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100 Jahre Phoniatrie in Deutschland
22. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie
24. Kongress der Union Europäischer Phoniater

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

16. bis 18.09.2005, Berlin

ASSR zur Schätzung von Hörschwellen

ASSR for estimation of hearing thresholds

Vortrag

100 Jahre Phoniatrie in Deutschland. 22. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie, 24. Kongress der Union der Europäischen Phoniater. Berlin, 16.-18.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05dgppV22

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2005/05dgpp043.shtml

Veröffentlicht: 15. September 2005

© 2005 Schönweiler et al.
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Zusammenfassung

Für die Notched-Noise-BERA (NN-BERA) wurden vielfach die Nachteile der nur eingeschränkten Frequenzspezifität und der nur visuell-subjektiv möglichen Auswertung kritisiert. Amplituden- (und frequenz-) modulierte Steady-State-Responses (ASSR) können diese Nachteile vermeiden. Dazu wurden 11 erwachsene Probanden mit Schallempfindungsschwerhörigkeiten verschiedener Schweregrade untersucht. Die zuverlässig angegebenen psycho-akustischen Schwellen wurden mit ASSR- und NN-BERA-Schwellen verglichen (Evoselect, Pilot-Blankenfelde, Prüffrequenzen 0,5; 1; 2 und 4 kHz). Soweit es bei den verschiedenen Hörverlustkurven sinnvoll erschien, wurde bei den ASSR die Multireiztechnik angewendet. Die Korrelation zwischen ASSR-Schwellen und Luftleitungsschwellen (LL) betrug 0,862; zwischen NN-BERA-Schwellen und Luftleitungsschwellen 0,849 und zwischen ASSR und NN-BERA 0,791. Die Regressionsgeraden lagen nahe bei der Winkelhalbierenden. Im Toleranzbereich von +/-10dB von der Winkelhalbierenden zwischen ASSR und LL lagen 77% der Ergebnisse, bei NN-BERA und LL waren es 78%, bei ASSR und NN-BERA 69%. Die 500 Hz Ergebnisse waren viel schlechter als bei 1-4 kHz. Die Messzeiten lagen bei ASSR um 30 min und bei NN-BERA um 50 min. Mit diesen Korrelationen sind die AMFR für die Schätzung von Hörschwellen genauso gut geeignet wie die NN-BERA, vermeiden aber deren Nachteile.


Text

Einleitung

Für die Notched-Noise-BERA (NN-BERA) wurden vielfach die Nachteile der nur eingeschränkten Frequenzspezifität, der nur visuell-subjektiv möglichen Auswertung ohne echte "Objektivität" und des hohen Zeitbedarfs kritisiert. Amplituden- (und frequenz-) modulierte Steady-State-Responses (ASSR) können diese Nachteile vermeiden und gelten daher als viel versprechendes neues Verfahren, das es nach Abschluss der technischen Realisierung an Patienten mit unterschiedlichen Hörverlusten zu validieren gilt. Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit stehen dabei nicht in erster Linie die Abweichungen von Schwellenmittelwerten, sondern die statistischen Streumaße und Korrelationen im Vordergrund, die deshalb in der vorliegenden Arbeit untersucht wurden.

Methode

Die ASSR- und NN-BERA-Messungen wurden mit dem Evoselect (Fa. Pilot-Blankenfelde) vorgenommen. Als Wandler wurde ein DT48 Kopfhörer verwendet. Die amplituden- und frequenzmodulierten Sinustöne der AMFR hatten die Trägerfrequenzen 0,5, 1, 2 und 4 kHz. Die Modulationsfrequenzen lagen zwischen 80 und 100 Hz. Es wurde ein von Stürzebecher entwickeltes Modulationsverfahren verwendet (Patent Pilot-Blankenfelde 2001 [1]). Im Gegensatz zu anderen Verfahren werden im Abstand der Modulationsfrequenz zwei weitere amplitudenmodulierte Träger generiert. Damit wird die Flankensteilheit des Stimulus erheblich verbessert und außerdem ein etwas breiteres cochleäres Areal stimuliert, wodurch eine bis zu 1,6-mal größere Reizantwort als mit einfacher Amplitudenmodulation erwartet werden kann. Das dennoch im Vergleich z.B. zur Notched-Noise-BERA sehr kleine Biosignal wertet man allerdings nicht visuell bzw. nach Erfahrung des Untersuchers, sondern statistisch aus. Dazu wurden in der Arbeit die Amplituden und Phasen der Biosignale mit einem statistischen Verfahren auf das Vorhandensein der Modulationsfrequenzen geprüft. Wenn möglich, wurde mit mehreren Prüffrequenzen gleichzeitig stimuliert (sog. Multi-Reiz-Technik). Wenn Prüffrequenzen vorkamen, deren Schwellen stark von anderen Prüffrequenzen abwichen, wie z.B. bei Hochtonsteilabfällen, musste auf die Multi-Reiz-Technik verzichtet werden. Alle Schwellen wurden auf 5 dB genau bestimmt.

