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100 Jahre Phoniatrie in Deutschland
22. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie
24. Kongress der Union Europäischer Phoniater

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

16. bis 18.09.2005, Berlin

Männliches Passaggio – ein Wechselspiel zwischen Glottis und Vokaltakt

Male passagio - interplay of glottis and vocal tract

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Katrin Neumann - Klinik für Phoniatrie and Pädaudiologie, J. W. Goethe-Universität, Frankfurt/Main, Deutschland
  • author Patrick Schunda - Klinik für Phoniatrie and Pädaudiologie, J. W. Goethe-Universität, Frankfurt/Main, Deutschland
  • author Sebastian Hoth - Hals-Nasen-Ohren-Klinik, Universität Heidelberg, Heidelberg, Deutschland
  • author Harald A. Euler - Fachbereich Psychologie, Universität Kassel, Kassel, Deutschland

100 Jahre Phoniatrie in Deutschland. 22. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie, 24. Kongress der Union der Europäischen Phoniater. Berlin, 16.-18.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05dgppV49

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2005/05dgpp091.shtml

Veröffentlicht: 15. September 2005

© 2005 Neumann et al.
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Zusammenfassung

Der Übergang zwischen Brust- und Kopf-Vollregister mit Hilfe des passaggio ist essentiell für männliche Sänger zum Erreichen der höheren Lagen. Ziel der Studie war eine Definition dieses Registerwechsels anhand objektiver Parameter.

Audiosignal, Elektroglottogramm und subglottisches Druckäquivalent von 11 Opernsängern wurden während Skalen auf /o:/ und /a:/ aufgenommen, bei denen der Registerwechsel überstrichen wurde. Als Kontrollen dienten dieselben Skalen ohne Registerwechsel. Die Signale wurden Spektral- und Zeitanalysen unterzogen.

Für alle Sänger war das passaggio durch charakteristische spektrale Änderungen gekennzeichnet. Im Brustregister dominiert der zweite Harmonische H2, unterstützt vom ersten Formanten F1, ebenso der vierte Harmonische H4, verstärkt durch den zweiten Formanten F2. Während des passaggio verliert H2 Energie durch Verlust der F1-Resonanz, während sich F2 auf den dritten Harmonischen H3 abstimmt. Etwa auf derselben Tonhöhe schwindet die H4-Intensität durch Verlust von F2-Resonanz. Die Schlussquotienten ändern sich während des Registerwechsels individualspezifisch. Diese Befunde liefern objektiven Parameter für die Unterscheidung zwischen männlichen Brust- und Kopf-Vollregister für jede Stimmkategorie.


Text

Einleitung

Der Übergang zwischen Brust- und Kopf-Vollregister mit Hilfe des passaggio ist essentiell für männliche Sänger zum Erreichen der höheren Lagen. Der Begiff passaggio bezeichnet einerseits diesen Übergang einschließlich der Töne darunter, während derer der Wechsel vorbereitet wird (zona di passaggio), aber auch eine Strategie des Registerausgleichs. Bislang existiert keine allgemein anerkannte Definition dieses Registerwechsels, die auf objektiven Determinanten basiert. Eine Pilotstudie von Miller und Schutte [1] bezieht sich lediglich auf zwei Sänger und einige historische Aufnahmen. Ziel der Studie war eine Definition dieses Registerwechsels anhand objektiver Parameter.

Methode

Audiosignal, Elektroglottogramm und subglottisches Druckäquivalent von 43 Registerwechseln, gesungen von 11 Opernsängern (4 Tenöre, 4 Baritone, 3 Bässe), wurden während Skalen auf den offenen hinteren Vokalen /a:/ und /o:/ aufgenommen, bei denen der Registerwechsel überstrichen wurde. Als Kontrollen dienten dieselben Skalen ohne Registerwechsel. Spektral- und Zeitanalysen wurden mit Hilfe der Programme Cool Edit pro ®, VoceVista 2.8.7. ® und Glottal Segmentation of Voice and Speech ® ausgeführt.

Ergebnisse

Für alle Sänger war das passaggio durch charakteristische spektrale Änderungen gekennzeichnet, wie in Abbildung 1 [Abb. 1] exemplarisch dargestellt.

Im Brustregister dominiert die zweite Harmonische H2, unterstützt vom ersten Formanten F1, ebenso die vierte Harmonische H4, verstärkt durch den zweiten Formanten F2. Während des passaggio verliert H2 Energie durch Verlust der F1-Resonanz, während sich F2 auf die dritte Harmonische H3 abstimmt. Etwa auf derselben Tonhöhe schwindet die H4-Intensität durch Verlust der F2-Resonanz [2]. Diese Verläufe konnten für jede Stimmkategorie nachgewiesen werden. Bässe, Baritone und Tenöre unterschieden sich um etwa einen Ganzton in der Tonhöhe des eigentlichen Registerwechsels (Tabelle 1 [Tab. 1]).

Die Schlussquotienten ändern sich während des Registerwechsels individualspezifisch.

Diskussion

Diese Befunde liefern objektive Parameter für die Unterscheidung zwischen männlichem Brust- und Kopf-Vollregister für jede Stimmkategorie für offene hintere Vokale, selbst wenn ein Übergang nicht hörbar oder für den Sänger nicht spürbar ist: F2 beginnt, H3 zu resonieren, wenn F1 dem ansteigenden H2 nicht mehr folgen kann. Während ein professioneller Sänger ein passaggio singt, antizipiert und vermeidet er eine Register-„Verletzung" [3], ein zu starkes Steigen von F1, indem er F1 einen Abfall unter H2 erlaubt („Decken"), ehe beide durch einen elevierten Larynx aneinander gekoppelt werden [1]. Unsere Ergebnisse bestätigen einerseits die von Miller und Schutte [1], andererseits fügen sie ihnen eine Aussage zu H4 hinzu: H4 wird im oberen Bereich des Brustregisters durch F2 unterstützt und reduziert seine Amplitude deutlich, wenn das F2-Tuning von H4 zu H3 wechselt (Kopf-Vollregister). Obwohl die interindividuell, mitunter auch intraindividuell variierenden Schlussquotienten auf eine variable glottale Adduktion hinweisen, die für das Management dieses Registerwechsels benutzt werden könnte [4], ist dieser Wechsel eher durch eine supraglottale Resonanzanpassung charakterisiert als durch eine laryngeale.


Literatur

1.
Miller DG, Schutte HK: Toward a definition of male 'head' register, passaggio and 'cover' in western operatic singing. Folia Phoniat 1994;46:157-170.
2.
Neumann K, Schunda P, Euler HA, Hoth S (2005) The interplay between glottis and vocal tract during the male passaggio. Folia Phoniat, in press.
3.
Miller R: The Structure of Singing: System and Art in Vocal Technique. New York, NY, Schirmer Books, 1986.
4.
Titze IR: A framework for the study of vocal registers. J Voice 1988;2:183-194.