Es wurden 13 erwachsene Probanden im Alter von 33 bis 83 Jahren (Mittelwert 63 Jahre) und mit Schallempfindungsschwerhörigkeiten verschiedener Schweregrade untersucht. Ausgewertet wurden Messungen an 3 normalhörenden, 9 breitbandig schwerhörigen und 9 hochtonschwerhörigen Ohren. Die ASSR- und NN-BERA-Schwellen wurden mit den zuverlässig angegebenen psychoakustischen Schwellen verglichen.

Ergebnisse

Die Mittelwerte der durch ASSR, NN-BERA und psychoakustischer Luftleitungsmessung gewonnenen Schwellen stimmten fast überein (Abbildung 1 [Abb. 1]). Auch die Standardabweichungen waren nahezu gleich. Sie betrugen allerdings bei allen Messungen bis zu 20 dB (Abbildung 1 [Abb. 1]), was auf den ersten Blick recht viel erscheint. Letztendlich wichen aber 73% der ASSR-Schwellen und 76% der NN-BERA-Schwellen nicht mehr als +/- 10 dB von den psychoakustischen Schwellen ab. Die Messzeiten lagen bei ASSR um 30 min und bei NN-BERA um 50 min.

Diese Regressionsgeraden der ASSR lagen nur für die Prüffrequenzen 1, 2 und 4 kHz nahe bei einer Winkelhalbierenden. Die zugehörigen Korrelationskoeffizienten betrugen 0,6 bis 0,9 (Abbildung 2 [Abb. 2]). Für 0,5 kHz wich die Regressionsgerade stark von einer Winkelhalbierenden ab; dies war aber methodisch bedingt und darauf zurückzuführen, dass aufgrund der Häufung von Hochtonschwerhörigkeiten im untersuchten Kollektiv nur wenige 0,5 kHz-Messungen mit Hörverlusten oberhalb 40 dB in die Auswertung eingingen.

Mit der NN-BERA konnten etwas bessere Ergebnisse erzielt werden (ohne Abb.), wobei aber berücksichtigt werden muss, dass sie durch subjektive und erfahrungsbedingte Potentialerkennung zustande kamen. Die Regressionsgeraden lagen für alle Prüffrequenzen nahe bei der Winkelhalbierenden. Der Korrelationskoeffizient, berechnet für alle Prüffrequenzen, war 0,837 im Vergleich zu 0,790 bei den ASSR (Abbildung 2 [Abb. 2]).

Diskussion

Nur wenn die Multi-Reiz-Option konsequent angewendet wird, ist mit der ASSR gegenüber der NN-BERA eine nennenswerte Zeitersparnis möglich. Die Korrelationen der ASSR-Schwellen mit bekannten Luftleitungsschwellen erreichen zumindest für die Prüffrequenzen 1 bis 4 kHz fast die Werte der NN-BERA. Dies entspricht etwa den Ergebnissen anderer Arbeitsgruppen, wobei ein direkter Vergleich der Ergebnisse durch die großen methodischen Unterschiede nicht sinnvoll ist [2], [3], [4], [5].

Mit den hier an Erwachsenen gewonnenen Ergebnissen erscheinen AMFR für die Schätzung von Hörschwellen fast genauso gut geeignet wie die NN-BERA, vermeiden aber deren Nachteile. Um die Wertigkeit abschließend zu beurteilen, sind auch Untersuchungen an schwerhörigen Kindern und Messungen unter schwierigen Umgebungsbedingungen wie z.B. im OP notwendig. Solche Untersuchungen werden zur Zeit an der Lübecker Universitätsabteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie durchgeführt.


Literatur

1.
Patent: DE 199 54 666 A 1, Offenlegung 2001, Anmelder: Pilot-Blankenfelde, Erfinder: Stürzebecher, E., "Verfahren zur objektiven frequenzspezifischen Hörschwellenbestimmung mittels der Amplitude Modulation Following Response (AMFR)"
2.
Aoyagi M, Suzuki Y, Yokota M, Furuse H, Watanabe T, Ito T (1999) Reliability of 80-Hz Amplitude-Modulation-Following Response Detected by Phase Coherence, Audiology Neuro-Otology; 4:28-37
3.
Cone-Wesson B, Dowell RC, Tomlin D, Rance G, Ming WJ (2002) The auditory steady-state response: comparisons with the auditory brainstem response. Journal of the American Academy of Audiology/Volume 13: 173-187
4.
Dimitrijevic A, John MS, van Roon P et al. (2002) Estimating the audiogram using multiple auditory steady-state responses. Journal of the American Academy of Audiology/Volume 13: 205-224
5.
Lins OG, Picton TW, Boucher BL et al. (1996) Frequency-specific audiometry using steady-state responses. Ear & Hearing 1796:81-96